Lex Bertelsmann in der Zielgeraden
Der Bundestag verabschiedet am Freitag ein neues Urheberrecht. Die Novelle ist ein Propagandaerfolg, nach dem sich die PR-Agenten der Golfkriegsparteien die Finger lecken würden
Ein Eroberungsfeldzug (vgl. Content is King! oder die Diktatur des Kleingedruckten) wurde von der Medienindustrie erfolgreich als Abwehrschlacht verkauft, eine unbegrenzte Ausweitung der Rechte der Medienindustrie über Konsumenten, Bibliotheken und Universitäten als "Schutz vor Piraterie".
Änderungen gegenüber zuletzt diskutierten Fassungen (vgl. Parlamentarier feilschen ums Urheberrecht) ergaben sich nur in wenigen Punkten, unter anderem zum § 52a. Für die Forschung dürfen nun "Teile" von Texten im Intranet zur Verfügung gestellt werden, für den Unterricht nur "kleine Teile". Eine ausdrückliche Zustimmung der Verlage wird nur bei Schulbüchern verlangt. Die Regelung ist bis 31.12.2006 begrenzt, danach sollen die Auswirkungen überprüft und neu evaluiert werden.
Die Änderung dieser Vorschrift erfolgte, nachdem in einer bemerkenswert dreisten PR-Kampagne Entstehung und Honorierung wissenschaftlicher Arbeiten fernab jeder Realität dargestellt wurden. Für seriöse Wissenschaftler wird das neue Urheberrecht eher ein Verlust als ein Gewinn, da sie in Zukunft für jeden Blick in einen Aufsatz von den Verlagen zur Kasse gebeten werden können.
Weiter verändert wurde der § 95b, der u.a. Behinderten Mittel zur Umgehung von DRM-Technologie zur Verfügung stellen soll. Hier sollen die Verbände "freiwillige Vereinbarungen" mit den Rechteinhabern treffen. Wenn diese keine ausreichenden Mittel zu Verfügung stellen, liegt die Beweislast jetzt bei den Behinderten. Der nicht von der EU-Richtlinie vorgeschriebene und von der SPD "heimlich" eingebrachte Schutz von DIN-Normen (vgl. Architekten und Ingenieure gegen Urheberrechtsnovelle) wurde dagegen leicht entschärft.
Am problematischsten Punkt der Novelle, dem Verbot von "Umgehungstechnologien" (vgl. Weggesperrt in Krypto-Flaschen) hat der Rechtsausschuss auch in seiner heutigen Sitzung nichts mehr geändert. Die restriktive Umsetzung des Artikels 6 der EU-Richtlinie bringt eine massive Einschränkung von Presse- Wissenschafts- Meinungs- und Informationsfreiheit mit sich. In den USA verhinderte ein ähnlich rigoroses Verbot bereits die Publikation wissenschaftlicher Studien zu Verschlüsselungssystemen.
Die Regelungen der §§ 53 und 54 (Pauschalabgaben vs. Individualvergütung) werden nicht am Freitag entschieden, sondern sind auf den Herbst vertagt. Für den Verbraucher - der von den am Freitag zu beschließenden Regelungen erhebliche Auswirkungen zu befürchten hat - ändert das dann zur Entscheidung anstehende Scheingefecht zwischen Verwertungsgesellschaften und IT-Industrie kaum mehr etwas: PCs und Peripheriegeräte wurden bereits vor Einführung der Pauschalabgabe teurer, weil viele Hersteller und Importeure, wie von den Verwertungsgesellschaften gefordert, Rückstellungen bilden und diese verdeckt auf die Preise aufschlugen.
Die Entscheidung zwischen GEMA und DRM, die im Herbst fallen soll, erscheint vielen Konsumenten wie eine Systemkonkurrenz zwischen Nordkorea (ineffizienter Totalitarismus, der nur eine bürokratische Elite begünstigt) und Somalia (absolute Macht in den Händen einer Oligarchie ohne Grundrechte für die Bevölkerung). Andere Vorschläge, wie eine Pauschalabgabe, mit der eine Kranken- oder Altersversicherung für alle Künstler und Programmierer finanziert wird, und die nicht (wie bei der GEMA) vorwiegend der Medienindustrie zufließt (vgl. Lex Bertelsmann, Teil 2) wurden bisher weder von der Regierung noch von der Opposition berücksichtigt. Eine Änderung in diesem Bereich ist nicht zu erwarten, solange Reinhold Kreile Chef der GEMA ist (vgl. Urheberrechtsausgleich oder Subventionssteuer?). Der ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete und Anwalt von Franz-Josef Strauß verfügt über ein persönliches Netzwerk, das ihn gegen Reformvorhaben immun macht.