Chicago: Mord-Hoch hält trotz neuer Hard- und Software an

Alte-Gang-Visitenkarte

59 Gangs mit 625 Fraktionen üben seit Generationen eine informelle Parallelherrschaft aus

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Im letzten Jahr verzeichnete Chicago, die drittgrößte Stadt der USA, mehr Morde als New York und Los Angeles zusammengerechnet. Bis letzten Sonntag lag die Zahl der Morde im laufenden Jahr mit 123 gut neun Prozent niedriger als in den ersten drei Monaten des Vorjahres, was Polizeichef Eddie Johnson auf 47 Prozent mehr Festnahmen wegen illegalen Waffenbesitzes und auf den Einsatz neuer Soft- und Hardware zurückführte, die unter anderem automatisch Schüsse registriert und wahrscheinliche Tatorte prognostiziert, an denen die Polizei dann verstärkt Präsenz zeigen kann (vgl. Funktioniert Verbrechensbekämpfung mit Big Data?).

Dann geschahen alleine am Donnerstag, noch bevor das erste Quartal zu Ende war, fünf weitere Morde: Vier davon passierten Nachmittags um 10 Minuten vor Vier in einem Schnellrestaurant im Stadtteil South Shore. Bei den Toten dort handelt es sich ausnahmslos um junge Männer. Der Polizei ist das konkrete Motiv bislang unbekannt, sie geht aber anhand der Umstände davon aus, dass es sich um ein Verbrechen mit Gang-Bezug handelt. Dem fünften Opfer, einer im vierten Monat schwangeren Frau, wurde einige Stunden vorher in ihrem Apartment im selben Stadtteil in den Kopf geschossen.

Racheakt von Mitgliedern der Black P Stones

US-Medienberichten nach waren die Morde im Schnellrestaurant ein Racheakt von Mitgliedern der Gang Black P Stones für die am Vortag um 11 Uhr 15 Vormittags verübte Tötung eines 37-Jährigen im 7900er-Block der South Phillips Avenue. Gangs sind nach Angaben der Polizei für den Löwenanteil der Morde in der Stadt verantwortlich, die vor allem in vorwiegend von Schwarzen und Latinos bewohnten Vierteln im Westen und Süden der Stadt geschehen.

Bis 2012 bekämpfte die Polizei von Chicago diese Gangs mit einer Spezialeinheit. Dann wurde Rahm Emanuel, der bis 2011 Barack Obamas Stabschef war, Bürgermeister und ließ diese Spezialeinheit auflösen. Nun droht ihm der neue US-Präsident Donald Trump, er werde "die Feds schicken", wenn Emanuel mit dem "Blutbad" in seiner Stadt nicht fertig werde (vgl. "Blutbad" in Chicago).

Über 90-jährige Geschichte

Was Trump mit den "Feds" konkret meint, ist offen. Denkbar wären beispielsweise Spezialeinheiten der Bundespolizei FBI, der Drogenpolizei DEA oder der Waffenkontrollbehörde ATF. Vor 90 Jahren musste die damalige US-Bundesregierung sogar die Steuerbehörde IRS einsetzen, um den Chicagoer Gangsterboss Al Capone (der andere Sicherheitsorgane umfassend bestach) vor Gericht zu bringen. Sein Fall zeigt, dass Gangs in der Stadt eine lange Geschichte haben. Die erste große soziologische Studie über dieses Phänomen, Frederic Milton Thrashers The Gang, erschien bereits vor 90 Jahren, zur Zeit der Prohibition. Den Erfahrungen von Garry McCarthy nach, dem ehemaligen Polizeichef der Stadt, wird die Mitgliedschaft in Gangs in Chicago über Generationen hinweg vererbt: "Der Großvater", so McCarthy, "war ein Gangmitglied, der Vater ist ein Gang-Mitglied - und das Kind wird ein Gang-Mitglied sein".

Aktuell gibt es in der "Windy City" mindestens 59 Großgangs, die sich in mindestens 625 Fraktionen gliedern und deren informelle Herrschaftsgebiete so sauber getrennt sind, dass sich damit Karten zeichnen lassen. Zu den fünf wichtigsten Gangs zählen neben den bereits oben erwähnten Black P Stones die Vice Lords, die Latin Kings, die Black Disciples und die Gangster Disciples. Die Zahl der Mitglieder soll insgesamt zwischen 70.000 und 125.000 liegen.

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