China ist leer
Die Wüsten wachsen - im bevölkerungsreichsten Land der Erde absurderweise vor allem die Immobilienwüsten
Während in Europa verschiedene Krisen für Leerstand gesorgt haben, egal ob man nun nach Griechenland, Spanien oder nach Deutschland schaut, ist in China vor allem der Boom dafür verantwortlich. Die Immobilienblase hat mittlerweile Ausmaße erreicht, dass man sich vor ihrem kommenden Platzen nur fürchten kann.
Wie hätten Sie's denn gern? Behagen Ihnen eher am Computer entworfene Schlafstädte für Hunderttausende von Minenarbeitern mit architektonischen Highlights im Zentrum? Oder würden Sie gern vom Balkon auf einen Nachbau des Eiffelturms blicken? Wie wäre es mit einer Ökostadt aus der Retorte, oder mit dem größten Einkaufszentrum der Welt? Der chinesische Bauboom der letzten zehn Jahre hätte für jede Preisklasse und anscheinend auch für jeden (schlechten) Geschmack etwas zu bieten - hätte, wenn nicht allzu oft Bedarf und Interesse fehlen würden.
Und so schießen denn (trotz der Behauptung, die entstandene Immobilienblase sei bereits geplatzt) weiterhin Geisterstädte wie die Pilze aus dem Boden. Dabei entstehen urbane Wüsten, die durchaus ihren surrealen Charme haben - vor allem für Fotografen und Filmemacher mit einem Faible für das Absurde. So kann man zum Beispiel im "Kangbashi New Area" in Ordos (Innere Mongolei) wunderbare Filme über das Skaten auf leeren Straßen und Plätzen in einer Wüstenmetropole drehen. Besonders die Szene gegen Ende, in der die Skater zwischen den riesigen Pferdestatuen hindurchfahren, sollte man sich nicht entgehen lassen.
Die New South China Mall in Dongguan bietet unglaublich viel Platz für unglaublich viel Nichts, und wirkt mit ihren leeren Hallen und Fluren ein wenig wie die modernisierte Neuauflage des - scheinbar - verlassenen Freizeitparks aus Chihiros Reise ins Zauberland. Wobei der bereits in fortgeschrittenem Verfall befindliche, nie in Betrieb genommene Freizeitpark Wonderland Amusement Park in der Nähe von Peking als Vorlage für Chihiro 2 noch geeigneter wäre.
Wer es ganz absurd mag, könnte auch einen Blick auf die "Eco Village" Tianjin werfen, ein Gemeinschaftsunternehmen von China und Singapur, das seine ökologische Reinheit vor allem der Abwesenheit von Bewohnern verdankt, oder Little Paris (Tianducheng), das ebenso leer ist.
Absichtlich in die Gegend gestellte Ruinen kennt man seit dem Barock - ein schönes Beispiel dafür sind Bauten wie der Merkurtempel oder die Römische Wasserleitung im Schwetzinger Schlossgarten.
Im Gegensatz dazu werden die chinesischen Geisterstädte dadurch als Ruinen markiert, dass sie zwar einen Gebrauchswert haben, dass den aber niemand in Anspruch nehmen will (oder eben nicht genug Menschen). Im Kangbashi New Area bewohnen 30.000 Menschen eine Stadt, die für 300.000 ausgelegt ist (andere Quellen sprechen von einer Million), und diese Unterbelegung, diese Stadtbevölkerung als Parodie ihrer selbst, verwandelt den realen Gebrauchswert der überzähligen Infrastruktur in einen fiktiven, der dem fiktiven Gebrauchswert der bereits als Ruinen erstellten Bauten im Schwetzinger Schlosspark doch ähnelt. Auch auf die schlüsselfertigen urbanen Wüsten Chinas kann natürlich der Spruch von Walter Benjamin angewendet werden, nach dem Ruinen im Reiche der Dinge das sind, was Allegorien im Reiche der Gedanken sind.
Wofür aber sind Gebilde wie das Kangbashi New Area oder Chengguong Allegorien? Man kann sie als Versinnbildlichungen einer tendenziell posthumanen Gesellschaft und ihrer Ökonomie lesen. Wenn die Skater zwischen den gigantischen Pferdeskulpturen herumfahren, so bewegen sie sich wie zwischen den Hinterlassenschaften einer untergegangenen Zivilisation, die in der Vorwegnahme ihres Untergangs noch einmal absurde, überlebensgroße Repliken ihrer Vergangenheit in die Gegend gestellt hat.
Weniger poetisch fällt die Antwort auf die Frage nach dem Zerstörungspotenzial des chinesischen Bauwahns aus. Während das Schwetzinger Schloss und sein Garten nur den Untertanen verschiedener Kurfürsten auf den Schultern lagen, sind in den chinesischen Geisterstädten enorme Werte gebunden. Ob deren Verfall eine weitere weltweite Wirtschaftskrise auslöst, hängt wohl nur davon ab, ob das ganze Abenteuer als eine innerchinesische Vernichtung von "silly money" aus hauptsächlich staatlicher Hand behandelt werden kann, oder ob durch die Verwicklung nicht-chinesischer Gläubiger ein Dominoeffekt wie seinerzeit beim Platzen der US-Immobilienblase in Gang gesetzt wird.
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