Copyright-Krieg in der EU

Das Europaparlament hat der drastischen Verschärfung der Durchsetzungsmöglichkeiten von "geistigem Eigentum" zugestimmt und die Entfremdung der "Generation Copy" von der Politik damit auf die Spitze getrieben

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Die Musik- und die Filmindustrie hat mit der Verabschiedung der Richtlinie über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum einen weiteren Phyrrus-Sieg in ihrem fortdauernden Krieg gegen Raubkopierer erzielt. Nun kann sie endlich ein drastisches Sanktionsinstrumentarium, das sich ursprünglich gegen gewerbliche Produkt- und Markenpiraten sowie Urheberrechtsverletzer im großen Stil richten sollte, auch gegen die Nutzer von Online-Tauschbörsen in Stellung bringen. Doch der Schuss wird nach hinten los gehen, denn die gebeutelte Branche wird mit den Waffen des neuen Gesetzes keinen einzigen Kunden zurückgewinnen. Im Gegenteil.

Der 9. März 2004 dürfte als Tag in die Geschichte eingehen, an dem in Europa ein mit allen Bandagen ausgefochtener Copyright-Krieg ausbrach. Es war der Tag, an dem die Mehrheit der Europaparlamentarier grünes Licht - schnell begrüßt von der Kommission - für einen vermeintlichen Kompromiss zu einem umstrittenen Gesetzeswerk gaben, welches das Regiment des "geistigen Eigentums" zu stärken suchte und damit den Bogen endgültig überspannte.

Schon bei der Verkündigung der Abstimmungsergebnisse reagierten empörte Vertreter der Netzgeneration mit erst gar nicht verklausulierten Mordaufrufen gegen die von den Industrielobbyisten gekauften Politiker sowie mit umfassenden Aufrufen zum Boykott des Kaufs von Musik-CDs, Kinotickets oder kommerziellen Videos.

Die Inhaber und Verwerter von Urheber-, Patent- oder Markenrechten durften wenige Monate später nach der erfolgten Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht ohne die Einleitung umständlicher Strafverfahren umfassende Auskünfte über Bürger einholen, die sich des Verstoßes an ihrem "geistigen Eigentum" verdächtig gemacht hatten. Sie durften mit Hilfe willfähriger Richter Hausdurchsuchungen anordnen und Bankunterlagen, Computer oder andere Beweismittel konfiszieren. Sie konnten hohe Schadensersatzforderungen einklagen und die Streitkosten sowie "immaterielle Schäden" auf die Betroffenen abwälzen.

Nur ein Alptraum?

Dies alles und noch viel mehr lässt die Richtlinie zur Durchsetzung "geistiger Eigentumsrechte" zu, ja verlangt es geradezu. Ihre zunächst sang- und klanglose und nur von einer Protestdemo einer Handvoll Bürgerrechtler im Vorfeld begleitete Verabschiedung stellt einen demokratischen Tiefpunkt des Europaparlaments dar. Der begann damit, dass mit Janelly Fourtou just die Gattin des Bosses des Medienkonzerns Vivendi zur Berichterstatterin und damit zur Vollstreckerin der Richtlinie berufen wurde.

Die zur Gärtnerin gemachte Ziege hatte denn auch nichts Besseres zu tun, als den Geltungsbereich der Richtlinie deutlich auszuweiten. Er umfasst nun laut Artikel 2 "jede Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, die das Gemeinschaftsrecht und/oder das einzelstaatliche Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorsieht." Um ja keine Zweifel anhand dieser eventuell doch noch Interpretationen offen lassenden Formulierung aufkommen zu lassen, betont der vorangestellte Erwägungsgrund 13 noch einmal: Der Anwendungsbereich der Richtlinie müsse zur Erfüllung dieses Zwecks "so breit wie möglich gewählt werden."

Kein Wunder, dass die EU-Mitgliedsstaaten über den Rat der Europäischen Union auch gleich noch Patente darunter fallen ließen und damit die Tür zu den heftig umstrittenen und eigentlich auch vom Europaparlament mit großer Mehrheit abgelehnten Softwarepatenten weiter öffneten.

Was schert den progressiv in die Zukunft blickenden Abgeordneten auch schon sein Votum von gestern, wenn ihm eine Schar von Industrielobbyisten auf dem Schoss sitzt und das Lied von den Abermilliarden Verlusten durch Piraterie in den digitalen Netzen und dem drohenden "Kulturverfall" vorsingt.

Fourtous Dehnung der Realität

Einige kritische Parlamentarier aus dem linken Flügel hatten mithilfe von Änderungsanträgen zwar noch den verzweifelten Versuch gestartet, dem Machwerk die schlimmsten Zähne zu ziehen. Doch keiner davon fand eine Mehrheit. Bewusst irreführend erscheint da der Spin, dem Fourtou der Abstimmung in Straßburg abzugewinnen vermochte: So ließ die Göttergattin verlautbaren, dass das Parlament Änderungen zugestimmt habe, wonach die Richtlinie nur auf Rechtsverletzungen "in gewerblichem Ausmaß" angewendet werden müsse.

Diese Ansage, die von großen Nachrichtenagenturen wie AP oder AFP aufgegriffen und damit in Medien wie CNN Online wiedergegeben wurde, dehnt die Realität jedoch in doppelter Weise. Zum einen haben die Abgeordneten selbst im Plenum gar keine Änderungen mehr vorgenommen. Die vermeintlichen Abmilderungen stammen aus dem Gemauschel der Berichterstatter für die Richtlinie mit dem EU-Rat, bei dem sich beide Seiten zur Freude der Industrielobbyisten auch gleich hinter geschlossenen Türen auf die Verabschiedung des Konstrukt im Hauruck-Verfahren ohne zweite Lesung und damit ohne ernsthafte parlamentarische Debatte verständigten.

Zum anderen ist im ergänzten Erwägungsgrund 13a - also nicht einmal konkret im Gesetzestext -- zwar tatsächlich die - rein potenzielle - Einschränkung auf Rechtsverstöße "im gewerblichen Ausmaß" enthalten. Sie bezieht sich allerdings nur auf drei Sanktionsmittel, nämlich das Einfrieren von Konten, die Herausgabe von Bankunterlagen sowie das vollständige Enthüllen von Hintergrundzirkeln, die eben tatsächlich allein beim Vorgehen gegen das organisierte Verbrechen Sinn machen. Diese Erfordernis hindert die Mitgliedstaaten jedoch nicht daran, heißt es im Wortlaut des Papiers, "die Bestimmungen dieser Richtlinie bei Bedarf zu innerstaatlichen Zwecken auf Handlungen auszuweiten, die den unlauteren Wettbewerb unter Einschluss von Raubkopien oder vergleichbare Tätigkeiten betreffen."

Falsche Signale

Den Hausdurchsuchungen und Kontopfändungen bei jugendlichen Tauschbörsennutzern, die Bürgerrechtsvereinigungen von IP Justice über die freie Softwarebewegung bis zur Grünen Jugend skizzieren, steht folglich kaum noch etwas entgegen außer der "schnellen" Umsetzung der Direktive, die Gerd Gebhard, Vorsitzender der deutschen Phonoverbände, zugleich mit dem Ausdruck seines Bedauerns über die unterbliebene europaweite Angleichung auch der strafrechtlichen Keule nun anmahnt.

Nur gut, dass er auf der Party zur Echo-Verleihung am vergangenen Sonntag in Berlin schon deutsche Politprominenz wie CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer, Kulturstaatsministerin Christina Weiss und Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit nebst genuinen Urheberrechtsexperten aus dem Bundestag wie den CDU-Abgeordneten Günter Krings begrüßen und auf die kommenden Weichenstellungen vorbereiten durfte.

Dass die Signale zum überzogenen Schutz "geistiger Eigentumsrechte" konsequent in die falsche Richtung weisen (Ächzen und Stöhnen im System des "geistigen Eigentums"), ist dagegen nicht nur den Bürgerrechtlern und traditionellen Urheberrechtlern wie Reto Hilty vom Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum in München längst klar. Auch Wirtschaftsdenkfabriken haben dem sich durch die Vorüberlegungen der Richtlinie ziehenden Argument, dass nur die weitere Stärkung von Urheber- und Patentrechten Innovationen fördern könne, inzwischen gegenteilige Untersuchungen entgegengestellt (Das Copyright-Regime als Innovationsblocker).

Der neue und unter untersuchungswürdigen Umständen hervorgebrachte Vorstoß aus Straßburg und Brüssel ist demnach unnötig wie ein Kropf. Letztlich handelt es sich dabei im Kern ja um die Ausarbeitung von Umsetzungsmaßstäben für die grundlegende Urheberrechtsrichtlinie der EU. Doch die Umsetzung von Richtlinien bedarf keiner weiteren Richtlinien; sie sollte allein den Mitgliedsstaaten überlassen werden, die dabei im Bereich Copyright schon genug Fragen aufwerfen (Lex Bertelsmann in der Zielgeraden).