Copy and Waste

Ohne Fotokopierer hätte es Punk nicht gegeben - zumindest nicht so, wie er jetzt in einer Düsseldorfer Ausstellung zu sehen ist

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am 22. Dezember 1959 wird die Rank Xerox GmbH in Düsseldorf gegründet. Der erste vollautomatische Kopierer kommt auf den deutschen Markt. 1977 wird der "Ratinger Hof" in Düsseldorf neu eröffnet. Bands wie "Charley's Girls" oder "KFC" spielen hier. Punk kommt nach Deutschland. 2002 zeigt die Ausstellung "Zurück zum Beton" in der Düsseldorfer Kunsthalle, was beide Ereignisse verbindet: Punk fiel mit einem vielleicht kleinen, aber kulturell bedeutendem Entwicklungssprung in der Technologiegeschichte zusammen.

Ende der siebziger Jahre sanken die Preise für Fotokopierer so tief, dass eine Vielzahl neuer Copyshops rentabel arbeiten und die Preise je Kopie auf bald zehn Pfennig senken konnte. Außerdem verbilligten sich Doppelkassettendecks so weit, dass sie bald zur Ausstattung ganz normaler Haushalte gehörten. Die Folgen sind heute in der Düsseldorfer Kunsthalle zu sehen: Die Wände eines Ausstellungssaals bedecken kopierte Flyer, Plattencover, Fanzine-Ausrisse, Presseartikel und Promobriefe. Auf einem Podest mit der Anmutung eines Grabbeltischs sind kopierte Fanzines wie "Die Düsseldorfer Leere" aufgetürmt.

Diese merkwürdig anmutende Musealität einer Bewegung, die all das gewiss nie wollte, durchbricht allein einer ihrer Protagonisten. Beziehungsweise ein Nachfahre: Unscheinbar grau steht er am Fenster - der Fotokopierer mit der Aufforderung: "Hier können sie kostenlos Fanzines kopieren". Diese Idee vermittelt ein wenig der Do-it-yourself-Begeisterung, an die Peter Glaser sich im Katalog erinnert:

"Der schnellen und kostengünstigen Publikation eigener Medien kam die gerade einsetzende Verbreitung von Copyshops entgegen. Rasch getippt, geklebt und fotokopiert, ließen sich in den eigenen Fanzines Nachrichten und Ideen, die unter den Nägeln brannten, umgehend und ohne eine redigierende Zwischeninstanz, die sowieso nichts verstand, verbreiten."

Doch Kopierer dienten nicht allein der Vervielfältigung. Beim analogen Copy&Paste ging ursprüngliche Information verloren und neue kam hinzu. Kopieren war auch ein Prozess der Aneignung, bei dem jede Aura zerstört und durch etwas wie eine schmutzige Dilettanten-Ästhetik ersetzt wurden. Sehr schön beschreibt das Peter Hein - ehemaliger Sänger von "Mittagspause", "Fehlfarben" und vielen anderen und außerdem seit einem Vierteljahrhundert Mitarbeiter von Rank Xerox. Rückblickend charakterisiert er die Fanzine-Produktion so:

"Innerhalb kürzester Zeit begann ein Spiel mit Formen und Inhalten, es wurde Kunst der zwanziger Jahre, Propaganda und Op-art in die Gestaltung der Zeitung und der Zettel eingebracht, geschrieben wie man gerade was las, hardboiled, surreal, streamofconsciousness, was man will. Und wer beim Kopierhersteller arbeitet, wird ja unfreiwillig bestens gesponsert, so konnten herrliche endlosvergrößerte Detailausschnitte und Mehrfachbelichtungen zu unerkennbaren Konzertankündigungen und Plattencovern werden."

Von dieser Aneignung und Rekontextualisierung beliebiger Formen erzählt auch die Musik der damaligen Zeit. Anfang der achtziger Jahre trug ein Sampler mit Münchner Punk und New Wave den Titel "München: Reifenwechsel leicht gemacht und in "Mit der Tür ins Haus" von "FSK" hieß dann 1984 der Reffrain: "Jetzt helfen wir uns selbst."

Natürlich wurde auch die Form der Musik selbst diesem Prozess unterworfen. In erster Linie konnten mit Doppelkassettendecks Bands verbreitet werden, denen das Medium Schallplatte - in Presswerken wurde unter 500 Stück Auflage nur selten produziert - mangels Aufmerksamkeit unzugänglich blieb. Doch neben der Verbreitung selbst spielte auch die neue Form eine Rolle: Kassetten - vor allem die x-te Kopie einer Kopie - klangen hart und billig. Und das war gut so. Wie Wolfgang Müller Anfang der achtziger Jahre in "Geniale Dilettanten" schrieb:

"Lärm und Krach kann jeder machen, dazu braucht man keine Digital-Aufnahmetechnik oder ein 36-Spur Studio mit tausend Rafinessen."

Der Gestus des Copy&Paste wirkte bald auch jenseits technischer Zusammenhänge. Punk eignete sich Lebensstile in ähnlicher Weise an: "Von der Lederjacke zur selbstbemalten Berufskluft, zum Blaumann, zum Sechziger-Jahre-Look, zum grotesken Schrebergärtneranzug, Kapitänsmützen, Skahütchen", beschreibt Peter Hein die - auch zwecks Abgrenzung von Nachwachsenden - immer schneller wechselnde Abfolge zitierter und rekontextualisierter Formen in der Szene. Punk war in erster Linie keine politische Bewegung, sondern die Erprobung neuer Arten der Formfindung.

Diese Praxis wurde erst mittelbar eine politische im engeren Sinn. Labels wie "Pope-Music-Productions" oder "Flying Pig Records", die Bootlegs von Konzernten auf Kassetten herausbrachten und so traditionelle Formen der Musikproduktion unterliefen, stießen Anfang der achtziger Jahre an die Grenzen des Wirtschaftssystems und auf den Widerstand von Gema und Ifpi. Und sie haben verloren - Bootlegs wurde bald nicht mehr vertrieben, nur den Labels genehme Live-Aufnahmen.

Gerade vor diesem Hintergrund ist es schade, dass die Düsseldorfer Ausstellung sich auf die Archivierung einst gefundener Formen beschränkt und keine Weiterschreibung versucht. Anreicherung und Reduktion von Information per Copy&Paste ist die Praxis digitaler Kulturproduktion schlechthin. Die Werkzeuge sind so mächtig geworden, dass Menschen wie sogar eigene Fassungen von Filmen produzieren und übers Netz verbreiten können. Ein prominentes Beispiel: "Star Wars Episode 1.1.: The Phantom Edit" eines so genannten DJ Hump.

Seit den neunziger Jahren ist eine ähnliche Gleichzeitigkeit von technologischer und kultureller Entwicklung zu beobachten wie sie die Düsseldorfer Ausstellung in den späten siebziger, frühen achtziger Jahre aufzeigt. Man kann sogar direkte Reminiszenzen an Punk beobachten: Die Do-it-yourself-Euphorie der kopierten Fanzines im Motto von textz.com "we are the & in copy & paste". Der dreckige Retrosound der kopierten Kassetten bei amiga-gepowerten und nur mit einem nicht-existierenden Begriff zwischen Gabber, Speed- und Hardcore zu beschreibenden Bands wie "Schizoid" oder "Lolita Scream".

Und ähnlich wie Anfang der achtziger Jahre zieht auch heute die Praxis der Formfindung politische Fragen nach sich: Obwohl Künstler wie David Bowie den Tod des Autors verkünden, ist ungenehmigtes Sampling in den Vereinigten Staaten seit einem Prozess gegen den Rapper Biz Markie 1991 illegal. Die in Europa anstehende und in den Vereinigten Staaten bereits vollzogene Verschärfung des Urheberrechts hätte demnach ein zentrales Thema in Düsseldorf sein können. Punk's not dead - verstanden als besonderer Zusammenhang von technischer und kultureller Entwicklung. Noch.

Zurück zum Beton - Die Anfänge von Punk und New Wave in Deutschland 1977-'82. Kunsthalle Düsseldorf, bis 15. September.
Katalog. Zurück zum Beton, Köln, 2002, 19,80 Euro.
Jürgen Teipel: Verschwende Deine Jugend, Frankfurt am Main, 2001, 12,50 Euro