Clash im Internet?
Seite 2: Chinas kulturelle Identität im Cyberspace
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Zhu Bangfu, der vor 23 Jahren das chinesische Textverarbeitungssystem "Cangjie" (
) erfunden hat und als "Vater des chinesischsprachigen PC" angesehen wird, äußert sich schon seit längerem in dem Sinne, dass es ihm darum gegangen sei und immer noch darum gehe, der Dominanz der englischen Sprache im IT-Sektor ein Ende zu machen. Sein Streben gilt natürlich nicht nur der "Sinisierung des Computers", er behauptete vor einem Jahr sogar, dass innerhalb von fünf Jahren China mit seinen neuen Produkten die Amerikaner hinsichtlich ihrer führenden Stellung in den entscheidenden technologischen Bereichen der internetgestützten Kommunikation ablösen wird. Es bedarf offensichtlich einer ganz schönen Portion Mut, um sich solchen Ansichten anzuschließen.
Immerhin ist die Frage, ob chinesische Internetnutzer gegebenenfalls auf Englisch verzichten können, eine kommunikations- und kulturpolitisch eminent wichtige Frage, gerade auch angesichts der weiter steigenden Zahl der Internetnutzer in China. Neben der von Zhu Bangfu bereits vor einer Reihe von Jahren auf die Tagesordnung gesetzten "Sinisierung des Computers" gibt es andere Indizien dafür, dass diese Problematik reflektiert und verstanden wird. So begann das China Internet Network Information Center (CNNIC) - unter dem Motto "Chinesen sollen selbst über die chinesischen Internetadressen bestimmen" - Ende 2000 mit der Registrierung rein chinesischsprachiger Domain-Namen: 60.000 Registrierungen gingen in den ersten Stunden ein, nach zwei Tagen waren es schon 450.000. Seither enden die chinesischen Internet-Adressen entweder mit dem Kürzel .cn oder mit
, dem chinesischen Zeichen für China. Man habe damit endlich "die Sprachhürde überwunden, die Chinesen bisher den leichten Zugang zum Netz verbaut hat", hieß es 2000 in einem Artikel der Parteizeitung People's Daily.
Mit der Abwendung von der gängigen Internetnorm, wonach das Land des Nutzers mit einem aus zwei lateinischen Buchstaben gebildeten Kürzel anzugeben sei, will man im nationalen Alleingang "Chinas kulturelle Identität" im Cyberspace offensichtlich wiedergewinnen. Mag sein, dass man es sich damit etwas leicht macht und die Durchsetzung einer chinesischen Alternative für .cn überbewertet, aber es ist - zugegebenermaßen - ein Anfang. Oder auch mehr, wenn nämlich zutrifft, was Paul Treanor in seinem Artikel Der Hyperliberalismus des Internet feststellt, dass wir nämlich "möglicherweise ein Erstarken nationaler Kulturen erleben werden" und dass sich damit in Ausdifferenzierung des existierenden (hauptsächlich US-amerikanischen) Internet eine ganze andere Realität parallel existierender, nationaler Varianten entwickelt.
Bis Mai 2003 war nur von einer Testphase die Rede, in der die Registrierung und Nutzung der chinesischsprachigen URL-Adressen möglich sein sollte. Am 9. Mai 2003 kündigte CNNIC an, dass nun das dem internationalen Standard entsprechende System die chinesischsprachigen Domain-Namen offiziell integriert habe. Die chinesischen Nutzer können sich jetzt nicht nur mit dem Kürzel .cn ins Netz einloggen, sondern auch mit
,
oder
, den chinesischen Zeichen für China, net und com. Man kann z.B. mit
zur Website der Peking Universität gehen. Statt dem englischen dot zwischen dem chinesischen Namen und dem Kürzel kann der Nutzer den chinesischen Punkt
verwenden, um sich den umständlichen Sprachwechsel auf der Tastatur zu ersparen. Im Moment sind bereits eine halbe Million solcher auf lateinische Buchstaben verzichtenden chinesischen Domain-Namen registriert.
Der Einstieg in eine vorgeblich globale "Kommunikationsgesellschaft" stellt China in verstärktem Maße vor eine Frage, die bereits seit dem 19. Jahrhundert Chinas Geschichte prägt: nämlich, ob das Land einen Kurs "fortschreitender Verwestlichung" einschlagen oder unter nostalgischer, kulturkonservativer Verteidigung seiner "traditionellen" Werte vor allem westliche Technologien einführen soll? Die fortschrittlicheren unter den Intellektuellen wissen natürlich, dass es darum gehen muss, bei gleichzeitiger Weiterentwicklung seiner eigenen, spezifisch chinesischen Soziokultur (mit ihren den konkreten Lebensumständen und Bedürfnissen der Bevölkerung entspringenden Wertvorstellungen) sich einem gleichberechtigten Austausch mit anderen Kulturen der Welt nicht zu verschließen.
Wegen der Sprachbarriere, die das Englische im Internet in bestimmter Hinsicht darstellt, und angesichts der Tatsache, dass nicht jeder aus dem einfachen Volk bereits gut mit dem Computer umgehen kann, wird in der chinesischen Debatte der Einführung der chinesischen URL-Adressen ganz offensichtlich eine strategische Bedeutung für die Verbreitung und Entwicklung des Internet in China zugesprochen. Im Augenblick sind allerdings die meisten chinesischen Websites noch unter .com im Ausland registriert. Dies bedeutet nicht nur einen Devisenabfluss und eine Belastung des internationalen Breitbands. Man ist außerdem noch besorgt wegen der Datensicherheit und einer möglichen Abschaltung oder Lahmlegung des Service in kritischen Zeiten.