China will mehr Babys
Das Reich der Mitte plant einen Bevölkerungsstimulus und strebt langfristig eine "geburtenfreundliche Gesellschaft" an. Doch der Erfolg ist keineswegs garantiert.
Weltweit gehen die Geburtenraten in den Keller. Vereinfacht ausgedrückt werden nur noch im südlich der Sahara gelegenen Afrika mehr Kinder geboren, als zur dauerhaften Aufrechterhaltung einer konstanten Bevölkerungszahl nötig ist.
Zwar wachsen in einer ganzen Reihe Ländern die Bevölkerungen noch, doch das liegt einfach daran, dass es dort mehr junge Elternpaare gibt als je zuvor. Stark betroffen von dieser Entwicklung ist auch China. Dort bekommen Frauen im Durchschnitt noch 1,09 Kinder, noch etwa die Hälfte der 2,1 Kinder pro Frau, die nötig ist, um die Bevölkerungszahlen stabil zu halten.
Im vergangenen Jahr ist die Bevölkerung Chinas das zweite Jahr in Folge auf 1,4 Milliarden gesunken, was einem Rückgang von über zwei Millionen entspricht. Im Jahr 2023 wurden in China nur neun Millionen Geburten gemeldet, die niedrigste Zahl seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1949.
Niedrigste Geburtenrate seit 75 Jahren
Wie die South China Morning Post berichtet, hat Peking nun versprochen, ein Subventionssystem für Geburten einzuführen und weitere Steuersenkungen für Eltern anzubieten, um angesichts der drohenden demografischen Krise eine "geburtenfreundliche Gesellschaft" aufzubauen.
Die Behörden planen zudem, die Leistungen für medizinische Versorgung, Wohnraum und Urlaub für Familien erhöhen, um die Kosten für die Kindererziehung zu senken. Zwar wurden in den vergangenen Jahren auf lokaler Ebene verschiedene Bargeldanreize eingeführt, um die Geburtenrate anzukurbeln.
So bietet zum Beispiel Shangyou in der östlichen Provinz Jiangxi einmalige Zahlungen von 7.000 Yuan (988 US-Dollar) für ein zweites und 13.000 Yuan (1.820 US-Dollar) für ein drittes Kind an.
Detaillierter Plan der Zentralregierung
Aber auch in China weiß man, dass Einmalzahlungen völlig ungeeignet sind, um die Zahl der Geburten zu erhöhen. Die South China Morning Pst zitiert denn auch einen Nutzer der Plattform Weibo, der schrieb, solche Maßnahmen wirkten, als ob man einen Ferrari kaufe und die Regierung einem einen Gutschein im Wert von 100 Yuan gebe.
Also erklärte Peking nun, dass die Zentralregierung sich der Sache annimmt und einen detaillierten Plan auf nationaler Ebene ausarbeitet, wobei Beobachter mit Ausgaben von bis zu 500 Milliarden Yuan (70 Milliarden US-Dollar) pro Jahr rechnen. Typisch chinesisch ist dabei, dass man nicht nur Einzelmaßnahmen aufeinander abstimmen will, sondern darauf abzielt, eine Atmosphäre zu schaffen, in der jeder die Geburt von Kindern respektiert und unterstützt.
Eine neue Richtlinie des chinesischen Kabinetts schließlich sieht die Ausweitung von Einkommenssteuerabzügen für Eltern und die Aufnahme von reproduktions-unterstützenden Dienstleistungen in das nationale Versicherungssystem vor.
Jährliche Ausgaben von 70 Milliarden US-Dollar
Familien mit mehreren Kindern sollen darüber hinaus beim Kauf von Wohneigentum bevorzugt werden, u. a. durch höhere Darlehensgrenzen für den öffentlichen Wohnungsbau und größere Wohnungen, wenn sie sich um erschwinglichen Wohnraum bewerben.
Geburtenraten nachhaltig zu steigern, ist bisher noch keiner Regierung gelungen. Das liegt auch daran, dass es bis heute keine allgemein anerkannte, soziologische Theorie zu dem Phänomen gibt.
Foreign Affairs etwa beruft sich auf den Wirtschaftswissenschaftler Lant Pritchett, der seinerseits die Wünsche von Frauen als entscheidenden Faktor für die Bevölkerungsentwicklung ausmacht. Demnach besteht weltweit eine fast hundertprozentige Übereinstimmung zwischen der nationalen Fruchtbarkeitsrate und der Anzahl der Kinder, die sich Frauen wünschen.
Frauen entscheiden über die Kinderzahl
Ihre mangelnden Kenntnisse über die Wünsche und Ziele von Frauen ist den Verantwortlichen in Peking offensichtlich bewusst. Denn gerade hat das Nationale Amt für Statistik eine Stichprobenerhebung zur Bevölkerungs- und Familienentwicklung in China genehmigt. Sie zielt auf Frauen aus etwa 30.000 Familien, die 1.500 Gemeinden oder Dörfer in 150 Bezirken im gebärfähigen Alter ab.
Die Zentralregierung hofft so zu erfahren, warum so viele Frauen zögern, mehr Kinder zu bekommen, und neue politische Optionen zu entwickeln. Man will nicht nur die tatsächlichen Schwierigkeiten und Bedürfnisse von Familien bei der Geburt und der Elternschaft ergründen, sondern auch verstehen, warum der Kinderwunsch und die Bereitschaft, Kinder zu bekommen so selten seien.
Doch Kampagnen zur Auslotung der Stimmung und zur Schaffung von Schwangerschaftsanreizen stoßen auf Ablehnung und Ressentiments, berichtet die South China Morning Post an anderer Stelle.
Kein Geld, keine Zeit und keine Energie
Das liegt zum Teil an dem ungeschickten Vorgehen der Offiziellen. Denn parallel zur zentral gesteuerten Umfrage werden derzeit Zehntausende chinesische Frauen im gebärfähigen Alter, mit ausgedehnten Kampagnen der Bezirke konfrontiert. Regierungsmitarbeiter an der Basis werden mobilisiert, um Frauen in ihren Vierteln zu kontaktieren und sie von einer Schwangerschaft zu überzeugen
Zum anderen hat es historische Gründe, denn viele Befragte haben sich über die Ein-Kind-Politik beschwert, die offiziell erst 2021 beendet worden ist. Viele, die von der Regierung wegen Verstoßes gegen die Vorschriften zur Geburtenkontrolle zu Geldstrafen verurteilt worden waren, forderten, dass die Behörden die verhängten Strafen zurückerstatten.
Eine ganze Reihe der befragten Frauen macht sich auch Sorgen über die wirtschaftliche Entwicklung und ihre Beschäftigungsaussichten. Doch die allermeisten Frauen geben eine sehr einfach klingende Antwort: Sie haben schlichtweg kein Geld, keine Zeit und keine Energie für ein zweites Baby.
Wie ein solches Lebensgefühl mit gesellschaftlichen Mitteln zu ändern sein könnte, dürfte noch lange ein Geheimnis bleiben.