China-Ballon: Warum Deutschland eine UFO-Behörde bräuchte

Nach dem Ballon-Zwischenfall in den USA wächst auch hierzulande das Interesse an unbekannten Flugobjekten. Thema und Sichtungen sorgen oft für Stigmatisierung. Warum das falsch ist.

Seit die USA offiziell eingestehen, dass selbst über ihren sensibelsten Lufträumen – etwa über Atomanlagen oder militärischen Sperrzonen – unidentifizierte Flugobjekte und Phänomene entdeckt werden, spekulieren Skeptiker auch darüber, ob es sich hier nicht um russische oder chinesische Hochtechnologien handeln könnte.

Diese Spekulationen dürften spätestens seit vergangener Woche hinfällig sein. Denn anstelle der befürchteten Hightech-Drohne erschien ein ganz fast schon klassischer Höhenballon samt antennenartiger Nutzlast, wurde von den USA als chinesischer Spionage-Ballon ausgemacht, abgeschossen und sorgt seither für weitere Spannungen zwischen den Supermächten.

Immerhin: Nun beginnt sich auch die Bundesregierung offiziell zumindest für unbekannte Flugobjekte am Himmel zu interessieren. Dabei könnte man schon längst auf bereits in Deutschland existierende Daten und Expertisen dazu zurückgreifen.

Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, zeigt sich auch Berlin vom chinesischen Ballon "alarmiert und prüfe, ob auch im deutschen Luftraum schon ähnliche Objekte gesichtet wurden".

"Die Bundesregierung nimmt chinesische Spionage und die aktuellen Berichte sehr ernst und stimmt sich mit ihren wichtigsten Partnern ab", erfuhr das Blatt am Sonntag aus Sicherheitskreisen.

Auf die Frage, ob auch über deutschem Staatsgebiet schon solche Objekte gesichtet worden seien, hieß es: "Die zuständigen Behörden arbeiten an der Klärung des Sachverhalts. Auf Grundlage der bisher vorliegenden Erkenntnisse wären Bewertungen für Deutschland verfrüht."

Weiterhin berichtete die Süddeutsche, das Bundesinnenministerium, das für die Spionageabwehr zuständig ist, habe bei den Untersuchungen die Federführungen übernommen. Für den zivilen Luftraum sei das Bundesverkehrsministerium zuständig, für militärische Fragen das Bundesverteidigungsministerium.

Tatsächlich könnten die Bundesregierung und die zuständigen Stellen in dieser Frage schon wesentlich informierter sein, als jener "verfrühte" Sachstand, auf den die Quelle der Süddeutschen verweist.

Eine offizielle Behörde, die sich mit gezielt der Untersuchung und Erforschung unidentifizierter Flugobjekte und Phänomene widmet, gibt es in Deutschland nicht und das Interesse daran war bislang gering. Anfragen danach wurden verneint oder selbst auf Bundespressekonferenz von Regierungssprechern ins Lächerliche gezogen.

In anderen Ländern ist man da schon seit vielen Jahren weiter Drei Beispiele von mehr als 27 Staaten mit eigenen UFO-Untersuchungsbemühungen:

- In Frankreich untersucht seit 1977 mit der "Groupe d’études et d’informations sur les phénomènes aérospatiaux non identifiés" (Geipan) eine Abteilung des französischen Nationalen Zentrums für Raumfahrtstudien (CNES) unerklärliche Himmelsphänomene. 33 Prozent der gemeldeten Sichtungen werden hier weiterhin als "Phénomène non identifié" geführt.

- Am britischen Verteidigungsministerium gab es bis 2009 ein eigenen "UFO-Büro". Tausende von Akten wurden seither über die dortigen "National Archives" veröffentlicht.

Titelblatt des jüngsten UFO-Berichts der US-Geheimdienste (2023). Quelle: ODNI/US Gov.

- In den USA gibt es mittlerweile sogar wieder eine eigene Behördeneinheit, die unter der Bezeichnung "All-domain Anomaly Resolution Office" (AARO) UFO- bzw. UAP-Meldungen von US-Regierungs-, Geheimdienst- und Militärmitgliedern untersucht.

So werden die Sichtungen eingeordnet

Der jüngste Bericht der US-Geheimdienste in Zusammenarbeit mit dem AARO wies 510 solcher eingegangenen Meldungen aus, von denen 26 Fälle als "Drohnen", 163 als "Ballons oder Ballon-artige Einheiten", sechs als "Störungen und Verschmutzungen im Luftraum" (also Vögel, Weltereignisse, Müll oder Plastiktüten usw.) und weiterhin 171 ungeklärte Fälle ausgewiesen werden.

"Einige dieser uncharakterisierten UAP scheinen ungewöhnliche Flugeigenschaften aufzuweisen oder zu ungewöhnlichen Manövern in der Lage gewesen zu sein. In diesen Fällen bedarf es weiterer Analysen", so der UFO-Report der US-Geheimdienste.

In Deutschland gibt es eine derartige Einrichtung hingegen nicht.

Hier heißt es von einem Pressesprecher des Bundesverteidigungsministeriums lediglich, dass "wir die an gestellten Aufgaben in den Themenfeldern "Luftraum" und "Weltraum" 24/7 und an 365 Tagen im Jahr wahrnehmen. Dies beinhaltet auch die Identifikation und Analyse anfänglich ungeklärter Beobachtungen, auch um Gefahren für die Luft- und Raumfahrt abzuwenden. (…) Da sich auch die anfänglich ungeklärten Beobachtungen im Rahmen der Analyse als erklärbar erweisen (z.B. als Lichtspiegelungen, Wetterereignisse wie Wolkenstrukturen, Weltraumschrott, Wetter ), ergibt sich seitens BMVg kein Grund für eine Thematisierung UAP/UFO."

Berücksichtigt man die aktuelle Position aus Berlin zum "China-Ballon", so scheint sich diese Haltung schlagartig mit dem Auftauchen derartiger Höhenballone, nicht nur über den USA, geändert zu haben, wenn erst einmal geprüft werden muss, "ob auch im deutschen Luftraum schon ähnliche Objekte gesichtet wurden."

Dabei gibt es bereits seit Jahrzehnten auch in Deutschland zivile Forschungsorganisationen, die sich mit der Erforschung von unidentifizierten Flugobjekten (UFOs) und anomalen Phänomenen im Luftraum (UAP) beschäftigen und unter anderem auch zu solchen Meldungen akribisch Sichtungsberichte archivieren und auswerten.

Nicht zuletzt gibt es an der Universität Würzburg mit dem "Interdisziplinären Forschungszentrum für Extraterrestrik" (Ifex) das weltweit erste offiziell im Forschungskanon einer Universität verankerte Institut, dass sich neben Weltraumforschung und Technologie-Entwicklung von Kleinstsatelliten auch der Untersuchung von UAP, eben unidentifizierten Phänomenen im Luftraum verschrieben hat.

Das von Prof. Dr. Hakan Kayal geleitete Institut arbeitet hierzu auch mit den UFO-Forschern als assoziierte Mitglieder eng zusammen und sucht derzeit nach Partnern sowohl bei den deutschen Forschungsgesellschaften als auch bei zuständigen Behörden und Ministerien.

Und tatsächlich gab und gibt es in Deutschland Fälle, die mit der aktuellen Situation rund um den mutmaßlichen Spionage-Ballon Chinas durchaus verglichen werden können. In meinem Buch Deutschlands UFO-Akten zeige ich, dass sich der Bundesnachrichtendienst (BND) schon in den 1980er-Jahren ganz konkret mit mutmaßlichen Spionage-Aktivitäten in Form von unidentifizierten Flugobjekten (UFOs) des damaligen Ostblocks an der innerdeutschen Grenze beschäftigte und hierzu ganze Akten angelegt hat. Darin finden sich unter anderem auch Sichtungen und Beschreibungen ballonförmiger Einheiten und Objekte.

Zwei Beispiele ballonförmiger Flugobjekte anhand Zeugenskizzen aus der "UFO"-Akte des BND. Quelle: Müller A. "Deutschlands UFO-Akten" (GreWi/BoD 2021), Bundesarchiv Koblenz

Auch die unter anderem von mehreren zivilen deutschen Forschungsgruppen gemeinsam betriebene "UFO-Datenbank" zur Erfassung von UFO-Sichtungen (nicht nur) im deutschsprachigen Raum, beinhaltet einige Berichte über gesichtete "Ballon-Objekte", von denen die meisten von den Forschern eben als solche und damit mehr oder weniger als "identifiziert" katalogisiert wurden.

Die UFO-Forscher verweisen aber auch darauf, dass die Einträge in der Datenbank nur die Spitze des Eisbergs bzw. jene Sichtungen abbilden, die auch tatsächlich gemeldet wurden. Viele Sichtungen bleiben ungemeldet. Entweder, weil die Zeugen nicht wissen, ob und wohin sie so etwas melden sollen, oder, weil Zeugen und Zeuginnen befürchten, sich mit einer vermeintlichen UFO-Meldung lächerlich zu machen. Auch das muss sich ändern.

Schon der UFO-Bericht der US-Geheimdienste an den US-Kongress 2021 kritisierte "die jahrzehntelange soziokulturelle Stigmatisierung" und persönliche Verunglimpfung von UFO-Zeugen im Kontext der Beobachtung von UAPs, deren Meldung oder bei dem Versuch, sie mit Kollegen zu diskutieren.

Der Bericht weist zudem ausdrücklich auf die behindernde und unterdrückende Wirkung dieser Vorgehensweise auf die militärische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema hin.

Obwohl zunächst "Ballon-förmig", können aber nicht alle derartigen Objekte auch wirklich "identifiziert", also ihre Starts und Landungen einem Verursacher zugeordnet oder ihre Ziele und Absichten geklärt werden. So etwa ein Vorfall aus Saarbrücken im Herbst 2021, als hier ein mehrere Meter großes, Ballon-artiges Objekt beobachtet, fotografiert und gefilmt werden konnte (s. Abb. l.).

Es gibt sie, die deutschen UFO-Akten

Während sich für gewöhnlich Starts von Wetterballons oder zu sonstigen (etwa schulischen) Experimentierzwecken relativ leicht überprüfen und zuordnen lassen, schlugen entsprechende Bemühungen im Fall des Saarbrücker Objekts bislang fehl. Auch die Vermutung, es könnte sich um eine ähnliche, ballonbasierte Kameradrohne gehandelt haben, die für Großevents eingesetzt wird, konnten vom einzigen Anbieter des Systems (Aerotain.com) als Erklärung für das Objekt ausgeschlossen werden.

Das ballonförmige, aber bis heute nicht eindeutig identifizierte Flugobjekt von Saarbrücken, gesichtet und fotografiert am Vormittag des 29. Oktober 2021. Foto: privat

Neben ballonförmigen Objekten interessieren sich UFO-Forscher aber natürlich auch für jede andere Form von unbekannten wie unidentifizierten Flugobjekten und Phänomenen auch über Deutschland.

Und tatsächlich zeigen nicht nur Hunderte von Sichtungsmeldungen von Bürgern jedes Jahr, sondern auch die bislang auch von deutschen Ministerien und Behörden freigegebenen UFO-Akten, dass sich auch im bundesdeutschen Luftraum offenbar auch Dinge bewegen, von denen einige selbst entsprechend ausgebildetes Personal bei Militär, Behörden, Bundeswehr oder Flugsicherheit nicht erklären können und die deshalb von politischem, geheimdienstlichen, militärischen, aber auch gesellschaftlichen und nicht zuletzt wissenschaftlichem Interesse sein sollten.

Ganz gleich also, ob private und akademische UFO-Forscher dazu beitragen können, durch die Identifizierung von unbekannten Objekten den Luftraum sicherer zu machen, die Aufklärung unterstützen oder vielleicht sogar bislang noch unbekannte Natur-Phänomene oder vielleicht sogar Hinweise auf exotische Phänomene finden könnten - eine wissenschaftlicher Untersuchung des UFO-Phänomens mit staatlicher Unterstützung der Bundesregierung kann nur von Vorteil sein.

Eine Zusammenarbeit und Förderung der Wissenschaftler und Forschenden am IFEX wäre für beide Seiten ein Gewinn: Für die Regierung bei der Einschätzung aktueller Risikoeinschätzungen zu Lagen wie dem aktuellen Ballon-Politikum und für die Sicherheit unseres Luftraumes. Für die UFO-Wissenschaftler durch eine staatliche Forschungsförderung und die Möglichkeit der Nutzung staatlicher Daten.

Wäre es nicht also an der Zeit, dass sich Deutschland aus der bisherigen Isolation in der UAP- und UFO-Frage löst und sich mit eigener offizieller Forschung an den internationalen Untersuchungen beteiligt? Mit den interdisziplinären UAP-Untersuchungen am IFEX verfügt die Bundesrepublik also schon heute über eine entsprechende Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik. Sie müsste nur genutzt werden.

Andreas Müller, Jahrgang 1976, studierte Kommunikationsdesign an der HBK Saar und arbeitete schon früh als Journalist mit Schwerpunkt anomalistischer Phänomene. Er ist Herausgeber des Nachrichtenportals GrenzWissenschaft-Aktuell.de (GreWi), in dieser Position assoziiertes Mitglied am Interdisziplinären Forschungszentrum für Extraterrestrik (IFEX) an der Universität Würzburg und Autor des im Oktober 2021 erschienen Buches "Deutschlands Ufo-Akten – Über den politischen Umgang mit dem Ufo-Thema in Deutschland" (GreWi/BoD, 452 Seiten, ISBN: 978-3754306802).