China plant eine ganze Reihe neuer Internet-Richtlinien
Zensur und "Sinisierung" der Verschlüsselungstechnik als erste Schritte
Die Zahl der ISPs in China hat sich im vergangenen Jahr verdoppelt, der Zuwachs der Nutzerzahlen alle Erwartungen übertroffen und ausländische Investoren lauern auf den endgültigen WTO-Beitritt, während Madeleine Albright bereits verkündet, wie sehr das Internet China verändern werde. Die chinesische Regierung will daher noch im Lauf der kommenden Wochen die Grenzen fürs Geschäft im Internet ziehen. Am vergangenen Mittwoch machte das nationale chinesische Büro für Geheimhaltung mit der Publikation von Richtlinien über die Einhaltung von Geheimhaltungspflichten im Internet den Anfang.
Die im Parteiblatt Volkszeitung veröffentlichten Bestimmungen betreffen sowohl die "physikalische Trennung" von Netzwerken, in denen der Geheimhaltung unterliegende Daten vorgehalten werden, als auch die Verbreitung solcher Daten durch Serviceprovider und User. "Informationen, die Staatsgeheimnisse betreffen, auch solche, die im Rahmen diplomatischer Zusammenarbeit schon geprüft und bestätigt und im Ausland entsprechend den Gesetzen bereits einem entsprechenden Adressaten überbracht wurden, dürfen nicht auf Servern gespeichert, behandelt oder weiterverbreitet werden", heißt es im Originaltext recht umfassend. Internetserviceprovider, Contentanbieter und die ganz normalen Surfer sind von der Richtlinie in gleichem Maße betroffen. Es gilt das Prinzip: "Verantwortlich ist, wer online ist". Neben Nachrichtenseiten werden deshalb auch Chaträume und Usenetgruppen in der Richtlinie genannt. Außerdem dürfen die Nutzer auch über Email keine "Staatsgeheimnisse" versenden, weiterleiten oder gar einem breiten Publikum zugänglich machen. Provider haben mit ihren Nutzern zu diesem Zweck entsprechende Vereinbarungen zu treffen.
Die Durchsetzung der Richtlinie übernehmen die für die Staatsgeheimnisse zuständigen Büros der entsprechenden Verwaltungsebenen. Sie sollen dazu die Voraussetzung bei den Nutzern ebenso kontrollieren wie bei den Providern. Für die Nutzer ließen sich damit wieder die offenbar inzwischen kaum noch üblichen Anmeldungen erneut begründen, ganz allgemein wird aber auch der Druck erhöht, sich auch im Netz politisch nicht zu weit aus dem Fenster zu hängen.
Für die Anbieter in- und ausländischer Nachrichten bedeutet die Richtlinie eventuell schon eine Neustrukturierung ihrer Angebote. Um sicher zu gehen, dass beim täglichen Nachrichtenüberblick keine "Staatsgeheimnisse" dabei sind - und ihr Dienst nach einer Warnung geschlossen wird -, müssen sie sich mit Nachrichten ausländischer Medien zurückhalten. Soweit Berichte nicht bereits von regulären Medien publiziert sind, müssen die Macher der Nachrichtenportale sie den für das Pressewesen zuständigen Ämtern vorlegen. Noch wollen die Vorreiter der neuen Nachrichtenportale wie "Sina.com", das erst vor kurzem vom Pekinger Bürgermeister und einer hochrangigen Parteidelegation Besuch erhielt, ihr Angebot nicht umstellen. Wang Yan, Manager von Sina.com sagte gegenüber Reuters, er sei nicht übermäßig beunruhigt und bezweifle, dass die Regeln von Usern gepostete Eigenberichte über Sport und Unterhaltung stoppen würden.
Doch gerade die aus dem Boden sprießenden Cyberreporter sind den für die Presse zuständigen Institutionen, der Propagandaabteilung der KP und dem Staatlichen Büro für Presse und Publikationen, ein Dorn im Auge. Auch von dieser Seite werden deshalb in den nächsten Wochen neue Richtlinien für die Publikation von Nachrichten im Netz erwartet. Der Hongkonger Zeitung Wenhui Bao sagte ein Vertreter des Pressebüros: "Wir begrüßen, dass die traditionellen Medien das Netz zur Verbreitung von Nachrichten nutzen, und wir fördern das auch. Nicht-Medien-Organisationen, die Informationen ins Netz stellen, sollten aber nur auswählen und weiterverbreiten. Denn ihre Qualität und Qualifikation ist ja unbestätigt, in den aktuellen Richtlinien für Journalisten gibt es keine 'Cyberjournalisten', diese müssten sich schon einem festgelegten Zulassungsverfahren unterziehen." Ob die neuen Regelungen dann den "Cyberjournalisten" vorsehen, das wird in den nächsten Tagen wohl bei der zweiten "Internetkonferenz" der Pressebehörden und des Ministeriums für Informationsindustrie (MII) entschieden. Kein Interesse hat man aber an einer Aufweichung der gut eingespielten Medienregulierung, die für die klassischen Medien existiert.
Dagegen gibt man sich im Querschnittsministerium MII durchaus aufgeschlossen. Auf der eigenen Homepage bat man um Stellungnahmen zu einer ebenfalls geplanten Richtlinie zur Qualitätssicherung im Bereich der elektronischen Dienste. Auch diese Richtlinie wird wohl in Kürze Rechtskraft erhalten.
Weniger Offenheit legte dagegen eine interministerielle Arbeitsgruppe an den Tag, die eine quasi-"Sinisierung" der Verschlüsselungstechnik betreibt. Erst gestern zitierte die Washington Post einen Vertreter der "Staatlichen Kommission für das Managment von Verschlüsselungstechniken" damit, dass ab 31. Januar jede in China verwandte Verschlüsselungstechnik bei der Kommission registriert sein müsse. Außerdem sollen, laut dem Bericht, in Zukunft alle elektronischen Geräte in China chinesische Verschlüsselungssoftware benutzen. Bei importierten Geräten würde das eine Preisgabe patentierter Quellcodes bedeuten. Während sich ausländische Investoren mit allen inhaltlichen Beschränkungen vielleicht noch abfinden können, dürfte manchem Unternehmen die Abtretung der "Schlüsselgewalt" an Chinas Amt für öffentliche Sicherheit den Angstschweiß auf die Stirn treten lassen. Der heiß ersehnte WTO-Beitritt hat den Regulierungsdruck in China deutlich erhöht.
Und was sagen die Nutzer in China zu all dem? Eine Online-Umfrage des Suchfuchs wurde heute innerhalb von wenigen Stunden von über 7000 Usern beantwortet. "Heutzutage werden von allerlei Webseiten, die von wenig Verantwortungsbewusstsein zeugen, ungeprüfte Gerüchte ins Internet gestellt, was dem Journalismus extrem schadet. Was glauben Sie, wie sollten Nachrichten im Web weiterentwickelt werden?" 1512 Besucher waren für eine strikte Kontrolle, 1820 sprachen sich für eine konsequente Verbesserung der technischen Bedingungen aus und 3483 chinesische Surfer (51 Prozent) meinten mit Blick auf ihr Medium ganz einfach: "Lasst es sich selbst entwickeln."