Chinesen im römischen Londinium?
Die Analyse von Skeletten aus England und der Fund antiker römischer Münzen in Japan haben die Debatte um die Beziehungen zwischen den Reichen der Antike neu belebt
In internationalen Medien macht derzeit ein Aufsatz Schlagzeilen, den die Osteologin Rebecca Redfern in der aktuellen Ausgabe des Journal of Archaeological Science veröffentlicht hat. Darin verkündet die am Museum of London beschäftigte Kuratorin, die Ergebnisse der Analyse von 22 Skeletten aus einem antiken römischen Friedhof in Southwark habe ergeben, dass zwei der Knochengerüste wahrscheinlich von ethnischen Chinesen stammen.
Methode birgt im archäologischen Einsatz Unsicherheiten
Sieht man sich an, wie Redfern zu diesen Ergebnissen kam, wirkt diese Erkenntnis allerdings etwas weniger gesichert: Neben Isotopen in Zähnen und Knochen, die Auskunft über Herkunft und Ernährung geben können (aber in diesem Fall wenig aussagekräftig waren) verglich sie die Formen von Knochen und Zähnen mit denen heute lebender Menschen. Diese Methode, die auch in der Forensik angewendet wird, um Identitäten von Verbrechensopfern zu ermitteln, birgt im archäologischen Einsatz mehrere Unsicherheiten: Je schlechter erhalten die Knochenfragmente sind, desto weniger Merkmale gibt es, mit denen sich Ähnlichkeiten feststellen lassen - und 41 Prozent der Fundstücke aus Southwark waren so schlecht erhalten, dass teilweise nur zwei Merkmale zum Vergleich herangezogen werden konnten.
Bislang keine DNA
Eine zweite Schwäche der Methode ist, dass die Knochenmorphologiedaten heutiger Chinesen nicht unbedingt denen antiker Chinesen am meisten ähneln müssen. Der Bioarchäologin Kristina Killgrove von der University of West Florida zufolge klassifiziert das Forensik-Vergleichsprogramm FORDISC beispielsweise andere römische Skelettdaten als vermeintlich asiatisch. Um sicher zu gehen, dass die beiden als chinesisch eingestuften Skelette, die in der Zeit zwischen dem 2. und dem 4. Jahrhundert in Londoninum begraben wurden, tatsächlich von Chinesen (oder vielleicht auch von Hunnen oder anderen Asiaten) stammen, bräuchte man DNA, die bislang nicht aus den Knochen extrahiert werden konnte.
Serica und Da Quin
Dass Chinesen auf dem Gebiet des ehemaligen Römischen Reichs begraben wurden, ist durchaus nicht unmöglich: Obwohl die Imperien durch das persische Partherreich und das zentralasiatisch-indische Kuschanareich getrennt waren, wusste man in Rom und China voneinander und tauschte Waren und seit 166 auch Botschafter aus. Das ferne Land im Osten, in dem die Seide angeblich auf Bäumen wuchs, hieß in Rom "Serica" - und das nicht weniger wunderlich geschilderte westliche Imperium in China "Da Qin", beziehungsweise später "Fu Lin" (Byzanz). Dass sich die Bewohner des Wüstenstädtchens Zhelaizhai heute als Nachfahren kriegsgefangener römischer Legionäre präsentieren, dürfte jedoch vor allem touristische Gründe haben - auch wenn die Schilderung, dass Hilfstruppen der Xiongnu-Reiternomadenkonföderation in der Schlacht von Zhizhi 36 vor Christus in einer "Fischschuppenformation" aufmarschierten, tatsächlich an den römischen Schildkrötenpanzer erinnert.1
Der Austausch von Gütern führte dazu, dass sich in China und im vietnamesischen Óc Eo auch römische Münzen finden - die frühesten davon aus dem ersten Jahrhundert nach Christus. Nun hat der Archäologe Hiroyuki Miyagi solche römischen Münzen auch in Japan entdeckt, in den Überresten der Burg Kasturen in der Präfektur Okinawa, die seit 2013 ausgegraben werden. Der Archäologe hielt das für so unwahrscheinlich, dass er erst an Nachbildungen glaubte, die von Touristen abgelegt wurden. Am Montag bestätigte dann die Wissenschaftsbehörde von Uruma, dass die zehn Münzen tatsächlich aus der Zeit zwischen 300 und 400 nach Christus stammen. Nun will Miyagi herausfinden, welchen Weg die Zahlungsmittel nahmen.
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