China: Der Westen wird abgehängt
Während der Ton in Washington und Berlin zunehmend aggressiver und jenseits des Atlantiks mit Strafzöllen und Exportverboten agiert wird, ist China immer weniger auf den Westen angewiesen.
Das Verhältnis zwischen den USA, ihren pazifischen Verbündeten und der EU auf der einen und China auf der anderen Seite ist zunehmend gespannt. Für die USA ist es nichts Neues, aber nun meint auch Deutschland Kampfflugzeuge und Marineschiffe vor die Küsten der Volksrepublik schicken zu müssen, um "chinesischen Machtansprüchen in der Region etwas entgegen (zu)setzen".
Washington provoziert derweil, wie berichtet, Beijing (Peking) mit hochrangigen Besuchen in der "Republik China" – so die offizielle Bezeichnung Taiwans, das nach Lesart des Festlands eine abtrünnige Republik ist.
Die Verhältnisse beiderseits der Taiwanstraße sind kompliziert, aber für den Westen ist das noch lange kein Grund zur vorsichtigen, Konflikt vermeidenden Diplomatie. So sehr glaubt man inzwischen die eigenen Erzählungen, dass Kritik an der Eskalation in den westlichen Gesellschaften, deren grüne und linksliberale Milieus im Delirium eines neuen Wir-Gefühls durch die Landschaft der internationalen Beziehungen torkeln, bestenfalls in homöopathischen Dosen zu finden ist.
Wie umgehen mit der Supermacht?
China reagiert auf die Aktivitäten vor seinen Küsten mit defensiver Rüstung, beginnt aber unter der zunehmend mit US-amerikanischer Aggressivität wetteifernden Politik Xi Jinpings (习近平) durchaus auch mit U-Booten, Flugzeugträgern und anderer mariner Aufrüstung nach den Sternen einer Supermacht zu greifen.
Bei der Größe seiner Bevölkerung, seiner geografischen Ausdehnung und seiner ökonomischen Stärke wenig überraschend. Eine auf Stabilität und Frieden ausgerichtete Diplomatie würde nach Wegen suchen, wie dem ohne militärische Konfrontation begegnet werden könnte.
Denkbar wären unter anderem umfassende Abrüstungsverhandlungen, die Schließung eines größeren Teils der zahlreichen um die Welt verteilten US-Stützpunkte, Ausbau von Streitschlichtungsmechanismen, wofür zum Beispiel die USA den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anerkennen müssten, und nicht zuletzt die gleichberechtigte Beteiligung Chinas an so wichtigen Institutionen wie Weltbank und Internationalem Währungsfonds, in denen sich der diese dominierende Westen seit mehr als zwei Jahrzehnten gegen die nennenswerte Ausweitung der chinesischen Stimmrechte versperrt.
Doch von derlei Ansätzen kann derzeit nicht die Rede sein. Vielmehr sucht der Westen offenbar nicht nur mit Russland, sondern auch mit China die Konfrontation, scheint jedoch dabei nicht zu merken, dass er sich zu isolieren beginnt.
Europa und Nordamerika: Nicht mehr der Nabel der Welt
Dies zeichnet sich nicht nur bei den Sanktionen gegen Russland ab, die außerhalb der Nato und ihrer engeren Verbündeten wenig beliebt sind. Auch an den Wirtschaftsbeziehungen der Entwicklungs- und Schwellenländer ist abzulesen, dass Europa und Nordamerika – ganz entgegen der hiesigen Wahrnehmung – nicht mehr der Nabel der Welt sind.
Besonders deutlich wird das an der chinesischen Außenhandelsstatistik der letzten Jahre, über die das Internetmagazin Asia Times Online dieser Tage berichtet. Demnach hat sich das Wachstum chinesischer Exporte in die größten Absatzmärkte in den Ländern des Südens stark beschleunigt.
Im Vergleich zu 2019 gibt es bereits annähernd eine Verdoppelung. Allein im Juni 2022 führten chinesische Unternehmen Waren im Wert von fast 70 Milliarden US-Dollar in die Türkei, nach Brasilien, Mexiko, Indien, Malaysia, Indonesien, Thailand, Vietnam oder auf die Philippinen aus.
"Das wichtigste Ereignis in der Entwicklung der Weltwirtschaft"
Chinas Ausfuhren in die Länder des globalen Südens inklusive Südkorea und Taiwan seien inzwischen so groß wie sein Export nach Europa und in die USA zusammen. Das sei das wichtigste Ereignis in der Entwicklung der Weltwirtschaft seit dem Beginn des chinesischen Aufstiegs, schreibt der Asia-Times-Autor.
Dabei liefert das Land der Mitte keineswegs vorrangig Textilien, Spielzeug und andere Billig-Waren, wie noch vor 20 Jahren. Ganz im Gegenteil. Das Geschäft wird vor allem mit Maschinen, Eisenbahnen, Solaranlagen, Fahrzeugen und digitaler Infrastruktur gemacht.
Während die USA mit Importzöllen und Exportverboten für Hightech-Produkte versuchen, das technologische Aufholen Chinas zu verhindern, ist dieses dabei, Asien, Afrika und Lateinamerika mit der Telekommunikations- und Internetinfrastruktur für das 21. Jahrhundert zu versorgen.
Bezahlt wird das alles übrigens zunehmend nicht mehr in US-Dollar, wie im Welthandel für viele Jahrzehnte üblich, sondern in den Währungen der beteiligten Länder. China hat inzwischen mit diversen Ländern Abkommen über den Austausch von Devisen, die zusammen einen Umfang von umgerechnet 500 Milliarden US-Dollar haben.
Geht die Entwicklung so weiter, wird sich über kurz oder lang zeigen, dass die militärische Dominanz der Nato auf tönernen Füßen steht. Hoffen wir, dass diese Einsicht in Washington, Brüssel oder Berlin nicht zu Kurzschlussreaktionen führt.