Content is King! oder die Diktatur des Kleingedruckten

Das neue Urheberrecht wird Freiheitsrechte zugunsten neuer Rechte für die Medienverwertungsindustrie erheblich einschränken

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Content is King! war der Satz, mit dem die Einladung zur Konferenz "Digital Rights Management 2002 - Technologische, rechtliche und politische Lösungsstrategien im Umgang mit digitalen Gütern vor dem Hintergrund der europäischen Urheberrechtsrichtlinie" begann. Der Reklamevers mit dem die Veranstaltung im Haus der Deutschen Wirtschaft warb, erinnert frappierend an den Slogan "Cotton is King!", der die wirtschaftlichen Interessen der Südstaaten vor dem amerikanischen Bürgerkrieg betonte.1

Mit dem Argument der Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Grundlagen durch die Underground-Railroad-Fluchtnetzwerke erwirkten die Plantagenbesitzer Mitte des 19. Jahrhunderts den Erlass einer ganzen Reihe von Gesetzen, die die Freiheitsrechte von Afroamerikanern zugunsten des Profits der Baumwollpflanzer weiter einschränkten - bis sich die Widersprüche schließlich im Bürgerkrieg entluden.

Die Äquivalente zu Gesetzen wie dem Fugitive Slave Act, der die Gewährung von Hilfe für entflohene Sklaven auch in den Nordstaaten unter Strafe stellte, sind der DMCA und seine europäische Entsprechung, die EU-Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, die Ende Februar veröffentlicht und bis zur Sommerpause von Bundestag und Bundesrat in deutsches Recht umgesetzt werden soll.

Fehlt da nicht jemand ...?

Die Veranstaltung wollte sich mit den Interessenkonflikten zwischen "Technik, Recht, Politik, Ökonomie und Business" bei der Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie in deutsches Recht auseinandersetzen. Dazu sollten "Referenten der Content-Industrie, der Verwertungsgesellschaften, von Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologie, Datenschützer, Vertreter von Nutzervereinigungen und Ministerien sowie Politiker, Künstler und Wissenschaftler" Stellung nehmen. "Ökonomie und Business" waren - was immer sich die Veranstalter als Unterschied zwischen den Bereichen vorstellten - reichlich vertreten. Dafür fehlten zwei der angekündigten Gruppen vollständig: Nutzervereinigungen und Künstler. Um so interessanter ist es, sich anzusehen, wie gerade jene beiden Gruppen von der Richtlinie betroffen sind.

Zu Beginn der Konferenz erfuhr man ganz nebenbei, dass die Nutzerinteressen nicht nur bei dieser Veranstaltung nicht in organisierter Form vertreten wurden: Der Juraprofessor Hoeren erzählte, dass er sich bei Verbraucherschutzverbänden erkundigte habe, aber "die haben keine Spezialisten und interessieren sich auch nicht für dieses Thema."

Dafür mühten sich die Vertreter von Verwertungsgesellschaften, IP- und IT-Industrie redlich, scheinbare Interessenskonflikte aufzuführen: In Wirklichkeit stellte sich die Interessenslage aber so dar, wie es dem Bertelsmann-Juristen Martin Schaefer bei einer Diskussion mit Vertretern der Verwertungsgesellschaft wohl versehentlich entfuhr: "Wir tun hier so, als wären wir Gegner - in Wirklichkeit wollen wir alle dasselbe."

Das Lied von der Individualermächtigung

Künstler und Nutzer kamen zwar nicht zur Sprache, aber dafür versuchte man, ihnen via Presse die von der Verwertungsindustrie geplanten Veränderungen schmackhaft zu machen: Industrievertreter wie Nic Garnett von InterTrust, Fritz Teufel von IBM oder Kathrin Bremer von der BITKOM beschworen beständig die Individualermächtigung der Künstler durch Digital Rights Management (Vgl. Digitale Rechte und ihre Manager): "Ihr Einsatz", so Bremer in der Pressekonferenz der Veranstaltung, ermögliche "die individuell vereinbarte Nutzung der digitalen Werke entsprechend den Vorstellungen von Urhebern und Nutzern." Seltsam nur, dass jene Vertriebsbürokratien, die durch solch eine Individualermächtigung eigentlich überflüssig werden würden, zu den entschiedensten Befürwortern von DRM zählen.

Wie DRM funktioniert

In einer Marktwirtschaft haben die einzelnen Anbieter nicht automatisch den Wettbewerb und die Unterwerfung unter das Preisbildungsmodell eines idealen Marktes zum Ziel, sondern vielmehr die Marktvermeidung. DRM bietet ein ausgezeichnetes Instrument dazu, dem drohenden Sinken der Profitrate durch die Preisbildung in einem idealen Markt zu entgehen. Die Vertragsparität, also die Gleichberechtigung der Vertragspartner, wird durch lange und unveränderbare elektronische Lizenzbedingungen, über deren Gültigkeit nur Anwälte und Gerichte entscheiden können, effektiv ausgehebelt. Dem Kunden bleibt von der theoretisch angenommenen Vertragsfreiheit nur das Drücken des "I accept"-Buttons.

Durch den Einsatz von Lizenzen zusammen mit DRM-"Kopierschutzmaßnahmen" sind die zugunsten der Öffentlichkeit möglichen Schranken aus der Richtlinie (Vgl. Lex Bertelsmann vor der zweiten Hürde) praktisch wertlos. Auch gegen sittenwidrige Lizenzen kann wegen des Verbot eines Selbstbehelfs nicht wirksam vorgegangen werden.

Von den Vertretern der Wissenschaft wurde die Richtlinie auf dem Kongress überwiegend mit einem akademischen Donnerwetter überzogen: Professor Hugenholtz nannte sie "eines der schlechtesten Stücke Gesetzgebung in der europäischen Geschichte." Er bemerkte, dass Art. 5 und 6 der Richtlinie nichts mehr mit Urheberrecht zu tun haben, sondern im Gegenteil eine Einbruchsstelle für Digital Rights Management sind. Hugenholtz sprach das aus, was von der Politik und der Medienindustrie stets verschwiegen wird: Die Urheberrechtslinie sichert nicht nur alte Urheberrechte, sie schafft darüber hinaus "ein brandneues Eigentumsrecht - ohne Ausnahmen, ohne Begrenzung."

In dieser Hinsicht gleicht die Begünstigung von DRM in der Urheberrechtslinie einer Legalisierung jenes Taschenspielertricks, den die Marx Brothers in "Go West" vorführen: Am Wechselgeld bzw. an der Ware ist eine Schnur befestigt, an der diese immer wieder zurück geholt werden kann - der Kunde ist so genötigt, den Kaufvorgang ständig zu wiederholen, weil ihm das, was er bekommt, immer wieder entzogen wird.

Neue Rechte

Gab sich die Medienindustrie in Anwesenheit von Wissenschaft und Politik noch relativ auf Ausgleich und Gemeinwohl bedacht, hört sich der Tonfall auf den Ankündigungen für die industrieinterne Digital-Rights-Management-Konferenz am 21. Februar in Amsterdam schon bedeutend unverstellter an: Hier erzählen gleich mehrere Vertreter von Elsevier, wie man durch DRM Bibliotheken melkt, ohne Autoren davon profitieren zu lassen.

Was gegenüber der Öffentlichkeit wohlweislich verschwiegen wird, das geben DRM-Firmen wie die Bertelsmann-Tochter DWS in den Werbebroschüren für ihre gewerblichen Kunden offen zu: etwa dass ihre DRM-Systeme dem Verleger die Möglichkeit bieten, Konsumentenrechte jederzeit nach Bedarf zu ändern oder wieder zu entziehen.

Auch die Firma SealedMedia spricht in ihrem Werbematerial ganz offen von "totaler Kontrolle" und der Erzeugung von "neuen Einkommensströmen" durch DRM. Dabei weist das Unternehmen unter anderem auf die Möglichkeit der "individuellen" Preisgestaltung von juristischen Aufsätzen hin, die Pflichtlektüre in Lehrveranstaltungen sind. Den Kunden wird suggeriert: Weil die Studenten auf die Texte angewiesen sind und nicht - wie bei gedruckter Literatur - auf Bibliotheken oder Kopien ausweichen können, sind die Rechteverwerter hier imstande, nach oben offene Monopolpreise zu verlangen.

SealedMedia wirbt auch damit, dass ihre Technologie "den Benutzer vom unautorisierten Ausschneiden und Einfügen des Textes und vom Festhalten des Bildschirminhalts durch die 'Print Screen'-Funktion oder andere Techniken die den Bildschirminhalt 'einfangen'" abhält, während DWS damit prahlt, dass ihr DRM weit über den Kopierschutz hinausgeht, indem es "Geschäftsregeln neu definiert" und so die Kontrolle über den "gesamten Lebenszyklus" des Produkts ermöglicht. Damit weist DWS indirekt auf ein weiteres Problem hin: Weil durch DRM Archivierungsrechte von Bibliotheken ausgehebelt werden können und Verlage kein Interesse an einer Lagerung kulturell wertvoller, aber kommerziell nicht mehr interessanter Inhalte haben, sind diese auf Dauer der Vernichtung überantwortet (Vgl. Das Urheberrecht vom Kopf auf die Füße stellen).

Bibliotheken

Sehen wir uns einmal an, wovon die DRM-Befürworter nicht so gerne sprechen, nämlich wie die einzigen funktionierenden DRM-Beispiele bisher in der Praxis laufen:

Verlage, die wissenschaftliche Zeitschriften veröffentlichen, haben entdeckt, dass DRM-Lizenzen bei Bibliotheken wie Melkmaschinen angelegt werden können. Bei Springer und Wiley ist das traditionelle Abonnement mit einer bisher noch kostenlosen Online-Lizenz verbunden. Elsevier dagegen verlangt für den elektronischen Abruf bereits einen Aufpreis zum Abonnementpreis. Darüber hinaus gibt es immer mehr Angebote, die Print- und Online-Abonnement trennen. Bereits jetzt verlieren Bibliotheken bei Kündigung des Abonnements auch alle bisher bezogenen Ausgaben. Technisch möglich und bereits angekündigt sind darüber hinaus das Verbot von Ausdrucken oder das "laute Vorlesen" (Vgl. Don't Read Aloud This Version of Alice in Wonderland). Das problematischste Moment am Lizenzmodell aber ist die Abhängigkeit des Benutzers (Vgl. Gratisdienste und Opportunitätskosten) den man potentiell bei jedem Aufruf des Angebots zur Zustimmung zu einer neuen Lizenz nötigen kann.

Die Praxis der bisher implementierten DRM-Lösungen zeigt gerade das Gegenteil einer "Individualermächtigung", sondern vielmehr eine Situation, in der die Autoren (Wissenschaftler) weiterhin unbezahlt schreiben, dafür aber für Literatur, die sie einsehen, potentiell stärker zur Kasse gebeten werden: Während die Preise für wissenschaftliche Zeitschriften erheblich stiegen, prahlten die fünf marktbeherrschenden Verlage bei den Aktionären mit Renditen bis zu 40 % (Vgl. Verlage treiben Hochschulbibliotheken in die Krise).

Die bereits jetzt erheblichen Mehrbelastungen für Bibliotheken durch DRM zeigen, dass das System möglicherweise für Profitsteigerungen im Massenunterhaltungsbereich sorgen kann, aber für Forschung und Wissenschaft völlig ungeeignet ist.

Tausche Linsengericht gegen Grundrechte

Man gewann auf der Konferenz den Eindruck, dass Industrievertreter wie auch Politiker bewusst Entrechtungen und Probleme durch exzessiven Gebrauch von möglichst sinnfreien Anglizismen in New-Economy-Pidgin verschleierten. Für den Bertelsmann-Vertreter Markus Böhm war DRM gar "ein gottgegebenes Ding, das da ist und da sein wird."

Beim Vortrag von Thomas Sander von InterTrust lief störende Musik im Hintergrund, die sich nicht abstellen ließ. Das bot dem Publikum ungewollt einen Einblick darin, welche "Nebenwirkungen" DRM-Lizenzvereinbarungen haben könnten. Sonnyboy Sander, der zur Musik wirkte wie eine zeitgemäßere Version von Dieter Bohlen, argumentierte recht abenteuerlich, dass DRM die "Notwendigkeit" von Data Mining verringern und damit die Privatsphäre eher schützen als gefährden werde. Doch gerade wo Geld verdient werden kann, entsteht auch ein zusätzlicher Bedarf für Data Mining. Die industrieinternen Broschüren sprechen auch hier wieder eine ganz andere Sprache: Dort werden offen die Vorteile der Gewinnung und Verarbeitung von Kundendaten durch DRM gepriesen. DWS etwa streicht besonders heraus, dass sein Data Reporting Component (DRC) "alle verfügbaren Daten aus den System-Komponenten sammelt und bei der Erstellung von benutzerdefinierten Berichten, Statistiken und Informationen hilft."

Sander appelliert allen Ernstes an den Konsumenten, er solle doch seine Rechte, die er durch DRM verliert, freudig für die "Vorteile" wie die potentielle Erreichbarkeit "seiner" Medien vom Hotelzimmer aus, aufgeben. Hier fühlt man sich an die biblische Geschichte erinnert, in der Esau sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht verkauft.2

Im Gegensatz zur Medienindustrie sahen die Datenschutzbeauftragten den Zeiten von DRM mit großer Besorgnis entgegen und forderten deshalb ein gesetzlich abgesichertes "Mediennutzungsgeheimnis." Alexander Dix, der Datenschutzbeauftragte des Landes Brandenburg, wies auf die gerade in der Werbung der Medienkonzerne verwendete Metapher vom "digitalen Wohnzimmer" und die gerade dadurch erfassbare Schwere der Probleme von DRM für die Privatsphäre hin. Eine Forderung, für die auch Verfassungsrechtler Verständnis hatten.

Der bereits erwähnte Professor Hoeren betonte den grundrechtlichen Hintergrund vieler Nutzerrechte, die durch DRM aufgegeben oder eingeschränkt werden sollen. In Deutschland ist die Privatkopie laut Hoeren kein reiner "Pragmatismus", weil der Staat nicht alle Privatkopierer verklagen kann, wie das amerikanische Juristen wie Jane Ginsburg sehen, sondern grundrechtlich unter anderem durch die allgemeine Handlungsfreiheit und die sich daraus ergebende Informationsfreiheit abgesichert - aus dem "kann" in Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie mache das Grundgesetz deshalb, so Hoeren, ein "muss" (Vgl. Informationsfreiheit hat Priorität vor dem Urheberrecht).

Verschränkung

Dass sich die Schutzwürdigkeit durch DRM auf den Konsumenten verlagert, stellte am klarsten Stefan Bechtold mit Erkenntnissen aus seinem Buch Vom Urheber- zum Informationsrecht. Implikationen des Digital Rights Management fest.

Lessig-Schüler Bechtold trug mit fast vulkanischer Nüchternheit vor, ließ aber die Pressplay-Lizenz im Hintergrund durchrollen - nach einigen Minuten war der gewünschte Effekt erreicht. Der Stanford-Jurist sprach als einziger das Problem der rechtlichen Gültigkeit solcher "Verträge" an und stellte fest, dass Lizenzverträge durchaus urheberrechtliche Schranken verletzen können. Das Urheberrecht müsse deshalb zunehmend weniger den Rechtsinhaber als den Nutzer vor Missbrauch schützen.

Missbrauchsmöglichkeiten ergeben sich nach Bechtold vor allem aus dem Problem, dass "ineinandergreifende Schutzmechanismen" wie technische Maßnahmen und Standards, Nutzungsverträge, rechtlicher Umgehungsschutz und Technologie-Lizenzverträge (u.a. durch den Einsatz von Patenten und "Geschäftsgeheimnissen") das Urheberrecht faktisch privatisieren. Dies führt zur Bildung "virtueller Hausrechte." Als Beispiele nannte Bechtold die Firma Sony, die bereits Zusatzsoftware für den Spielzeughund Aibo als "Umgehungstechnologie" verbieten ließ (Vgl. Aibo-Hacker gibt auf) und den Einsatz des DVD-Regionalcode-Systems zur Marktabschottung (Vgl. Die Rückkehr des Volksempfängers mit anderen Mitteln).

Die Rechteinhaber "privatisieren" durch DRM den Schutz ihrer "Waren." Ob gegen die Unumschränktheit der "virtuelle Hausrechte" § 434 Abs. 1 Satz 2 BGB (gewöhnliche Verwendung) und die §§ 45 ff UrhG (Gewährleistung) ausreichenden Schutz bieten, ist wegen des neuen Geschäftsmodells mehr als zweifelhaft. Die bisherigen Urteile gegen sittenwidrige Lizenzen helfen darüber hinaus nicht gegen die technische Sperre als solche, sondern nur gegen Vereinbarungen. Lediglich die neu in das BGB aufgenommene Transparenzklausel und der Datenschutz versprechen eventuell Hoffnung für die Privatsphäre.

Aufgabe des Staates wäre es also, ein Recht auf Zugang zu Informationen zu sichern. Doch bisher macht das Justizministerium keine Anstalten in diese Richtung - fraglich ist sogar, ob die verantwortlichen Politiker die Problematik überhaupt verstanden haben. Kein Wunder wenn sie - wie etwa der Abgeordnete Otto - auf dem Kongressen lediglich zum eigenen Auftritt anwesend sind und sich nicht einmal die Mühe machen, die vorgetragenen Probleme wenigstens anzuhören.

Bechtold bemerkte nicht nur die Abwesenheit von Interessensvertretern der Konsumenten im politischen Willensbildungsprozess, sondern auch bei der Entwicklung solcher Technologien. Tatsächlich konnte die Stimme des Konsumenten bisher in ganz außergewöhnlicher Weise unterdrückt werden. Die ihm sonst zur Verfügung stehenden Protestmittel erwiesen sich im Falle der DRM-Entrechtung als unwirksam: Eine Zwickmühle war unter anderem der Effekt, dass die auch in den Foren öfter angesprochenen Boykotte der Medienindustrie in das Argument eines Umsatzrückganges durch "Raubkopien" integriert wurden und als Argument für mehr Machtzuweisung durch die Politik benutzt werden konnten. Hätte die Pelzindustrie ähnliches PR-Glück, würde sie wohl bei Verkaufsrückgängen nicht auf Tierschützerproteste oder Kundenwünsche eingehen, sondern auf ein Verbot der Herstellung von Pelzimitaten drängen.

Verbotene Information

DRM-"Content" soll nach den Vorstellungen der Verwertungsindustrie wie die Möhre funktionieren, die man dem Esel vorhält: Er darf sie nur ansehen und den Karren ziehen. Bisher erwiesen sich die Esel jedoch als störrisch, sie wollten dieses "Angebot" nicht recht annehmen. Die EU-Richtlinie verbietet es nun Eseln, die herausfinden, wie man doch an die Möhre kommt, dies anderen Eseln weiterzusagen. Fragt sich, ob dies das "Angebot" wirklich attraktiver macht.

Man sieht anhand der vorangegangenen Ausführungen, dass der mit Abstand problematischste Teil der Richtlinie ausgerechnet der ist, den der Vertreter des Justizministeriums, Elmar Hucko, als "unproblematisch" bezeichnete: das Verbot von Umgehungstechnologie und -information, das mit Gefängnis bis zu 3 Jahren oder einer halben Million Euro Geldstrafe bewehrt wird. Dabei sollte die Tatsache, dass ein gut Teil dessen, was Informatiker wie Hannes Federrath von der TU Dresden auf der Konferenz erzählten, nach Umsetzung der Richtlinie mit mehreren Jahren Gefängnis bedroht wird, eigentlich auch dem Justizministerium zu denken geben.

Dies gilt vor allem, wenn man berücksichtigt, dass durchaus Uneinigkeit darüber besteht, ob die EU-Richtlinie nun lediglich "ausführlicher" sei als der WIPO-Urheberrechtsvertrag und der WIPO-Vertrag über die Leistungen der ausübenden Künstler und der Tonträgerhersteller., wie der EU-Bürokrat Jörg Reinbothe meint, oder ob sie ganz im Gegenteil erheblich mehr verbietet als diese Abkommen, die nach Professor Hugenholtz in Art. 11 des erstgenannten Abkommens die Umgehung von Kopierschutz ohne kriminelle Intention erlauben und damit dem Nutzer ein Recht auf "fair hacking" einräumen.

Schild und Schwert der Medienindustrie

Besonders problematisch wird die Kontrolle der Zugangsrechte, wenn Lizenzen mit von Vertriebs- und Herstellerkartellen beschlossenen Standards verschränkt werden. Im Gegensatz zu den Leermedienabgaben machen hier auch die Hardwarehersteller gerne mit: Sowohl Intel als auch IBM und Siemens forcieren DRM.

Der gesetzliche Flankenschutz dieser Bemühungen lauert in den USA bereits in Form des derzeit im US-Kongress debattierten "Security Systems Standards and Certification Act", der für Computerteile und Elektrogeräte die "Unterstützung" von "certified security technologies" zwingend vorschreibt. Wird der SSSCA in dieser Form verabschiedet, ist es bei Strafe verboten, PC-Teile ohne eingebaute Digital-Rights-Management-Unterstützung herzustellen oder zu verkaufen (Vgl. Congress Plans DMCA Sequel: The SSSCA.

Niels Rump von Rightscom, der auf der Konferenz über Standardisierung sprach, gab offen zu, dass der derzeitige Chef des MPEG-Standardisierungskomitees von Universal Music bezahlt wird. Rump wendet den Bismarck-Satz über Würste und Gesetze auf Standards an, als er von MI3P (Music Industry Integrated Identifier Project), IPMP (Intellectual Property Management and Protection in MPEG Standards, MPEG 21, URIs (Uniform Resource Identifiers) und REL (Rights Expression Language) erzählt. Besonders bedenklich stimmt nach seinen Ausführungen, dass der XML-Standard potentiell anfälliger für DRM-Kontrolle ist als bisherige Formate, was Firmen wie Arbortext bereits ausnutzen. Mitte nächsten Jahres soll der MPEG-21 Standard fertig sein - dann ist DRM in MPEG versteckt wie eine Rasierklinge in der Süßigkeit oder ein Peilsender im Blumenstrauß.

Auswirkungen auf die Produktion

Begründet werden die mit Umsetzung der Richtlinie zu erwartenden erheblichen Einschnitte in Persönlichkeitsrechte durch eine angebliche Förderung der kulturellen Produktion, die wiederum der Öffentlichkeit dienen soll. Reinbothe etwa sprach von der "hohen Qualität" der Inhalte und dass diese "untrennbar mit unserer Kultur verbunden" wären. Ober er damit den musikalischen und filmischen Ausstoß des Bertelsmann-Konzerns meinte? (Vgl. Es ist geil ein Arschloch zu sein oder Blödheit als "geistiges Eigentum").

Einen aufschlussreichen Einblick darin, wie sich die vielgepriesene kulturfördernde Wirkung solcher Maßnahmen tatsächlich auswirkt, gab die amerikanische Juristin Julie Cohen, die sich die Frage stellte, ob der DMCA wirklich die Produktion besserer oder wenigstens zahlreicherer Kulturgüter anregt und die die Auswirkungen von DMCA und DRM wie folgt zusammenfasste: Innovationsbeschränkungen für Technologie und Suchwerkzeuge, sowie künstliche Grenzen für die Entwicklung von Standards und Alternativen zu Monopolen. Die Produktion von Informationen und von Kulturgütern wird uniformer und zentralisierter - das Originelle und Überraschende fällt dagegen oft weg, weil sich der Individualschöpfer die Rechte und die Werkzeuge seltener leisten kann. Anders formuliert: das neue Urheberrecht bringt potentiell mehr Boulevardluder und weniger Nosferatu (Vgl. Hase und Igel)

Ein wenig überraschendes Ergebnis: entsteht doch Kultur überwiegend nicht durch finanzielle Anreize, sondern durch den Spieltrieb des Menschen, wie man seit Huizinga weiß und wie überall auf der Welt ganz ohne Urheberrechtsschutz oder Copyright entstandene Kunstwerke und Riten seit Zehntausenden von Jahren belegen. Was die Richtlinie fördert, ist nicht die Produktion von Kultur, sondern die von Spektakel (Vgl. Die Spektakelökonomie und der Linuxtag)

Tatsächlich könnte das Urheberrecht im Hinblick auf die Förderung und den Erhalt von Kulturgütern wesentlich verbessert werden. Handlungsbedarf besteht aber hier in eine ganz andere Richtung als jene, in die die Novelle geht: Während etwa das ZDF gerade massenhaft Archivbestände vernichtet und Schätze wie eine Kreuzung aus Ratgeber Recht und Loriot, in denen das Scheidungsrecht anhand von Spielszenen mit Liebhaber im Schrank erklärt wird, ohne Digitalkopie wegwirft, müssen nichtkommerzielle Tauschbörsen, in denen Aufnahmen von nicht mehr oder in Deutschland gar nicht ausgestrahlten Fernsehserien wie der Shadoks und der Grashüpferinsel getauscht werden, auf Drohungen deutscher Fernsehsender hin schließen - eine Situation, die durchaus nach einer Korrektur durch den Gesetzgeber schreit.