Digitalisierung verändert Arbeitswelt massiv – aber nicht immer zum Guten
Befragung von 3.700 Betriebs- und Personalräten zeigt: Digitalisierung erhöht Arbeitsbelastung und oft fehlt es an ausreichender Qualifizierung der Beschäftigten.
Künstliche Intelligenz (KI) boomt – dabei wird übersehen, dass nicht nur KI für Veränderungen in den Betrieben sorgt. Die Digitalisierung der Arbeitsprozesse schreitet voran, Maschinen sind zunehmend miteinander vernetzt, in der Verwaltung erfolgt die Arbeitsverteilung über Workflow-Systeme. Cloud-Lösungen oder Managementinformationssysteme, die digital Informationen zur Entscheidungsfindung liefern, verändern die Arbeitswelt.
Die Folgen dieser Entwicklung zeigt eine repräsentative Befragung, an der mehr als 3.700 Betriebs- und Personalräte teilgenommen haben. Erhoben wurden die Daten vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Gut die Hälfte der privatwirtschaftlich geführten Betriebe und knapp die Hälfte der Dienststellen haben im Jahr vor der Befragung mindestens eine dieser Technologien eingeführt.
Betriebsräte berichten von Veränderungen in Betrieben
Dazu zählt das Internet der Dinge, das heißt die Kommunikation mit Maschinen über das Internet. "Die Digitalisierung verändert die Erwerbsarbeit massiv. Ob sich das für die Beschäftigten eher positiv oder negativ auswirkt, hängt entscheidend davon ab, wie die Technik eingesetzt wird", sagt dazu Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI. Spezielle Anwendungen wie der Einsatz von KI im Personalwesen können auch eine Reaktion auf einen sich verschärfenden Fachkräftemangel darstellen, vermuten die Forscher.
Ein Arbeitsplatzabbau infolge der neuen Technik war bislang nur in sehr wenigen Fällen zu beobachten, in den meisten Betrieben hat sich die Beschäftigung nach Angaben der Betriebs- und Personalräte nicht verändert. Das ergibt eine Analyse der Befragungsdaten durch Toralf Pusch von der Hans-Böckler-Stiftung sowie Muhamed Kudic, Marc Gerbracht und Jacob Hochhaus von der Universität Siegen.
"Die Einführung digitaler Technologien verändert Produktion und Prozesse. Daraus resultierende Produktivitätssteigerungen können zum Unternehmenserfolg beitragen, können aber mit einer zunehmenden Arbeitsintensität verbunden sein. Zudem können Arbeitsplätze durch neue digitale Technologien bedroht sein, insbesondere bei der KI ist dies viel diskutiert, aber auch umstritten", schreiben die Wissenschaftler.
Verschärfter Arbeitsdruck durch neue Technik
Deutlicher sind die Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen: Rund 30 Prozent der Befragten berichten von einer Zunahme der Arbeitsbelastung.
Diese Entwicklung verwundert kaum angesichts der technischen Möglichkeiten. MES-Systeme (Manufacturing Executing Systems) versprechen die Steigerung der Produktivität und eine lückenlose Leistungs- und Verhaltenskontrolle der Beschäftigten. Es bestehen umfangreiche Möglichkeiten der Rückverfolgung von Arbeitsschritten.
Mitarbeiterkontrolle wird so ein einfaches Unterfangen. Zumal jede Maschine eine eindeutige IP-Adresse erhält, damit sie im Netzwerk identifizierbar und anzusteuern ist. Der Betrieb kann so sämtliche Aktivitäten in der Produktion, Maschinenzustände und Stillstandszeiten systematisch protokollieren und analysieren. Da hierbei auch personenbezogene Daten erfasst werden, wird nicht nur der Arbeitsprozess, sondern auch jeder einzelne Arbeitende transparent.
Die Cloud-Anbindung ermöglicht ein Arbeiten immer und überall. So besteht die Gefahr, dass Arbeit in die Freizeit verlagert wird. Dies erzeugt Stress, denn auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass der Vorgesetzte den Beschäftigten am Wochenende kontaktiert – allein das Bewusstsein, dass es passieren könnte, versetzt Angestellte in einen Unruhezustand.
Verschärft wird das Problem durch unterschiedliche Kommunikationskanäle in der digitalen Arbeitswelt. Die Anforderungen per Mails, über Chats oder mit Sozialen Netzwerke zu kommunizieren, nehmen zu. Dies führt zur Überforderung, da es für viele Beschäftigte zu viele unterschiedliche Anforderungen sind.
Qualifizierung fehlt
Die Umsetzung digitaler Lösungsansätze scheitert oft an nicht ausreichend qualifizierten Fachkräften im Betrieb. Durch die neue Technik steigt auch der Qualifizierungsbedarf: Nach der WSI-Befragung wurden die Beschäftigten in drei Viertel der Fälle weitergebildet. Dies erfolgt überwiegend in Kurzschulungen, die im Durchschnitt etwa acht bis zehn Stunden dauerten.
Betriebsräte machen deutlich, wie wichtig die Qualifizierung der Beschäftigten ist. Denn ein bundesweites Weiterbildungsgesetz, das einen Anspruch gegenüber dem Unternehmen auf Bildung vorsieht, gibt es bis heute nicht. Zum 1. April hat die Bundesregierung zwar ein "Qualifizierungsgeld" eingeführt. Dabei geht es aber um Zuschüsse der Agentur für Arbeit, die gewährt werden können – jedoch nicht um Ansprüche im Arbeitsverhältnis dem Unternehmen gegenüber.
Ob die Unternehmen weiterhin massiv in die Digitalisierung der Arbeitsabläufe investieren, ist offen. Derzeit wird vielen Betrieben Kapital entzogen. Bereits Anfang des Jahres wurde deutlich: Die hohen Gewinne der Großunternehmen wurden zu einem großen Teil nicht investiert, sondern für Dividenden und Aktienrückkäufe genutzt.
Aktionäre deutscher Konzerne dürfen nach Berechnungen der Dekabank für das Geschäftsjahr 2023 mit einer Rekordsumme rechnen. Dax-Unternehmen schütten rund 3,6 Milliarden Euro mehr an ihre Aktionäre aus als im Jahr davor.
"Aktienrückkäufe der Dax-Konzerne erreichen Rekordwert", meldet das Handelsblatt. Die 40 Dax-Konzerne haben nach Handelsblatt-Berechnungen 27 Milliarden Euro dafür vorgesehen, eigene Aktien an der Börse aufzukaufen. Am meisten Geld geben dafür Mercedes-Benz mit drei Milliarden Euro, SAP mit fünf und Siemens mit sechs Milliarden Euro aus.