"Computerspielbezogene Störung"

Bild: Mark Decile/Unsplash

BZgA-Studie zur Droge der Zukunft: Exzessive Nutzung von Internet, Smartphones und Computerspielen. Junge Menschen wissen offenbar nicht mehr, wie man offline geht

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Als man mir zum ersten Mal von dem lauten Geschrei erzählte, das eine Familie monatelang so sehr quälte, dass schließlich jeder bei einem Therapeuten landete, hat mich das zum Lachen gebracht, weil ich es mir nicht vorstellen konnte. Jetzt lache ich über den Satz "Junge Menschen müssten wissen, wann sie auch mal offline sein sollten", weil ich mir nun dies nicht mehr vorstellen kann. Zumindest nicht in den nächsten zwei Jahren. Ab 17 soll es besser werden mit der "computerspielbezogenen Störung".

Die Wissenschaftler, die sich damit befassen, verstehen darunter Verhaltensstörungen einer Person, für die Games zur Droge werden. In der Erfahrung der Laienwelt ist "computerspielbezogene Störung" hauptsächlich lautes Geschrei und wortschatzerweiternde Beschimpfungen aus dem Zimmer des jüngeren Teils der Wohngemeinschaft. Erst schaut man auf die Uhr, dann schließt man die Türen, dann schaut man wieder auf die Uhr und schaut, ob die Tür wirklich zu ist, zwischendrin sagt man ein paar freundliche Worte, dann zeigt man dem Mitbewohner die Uhr und ist nicht mehr ganz so freundlich.

Wenn man dann beim nächsten Move mit der Uhr bestimmter wird, geht die Lautstärke zurück, um nach einiger Zeit jedoch noch viel weiter nach oben zu steigen, als ob es etwas aufzuholen gebe. Dann eskaliert die Sache. Kommt es ganz schlimm, wird die Konsole abgebaut und auch der Laptop mitgenommen - es beginnen lange Regierungsrunden mit der Opposition.

"Junge Menschen müssten wissen, wann sie auch mal offline sein sollten", sagt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU). Für sie ist Medien- und Internetabhängigkeit "die Droge der Zukunft". Aktueller Anlass für diese Äußerungen ist der BZgA-Forschungsbericht "Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik 2019", dessen "Teilband Computerspiel und Internet" heute veröffentlicht wurde.

Dessen Ergebnisse werden niemand ernsthaft überraschen. Interessant sind die Bewertung und die Konsequenzen. Kurz zusammengefasst in den Worten der Drogenbeauftragten der Bundesregierung:

"Immer mehr Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene nutzen die digitalen Medien mehr als ihnen guttut." Insgesamt sei Digitalisierung ein wertvolles Gut, gerade während Corona, aber man müsse auch mal offline sein. Sie spricht von der Gefahr der Abhängigkeit.

Die Leiterin der BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung), Prof. Dr. med. Heidrun Thaiss, wiegelt etwas ab:

Nicht jeder Hinweis auf eine exzessive Mediennutzung sollte pathologisiert werden. Gleichwohl dürfen die Suchtrisiken von digitalen Spielen sowie eine mögliche Verknüpfung mit Glücksspielen nicht verharmlost werden. Die Studiendaten bestätigen, wie wichtig es ist, Jugendlichen die Risiken der exzessiven Nutzung von Internet, Smartphones und Computerspielen aufzuzeigen. Darüber hinaus gilt es, Eltern und andere erwachsene Bezugspersonen für ihre Vorbildrolle für Kinder und Jugendliche zu sensibilisieren.

Heidrun Thaiss

Dazu ein paar Zahlen:

Im Zeitraum von 2015 bis 2019 ist der Anteil der 12- bis 17-Jährigen und 18- bis 25-Jährigen mit einer problematischen Internetnutzung nochmals gestiegen. Er hat sich bei den Jugendlichen von 21,7 Prozent im Jahr 2015 auf 30,4 Prozent im Jahr 2019 und bei den jungen Erwachsenen von 15,2 Prozent in 2015 auf 23,0 Prozent in 2019 erhöht.

Internetbezogene Störungen treten im Jahr 2019 bei 7,6 Prozent der 12- bis 17-Jährigen auf. Im Jahr 2015 lag dieser Wert bei 5,7 Prozent. Sie treten aktuell bei 4,1 Prozent der 18- bis 25-Jährigen auf und lagen im Jahr 2015 bei dieser Altersgruppe bei 2,6 Prozent.

Unter den 12- bis 17-jährigen weiblichen Jugendlichen und den 18- bis 25-jährigen jungen Frauen ist die internetbezogene Störung beziehungsweise die problematische Nutzung im Jahr 2019 etwas weiter verbreitet als unter männlichen Jugendlichen und jungen Männern entsprechenden Alters.

Pressemitteilung BZgA

Genauer aufgeschlüsselt werden die Angaben, die 7.000 Befragte im Zeitraum vom 15. April bis 20. Juni 2019 - also weit vor Corona-Ausgangsbeschränkungen - in Telefoninterviews machte, in der 44-seitigen Studie (PDF). Dort wird etwa berichtet, dass die 12- bis 25-Jährigen das Internet am häufigsten zur Kommunikation nutzen.

Erst dann folgen in der Nutzung die Unterhaltungs- und Informationsangebote des Internets sowie das Spielen von Computerspielen. Mit leichten Unterschieden in den Altersgruppen: "12- bis 17-Jährige nutzen Computerspiele und das Internet durchschnittlich 22,8 Stunden und 18- bis 25-Jährige durchschnittlich 23,6 Stunden pro Woche".

Wer denkt, dass Mädchen bzw. junge Frauen vor allem der Kommunikation wegen "problematisch viel" an Netzgeräten sind, täuscht sich.

Im Zeitraum von 2011 bis 2019 hat die Verbreitung computerspiel- und internetbezogener Störungen bei männlichen und weiblichen 12- bis 17-jährigen Jugendlichen zugenommen. Außerdem ist der Anteil der Jugendlichen mit einer problematischen Computerspiel- oder Internetnutzung angestiegen.

Unter den 18- bis 25-jährigen jungen Frauen ist die Verbreitung computerspiel- und internetbezogener Störungen im Zeitraum von 2015 bis 2019 gestiegen. Sowohl für 18- bis 25-jährige junge Frauen als auch junge Männer ist eine Zunahme der problematischen Computerspiel- oder Internetnutzung zu beobachten.

Studie BZgA

Zu den Eigenarten der problematischen Computerspiel- oder Internetnutzung gehört, dass es hier einen unweigerlichen Generationenkonflikt gibt, wie mir ein computerspielerfahrener Vater erzählte. Er, der selbst noch ganze Wochenenden mit Freunden beim Gamen verbrachte, streitet sich mit seinen Kindern in ähnlichen Abläufen wie oben geschildert über das richtige Zeitmaß.