Chinas unbekannte Literaturen
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Diese Übersicht ist für Leser gedacht, die sich für China interessieren und diese fremde Kultur gerne ein wenig besser kennenlernen wollen – das aber aus erster Hand.
Selbstverständlich muss jeder westliche Blick in Bezug auf Chinas Literatur stark eingeschränkt bleiben: Da spielt zunächst der Sprachfilter eine große Rolle, auch wenn Übersetzungen ins Englische mitgerechnet werden, die häufiger sind als ins Deutsche. Hinzu kommt, dass westliche Verlage bevorzugt kritische und/oder indizierte Werke (häufig von Autoren, die im Exil leben) veröffentlichen.
So entsteht insgesamt ein schräges Bild der chinesischen Literatur- und Filmlandschaft.
Will man das moderne China ein wenig verstehen lernen, ist die Lektüre von Mo Yan (zu Deutsch etwa "Keine Sprache") außerordentlich wertvoll. Der Literaturnobelpreisträger hat sich zu einer ganzen Reihe von Themen geäußert, die die Menschen (nicht nur, aber vor allem) in China bewegen.
Keine Sprache
Hier deshalb zunächst eine Auswahl wichtiger Werke von Mo Yan – geordnet nicht nach Erscheinungsdatum, sondern nach dem historischen Zeitabschnitt, dem der Roman jeweils gewidmet ist:
- "Die Sandelholzstrafe" behandelt die letzten Tage des chinesischen Kaiserreichs und den brutalen Imperialismus Japans, der USA und der europäischen Mächte (Boxeraufstand).
- "Das rote Kornfeld" befasst sich mit den Umwälzungen zwischen dem Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg ab 1931 und der Kulturrevolution bis 1976. Das Werk ist auch sehr erfolgreich verfilmt worden.
- "Die Knoblauchrevolte" handelt von Fehlplanung und behördlicher Willkür in der Volksrepublik China und dem dadurch entstehenden Leid, thematisiert aber auch die Versuche Einzelner, sich zu wehren. Das Buch steht in China auf dem Index.
- "Die Schnapsstadt" beschreibt im Kern die Arbeit eines Ermittlers, der in einem äußerst korrupten Umfeld wegen Kannibalismus(!) ermitteln soll. Eine derart bitterböse und gesellschaftskritische Satire, die sehr gezielt Tabus bricht, fehlt im westlichen Literaturkanon völlig.
- "Frösche" handelt von der Ein-Kind-Politik.
Yu Hua ist hauptsächlich mit seinem Roman "Leben!" berühmt geworden, von dem es auch eine extrem sehenswerte Filmfassung gibt. Erzählt wird die wechselvolle Geschichte eines Bauern (und seiner Frau), der erst seinen Besitz verzockt und dann in die Kriegs- und Nachkriegswirren gerät, aus denen das moderne China hervorgeht.
Leben!
Weitere wichtige Werke von Yu sind: "Brüder". Hier geht es um die Kulturrevolution und die anschließend einsetzende Öffnung des Landes. "Der Mann, der sein Blut verkaufte" erinnert an eine weitverbreitete Praxis, mit der arme Menschen ‒ längst nicht nur ‒ in China, ihre Kasse aufbessern.
Auch "Schreie im Regen" behandelt die ‒ zum Glück mittlerweile größtenteils überwundenen ‒ Armutsprobleme Chinas. Sein Essayband "China in zehn Wörtern" steht in China ebenfalls auf dem Index.
Von Li Rui beeindruckt "Die Salzstadt". Darin geht es um eine Frau, die sich für den Erhalt ihrer Familie aufopfert und im Laufe der Verwerfungen zwischen dem Ende der Kaiserzeit und dem Beginn der Kulturrevolution alles, wirklich alles verliert.
Tibet
Allen Tibet-Fans sei der großartige Roman "Roter Mohn" von Alai wärmstens empfohlen. Brutale Feudalherren, kleinliche Lamas, Intrigen, Fehden und laufend wechselnde Allianzen mit den oder gegen die Han-Chinesen prägen das Bild.
Alai hat auch zum bemerkenswerten Erzählband "An dem Lederriemen geknotete Seele" beigetragen, in dem verschiedenste Facetten des modernen Lebens in Tibet angesprochen werden ‒ einschließlich der extrem lebensfeindlichen und auch heute noch bedrohlichen Umwelt.
Auch in der DDR-Buchreihe "Erkundungen" ist 1984 ein spannender Band mit 16 chinesischen Erzählungen veröffentlicht worden.