Lex Bertelsmann vor der zweiten Hürde

Die Debatte um die Umsetzung der EU-Direktive zum Urheberrecht kommt in Fahrt - Teil 1

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Bis Herbst 2002 muss die in diesem Frühjahr erlassene EU-Richtlinie zum Urheberrecht umgesetzt werden. Diese Änderung könnte - was noch wenig bekannt ist - erhebliche Auswirkungen unter anderem für Konsumenten, Journalisten, Wissenschaftler und Bibliotheken mit sich bringen.

Das bisherige deutsche Urheberrechtsgesetz empfanden viele Juristen in den letzten Jahren als veraltet, weil z.B. Praktiken wie Filesharing dort nicht vorgesehen sind. Unentschieden war deshalb unter anderem die Frage, ob die Vorlage für eine Kopie "rechtmäßig" sein muss. Zudem gab es kaum neuere Urteile zu diesem Komplex, weshalb relative Rechtsunsicherheit herrschte. Dem schafft die EU-Richtlinie Abhilfe: Mit ihrer Umsetzung führt sie ein "Recht des Zugänglichmachens" neu in das deutsche Urheberrecht ein. Doch darüber hinaus bringt sie auch einige weitere und weniger dringliche, dafür aber umso gravierendere Änderungen. Wie einschneidend diese genau sind, wird sich innerhalb des nächsten Jahres zeigen.

Die Umsetzung der EU-Direktive zum Urheberrecht gilt als Voraussetzung zum Beitritt zu den internationalen Abkommen WCT und WPPT und soll "Chancen für informationelle Mehrwertdienste" bringen. Zu befürchten ist jedoch, dass nicht die Bereitstellung von mehr Gebrauchswert für den Kunden, sondern die künstlich herbeigeführte Abschöpfung von Mehrwert ohne zusätzliche Leistung aus ihr erwächst.

Im Frühjahr dieses Jahres wurde die durch jahrelange Lobbyarbeit stark von den Interessen der Medienindustrie geprägte Richtlinie von den zuständigen europäischen Gremien verabschiedet. Unter anderem war Elmar Brok, Spitzenmann der CDU im Europaparlament und gleichzeitig "Senior Vice President" für Media Development bei der Bertelsmann AG maßgeblich an ihrem Zustandekommen in der jetzigen Form beteiligt.

Nun geht der Lobbyismus im Bundestag weiter. Zusammen mit Medienkonzernen bilden die Verwertungsgesellschaften und mittlerweile auch die IT-Industrie eine Einheitsfront: Auf der Musikmesse Popkomm bekräftigten der Präsident von BMG Europa, Thomas M. Stein und Jürgen Becker, Vorstandsmitglied und Chefsyndikus der Verwertungsgesellschaft GEMA ihre gemeinsame Position bei der Umsetzung der EU-Richtlinie:

Die Mitglieder der GEMA stehen fest an der Seite der Musikindustrie, wenn es darum geht, das rechtliche und technische Instrumentarium zu entwickeln und durchzusetzen, den Piraten im Internet das Handwerk zu legen.,

so Becker im typischen GEMA-Verlautbarungsstil (Vgl. Popkomm: Schärfere Gesetze zum Urheberschutz gefordert. Auf der Computermesse Systems propagierten dann schließlich auch die Vertreter der sieben größten Druckerhersteller in einer gemeinsamen Erklärung für eine möglichst scharfe Umsetzung der Europäischen Urheberrechtsdirektive vor allem im Hinblick auf die Verfolgung von "Vorbereitungshandlungen" zum Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen (Vgl. Die Drucker-Industrie will Pauschalabgaben verhindern)

Die von den Lobbyisten zu diesem Zweck geforderten Technologie- und Informationsverbote erinnern in mancherlei Hinsicht an Frédéric Bastiats Mélanges von 1845, in denen dieser satirisch die wettbewerbsfeindliche Einflussnahme wirtschaftlicher Interessenverbände an einem berühmt gewordenen Beispiel schildert: dort beschwert sich der Verband der Kerzenmacher bei der Regierung über die schädliche Wirkung der Sonne und fordert eine Verdunklungspflicht bei Tage.1

Grundlage für die Forderungen der Musikindustrie sind deren schlechte Geschäftszahlen im Jahr 2000. Wenn man jedoch den Einbußen der Musikindustrie (laut BMG-Europapräsident Stein 11% weniger Umsatz beim CD-Verkauf im ersten Halbjahr 2001) nicht von "Raubkopien" betroffene Industriezweige gegenüberstellt (Vgl. Hewlett-Packard mit 89 Prozent weniger Gewinn), relativiert sich die Glaubwürdigkeit der für den Umsatzrückgang genannten Gründe doch erheblich. Trotzdem werden die Verluste weniger durch schlechte Produkte, durch die gesamtwirtschaftliche Lage oder durch die Unfähigkeit der Manager erklärt. Vielleicht, weil sich stattdessen bequem Buhmänner von außerhalb finden lassen, mit denen bereits eine exzessive Verschärfung des Urheberrechts gefordert wurde, als die Musikindustrie im Zuge des Booms der späten 1990er noch erhebliche Umsatzsteigerungen verbuchen konnte.

Auf einem Symposion des Instituts für Urheber- und Medienrecht im Rahmen der Medientage München stellte die deutsche Funktionärselite unter Leitung von GEMA-Chef Kreile ihre Ansichten zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie in deutsches Recht vor. Neben GEMA-Syndikus Becker nahm auch Jörg Reinbothe, der "Vater" dieser Richtlinie teil. Reinbothe ist Leiter der Abteilung für Urheberrecht und verwandte Schutzrechte bei der Generaldirektion Binnenmarkt der EU-Kommission - also ein Beamter und damit ein Angehöriger jener Gruppe, die, laut Kreile - der das völlig ohne Ironie oder Kritik formulierte - die "wahren Gesetzgeber" sind. Neben diesen drei Bürokraten durfte Thomas Dreier vom Institut für Informationsrecht an der Universität Karlsruhe die Richtlinie rechtstheoretisch beäugen. Aus dem Justizministerium konnte, wollte oder durfte dagegen niemand nach München kommen. Man habe keine Zeit hieß es, da man an der Umsetzung der Richtlinie arbeite. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass es bisher noch keinen Umsetzungsentwurf gibt.

Bertelsmann-Manager Thomas M. Stein gab auf der Popkomm offen zu, dass die EU-Richtlinie zum Urheberrecht nicht neutral ist, sondern die Rechte der Branche stärken wird. Einen erheblichen Machtzuwachs von Rechtsinhabern gegenüber anderen Gruppen bietet allein die Regelung, dass bei On-Demand-Lieferung keine "Erschöpfung" eintritt (Vgl. Erwägungsgrundlage 29 der Richtlinie). Anders als bei CDs wird jede Bereitstellung eines Online-Dienstes als zustimmungsbedürftige Handlung gewertet. Nun kann, der Rechtsinhaber den Kunden in Ruhe abhängig machen und nach Erreichen seines Ziels theoretisch täglich seine Gebühren erhöhen bzw. die Lizenzbedingungen verschlechtern (Vgl. Gratisdienste und Opportunitätskosten)Weiter fällt an der Richtlinie auf, dass ihr Text mit dem PR-Gerede vom "Schutz des Urhebers" Schluss macht: Kernbegriff der Richtlinie ist nämlich nicht der "Urheber", sondern der "Rechtsinhaber." Das ist wiederum meist der "derivativ Berechtigte", den nicht die Kultur, sondern nur die Amortisation seiner Investitionen interessiert.

Diesen Rechtsinhabern gewährt die Richtlinie in Artikel 2 erst einmal ein umfassendes Verbotsrecht.

Nach Artikel 5 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten eine Reihe von Ausnahmen oder Beschränkungen ("Schranken") in Bezug auf das in Artikel 2 vorgesehene Vervielfältigungsverbot erlassen. Nur die "technische Kopie", also z.B. das Laden in den Arbeitsspeicher, gilt dabei als grundsätzlich erlaubte Kopie ohne Vergütungspflicht. Auch gegen diese Ausnahme hatte die Lobby aus Medienkonzernen und Verwertungesellschaften jahrelang opponiert {Vgl. Reinhard Jellen und Peter Mühlbauer, Öffentliches Privateigentum, in: Spex 228, November 1999, S. 15. ), weil das Einstufen des Ladevorgangs in den Arbeitsspeicher als Kopie automatisch jeden Abspiel- und Betrachtungsvorgang vergütungspflichtig gemacht hätte. Nachdem dieses Vorhaben scheiterte, versuchen die Medienkonzerne diesen Effekt durch die Kombination von DRM-Systemen und dem Verbot bzw. der Zensur sogenannter "Umgehungstechnologien" zu erreichen.

Neben der Arbeitsspeicherregel können Schranken für das Vervielfältigungsverbot unter anderem für Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen oder Archive, die keinen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, eingeführt werden (Art. 5 Abs. 2 c und d). Diese gibt es aber nicht automatisch - sie müssen stattdessen explizit in nationales Recht umgesetzt werden. Dasselbe gilt für die Ausnahmen in Absatz 3, wonach Ausnahmen von der Verbotsregelung des Artikels 2 unter anderem zur Veranschaulichung im Unterricht oder für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung (Art. 5 Abs. 3 a) sowie für die Vervielfältigung durch die Presse, die öffentliche Wiedergabe oder die Zugänglichmachung von veröffentlichten Artikeln "zu Tagesfragen wirtschaftlicher, politischer oder religiöser Natur" erlaubt werden können (Art. 5 Abs. 3 c).

Nicht aufgeführt sind Tagesfragen kultureller und sozialer Natur. Die Presseausnahme unterliegt außerdem den Einschränkungen, dass nur "kopiert" bzw. zitiert werden darf "soweit es der Informationszweck rechtfertigt" und "sofern eine solche Nutzung nicht ausdrücklich vorbehalten ist." Art. 5 Abs. 3 d ermöglicht Zitate zu Zwecken der Kritik oder für Rezensionen, Buchstabe e die Nutzung für Behörden und Gerichte. Ausnahme i erlaubt die "beiläufige Einbeziehung" eines Werks in anderes Material, k die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches und l die Nutzung "im Zusammenhang mit der Vorführung oder Reparatur von Geräten." Die ins groteske gehende Detailliertheit des Ausnahmenkatalogs, die besonders an der Ausnahme l gut sichtbar wird, weist auf ein grundlegendes Problem des Artikels 5 hin: Was nicht ausdrücklich erlaubt ist, gilt als verboten. Nicht in 5 aufgeführte Ausnahmen dürfen nach Art. 5 Abs. 3 o nur für die analoge Nutzung beibehalten und nicht neu eingeführt werden. Und selbst die möglichen Ausnahmen aus dem Katalog des Artikels 5 müssen erst explizit in nationales Recht übernommen werden - was die Medienindustrie gerade durch intensive Lobbyarbeit zu verhindern sucht.

Gerade die bizarre Ausnahmeregelung zur Reparatur von Geräten zeigt aber, wie wichtig die Umsetzung möglichst all dieser Schranken ist: Sonst darf plötzlich nicht mehr karikiert, rezensiert oder geforscht werden - außer es passt dem jeweiligen "Rechtsinhaber" grade in den Kram. Doch nach einer weitgehenden Umsetzung aller Schranken sieht es derzeit in vielen europäischen Ländern nicht aus. Die "kummulativen" erlaubten Ausnahmen in Artikel 5 werden - abgesehen von der Regel zugunsten Behinderter - wahrscheinlich nicht in allen Mitgliedsländern umgesetzt. Frankreich und Großbritannien neigen angeblich sogar noch weniger der Einführung von Schranken zu als Deutschland.

Wie ernst es mit diesem Verbot aller nicht explizit aufgeführten Kopien ist, zeigt auch die Debatte darüber, was nach Umsetzung der Richtlinie mit "amtlichen Werken" passiert. Nach § 5 des Urheberrechtsgesetzes genossen bisher Gesetze, Verordnungen, amtliche Erlasse und Bekanntmachungen keinen urheberrechtlichen Schutz. Die Richtlinie kennt jedoch keinen Ausnahmefall für diese Dokumente. Sollten amtliche Werke von der Rechtsprechung nicht von vorneherein als nicht schutzfähige Werke eingestuft werden, könnte es dem Bürger deshalb blühen, dass er seine eigene Rechtsordnung künftig nur mehr gegen Gebühr und mit Lizenzvereinbarung einsehen darf.

"Drei-Stufen-Test" ist ein Lieblingsausdruck von Juristen. Er ist in etwa vergleichbar mit der Beliebtheit und Wirkung von "objektorientiert" vor ein paar Jahren im IT-Bereich - nur dauerhafter. Deshalb erfanden Rechtsgelehrte zahlreiche drei-Stufen-Tests in den unterschiedlichsten Rechtsbereichen. So ist es nicht verwunderlich, dass auch die Richtlinie am Ende des Art. 5 einen drei-Stufen-Test enthalten soll. Art. 5 Abs. 3 Unterabsatz 2 bestimmt, dass nationalstaatliche Ausnahmen vom Verbot der Privatkopie nur in "Sonderfällen" angewandt werden dürfen (Stufe 1) in denen die "normale Verwertung" des Werks nicht beeinträchtigt wird (Stufe 2) und die "berechtigten Interessen" des Rechtsinhabers nicht "ungebührlich" verletzt werden (Stufe 3).

Wenn die dritte Stufen ökonomisch ausgelegt wird, d.h. wenn sich "Schranken" (also Privatkopien) wirtschaftlich nicht negativ für die Rechtsinhaber auswirken dürfen, stehen die nationalen Legislativorgane bei der Umsetzung vor einem größerem Problem. Dürfen in Rezensionen oder Karikaturen keine Zitate erlaubt werden, weil sich ein Verriss negativ auf den Verkauf des Werks auswirken könnte? Oder gibt es, ganz aufmerksamkeitsökonomisch betrachtet, überhaupt keine negative Berichterstattung? Über die Auswirkung von Privatkopien auf Märkte gibt es höchst unterschiedliche Ansichten. Netzwerkökonomische Theorien, die von verkaufsfördernden Auswirkungen ausgehen (Vgl. New Rules for the New Economy), bestehen neben der von der Verbänden der Medienindustrie in ihren Statistiken und Rechnungen implizit vertretenen Auffassung, dass jede Privatkopie eine nicht verkaufte CD zur Folge habe. Die tatsächlichen Auswirkungen von Privatkopien auf Märkte könnten jedoch jenseits aller Theorien in verschiedenen Fällen ganz verschiedene Wirkungen zur Folge haben. Deshalb muss der Gesetzgeber in der Umsetzung der Richtlinie wahrscheinlich mindestens zwischen einzelnen Bereichen wie Text, Musik und Film unterscheiden.

Art. 6 Abs. 4 regelt, dass, wenn von Seiten der Rechtsinhaber keine "freiwilligen Maßnahmen" ergriffen werden, die Mitgliedstaaten "geeignete Maßnahmen" treffen, um sicherzustellen, dass die Rechtsinhaber den Begünstigten einer gemäß Artikel 5 Absatz 2 Buchstaben a (Fotokopien), c (Bibliotheken) d (Rundfunkarchive) und e (Krankenhäuser und Gefängnisse) oder Absatz 3 Buchstaben a (Forschung), b (Behinderte) und e (Behörden und Gerichte) vorgesehenen Ausnahme "die Mittel zu ihrer Nutzung zur Verfügung stellen" - also Privatkopien zulassen. Artikel 6. Abs. 4 Unterabsatz 1 ist jedoch in seiner Reichweite beschränkt: Er gilt nur für die sieben explizit aufgeführten Ausnahmen und damit nicht für die klassische Privatkopie.

Für Ausnahmen gemäß Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe b, also für die klassische Privatkopie, kann ein Mitgliedsstaat dagegen nur Maßnahmen treffen, "sofern die Vervielfältigung zum privaten Gebrauch nicht bereits durch die Rechtsinhaber in dem für die Nutzung der betreffenden Ausnahme oder Beschränkung erforderlichen Maße [unter Berücksichtigung des drei-Stufen-Tests] ermöglicht worden ist. Die Medienindustrie kann also minderwertige und zeitlich begrenzte "Kopien" als Erfüllung ihrer Pflicht verkaufen und im Zweifelsfall mit dem Verweis auf wirtschaftliche Nachteile die Privatkopie ganz verweigern. Darüber hinaus kann sie die Zahl der Kopien beschränken.

Der "Schutz" von Kopierschutzvorrichtungen wird von der WIPO vorgeschrieben. Umgesetzt ist er in Kapitel drei der Richtlinie, in dem der "Schutz von technischen Maßnahmen und von Informationen für die Wahrnehmung der Rechte" geregelt wird. Problematisch daran ist, dass Art. 6 der Richtlinie nicht nur ein Verbot der "Umgehung" von Kopierschutztechnologien zwingend vorschreibt, sondern auch sogenannte "Vorbereitungsakte", d.h. Technologien, Software und - je nach Umsetzung der Richtlinie - sogar wissenschaftliche Beschreibungen und Algorithmen verbieten kann.

Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie schreibt den Mitgliedstaaten einen "angemessenen Rechtsschutz" gegen die Umgehung "wirksamer technischer Maßnahmen" vor. Nach Artikel 8 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie müssen die Sanktionen außerdem "wirksam, verhältnismäßig und abschreckend" sein - Anforderungen, die sich aus dem TRIPS-Abkommen ergeben. Das heißt jedoch keineswegs, dass sie - wie Hardliner fordern - im Strafrecht verankert sein müssen. Ein Ordnungsgeld, wie es etwa beim Schwarzfahren oder Falschparken angewendet wird, schreckt ab und ist noch verhältnismäßig. Ohnehin muss nach Art. 8 Abs. 2 jeder Mitgliedstaat die "erforderlichen Maßnahmen" treffen, um sicherzustellen, dass Rechtsinhaber Klage auf Schadenersatz erheben können "und/oder" (eine bemerkenswert unbestimmte Formulierung für einen Gesetzestext) eine gerichtliche Anordnung sowie gegebenenfalls die Beschlagnahme von rechtswidrigem Material und von "Vorrichtungen" ebenso wie "Erzeugnissen" beantragen können. Trotzdem fragt sich der Jurist Dreier, ob Schadensersatz allein "abschreckend" ist. Der modebewusste Jurist will stattdessen einen "doppelten Schadensersatz" weil man sich damit "im internationalen Trend" befände.

Artikel 6 Abs. 2 garantiert einen solchen "angemessenen" Rechtsschutz - wie immer er nach Umsetzung der Richtlinie aussehen mag - zudem gegen "die Herstellung, die Einfuhr, die Verbreitung, den Verkauf, die Vermietung, die Werbung im Hinblick auf Verkauf oder Vermietung und den Besitz zu kommerziellen Zwecken von Vorrichtungen, Erzeugnissen oder Bestandteilen sowie die Erbringung von Dienstleistungen." Man beachte, dass eine bloße "Verbreitung" hier nicht genannt wird. Die aufgeführten Handlungen müssen überdies die Umgehung "wirksamer technischer Maßnahmen" zum Ziel haben bzw. nur einen "begrenzten wirtschaftlichen Zweck" neben dem, "die Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen zu ermöglichen oder zu erleichtern." Hier kündigen sich ohne genauere Ausführungen bei der nationalen Umsetzung erhebliche Probleme für die Wissenschaft (deren wirtschaftlicher Zweck immer "begrenzt" ist) als auch für den Journalismus an.

Besonders problematisch ist, dass schon eine "Erleichterung" der Umgehung ein Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 2 c sein kann. Einer unverhältnismäßigen Einschränkung grundgesetzlich gewährter Freiheiten kann hier nur Einhalt geboten werden, wenn sowohl wissenschaftliche als auch journalistische Arbeiten bei der Umsetzung der Richtlinie explizit und rechtssicher von Sanktionen ausgenommen werden. Wird solch eine Regelung dagegen restriktiv umgesetzt, wie in den USA durch den DMCA, bedeutet das eine massive Einschränkung von Presse- Wissenschafts- Meinungs- und Informationsfreiheit, die unter anderem bereits die Publikation wissenschaftlicher Studien zu Verschlüsselungssystemen verhinderte (Vgl.Zwischen den Zeilen) und Dmitry Sklyarov für das Aufdecken von Verschlüsselungssystemen, die sogar ohne technische Hilfsmittel beim Lesen im Kopf enträtselt werden können, ins Gefängnis brachte (Vgl. Making Light).

Der eigentlich relativ unbestimmte Begriff "wirksam" wird in Absatz 3 sehr genau definiert - und zwar so, dass fast alles unter "wirksam" fällt: "Technische Maßnahmen sind als "wirksam" anzusehen, soweit die Nutzung eines geschützten Werks oder eines sonstigen Schutzgegenstands von den Rechtsinhabern durch eine Zugangskontrolle oder einen Schutzmechanismus wie Verschlüsselung, Verzerrung oder sonstige Umwandlung des Werks oder sonstigen Schutzgegenstands oder einen Mechanismus zur Kontrolle der Vervielfältigung, die die Erreichung des Schutzziels sicherstellen, unter Kontrolle gehalten wird." Damit muss sich die Medienindustrie keine Sorgen mehr über die Qualität ihrer Kopierschutzmassnahmen machen - sie sind jetzt einfach per Definitionen und ohne Rücksicht auf die technische Realität "wirksam".

Der GEMA-Funktionär Becker plädiert für eine "lean transformation" der Richtlinie, will, dass "nur das allernötigste" spezieller im nationalen Recht ausgeführt wird. Auch der EU-Bürokrat Reinbothe sieht bei der Umsetzung des Artikels 6 der Richtlinie "keine großen Probleme", er sollte seiner Ansicht nach "wortwörtlich" in nationales Recht übernommen werden.

Problematisch am Artikel 6 sind jedoch neben den bereits erwähnten Einschränkungen von Grundrechten und den damit verbundenen Gefahren für Presse und Wissenschaft auch die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsinhaber den Schlüssel herausgeben muss, ebenso wie das Verfahren: Wird eine Behörde für die Herausgabe der Schlüssel geschaffen, oder soll dies Aufgabe der Gerichte werden? Wer hier, wie Becker, absichtlich gegen die Einführung klärender Voraussetzungen plädiert, setzt bewusst auf Rechtsunsicherheit - aus welchen Gründen auch immer.

Hätte dieser "Schutz" der Kopierverhinderungsmaßnahmen - worunter unter anderem Verschlüsselung fällt - nicht auch Vorzüge für Privatpersonen? Man könnte daran denken, dass nun auch die eigene Kommunikation und das Versenden, Anbieten und Herunterladen von Dateien - sofern sie verschlüsselt erfolgt - vor dem neugierigen Zugriff von Staat und Konzernen plötzlich auch durch das Urheberrecht geschützt wird. Damit Privatleute nicht in solcher Weise vom Gesetz profitieren können, hat die EU Artikel 6 unter "Ordre-Public-Vorbehalt" gestellt. Danach müssen Rechtsinhaber bei vermuteten Rechtsverstößen den Schlüssel herausgeben.

So bringt diese Regelung dem Konsumenten nichts, weil dieser sich kaum in einem jahrelangen und kostenintensiven Gerichtsverfahren das Recht auf eine Privatkopie für jedes einzelne Stück erstreiten wird. Aber den Staatsorganen, die rebellische Kryptographiebenutzer (so diese sich auf des Urheberrecht berufen sollten) nun theoretisch alleine aufgrund von Heimlichtuerei bestrafen können, bringt es eine Einbruchsstelle in die Kontrolle von privat eingesetzter Kryptographie.

Der EU-Beamte Reinbothe ist der Auffassung, dass der Ordre-Public-Vorbehalt nicht nur praktisch, sondern auch juristisch gar nicht für das Erstreiten eines Rechts auf Privatkopien dienen kann. In jedem Falle aber müssten sich die Benutzer für ihre Privatkopie an die Rechteinhaber wenden. Nach Auffassung Reinbothes geht nach Umsetzung der Richtlinie, die hier "juristisches Neuland" erschließt, sogar eine "Vereinbarung" - also z.B. eine Lizenz - dem (dann nur noch nominellen) Anspruch auf eine Privatkopie vor. Damit widerspricht er den Hoffnungen kritischer Juristen auf ein Selbstbehelfsrecht der Benutzer (Vgl.Selbsthilfrecht zum Umgehen von Kopierschutz) und macht gleichzeitig indirekt klar, dass die Beteuerungen aus Regierungskreisen, man wolle kein Ende der Privatkopie (Vgl. Justizministerium hält am Recht auf die Privatkopie fest), nichts als Makulatur und der faktischen Ausrottung der Privatkopie nicht wirklich ein Hindernis sind.

Der Juraprofessor Dreier hält im Unterschied zur Reinbothe und der GEMA-Riege den Art. 4 Abs. 4 nicht für ausgewogen und nennt als Beleg dafür die Scientology-Sekte, die ihre Lehren mit Kopierschutztechnologie schützen und sich damit rechtlich gegen Kritik unangreifbar machen kann. Einen möglichen Ausweg sieht er darin, dass bei sittenwidrigen Verträgen keine vertragliche Vereinbarung bzw. Lizenzvereinbarung zustande gekommen ist und damit auch keine Verletzung eines gültigen Kopierschutzes vorliegen würde.

Artikel 7 verpflichtet die Mitgliedstaaten zu "angemessenem rechtlichen Schutz" gegen Personen, die die Entfernung oder Änderung elektronischer Informationen für die Wahrnehmung der Rechte, die Verbreitung, Einfuhr zur Verbreitung, Sendung, öffentliche Wiedergabe oder öffentliche Zugänglichmachung von Werken oder sonstigen Schutzgegenständen, bei denen elektronische Informationen für die Wahrnehmung der Rechte unbefugt entfernt oder geändert wurden, "veranlassen, ermöglichen, erleichtern oder verschleiern." Besitz und Erwerb bleiben dem Wortlaut des Artikels 7 nach also weiterhin legal.

Eine besonders problematische und bisher kaum bekannte Neuerung der Richtlinie ist der Unterlassungsanspruch gegen "Vermittler" - also unter anderem gegen Provider - aus Artikel 8 Abs. 3, der wie der amerikanische DMCA, ein "notice-and-take-down", also ein zwangsweises Abschalten von Webseiten, nicht durch den Betreiber des Angebots, sondern durch seinen Provider allein durch den Vorwurf der Urheberrechtsverletzung erzwingt (Vgl. Microsoft Asks Slashdot To Remove Readers' Posts). Noch problematischer ist, dass damit möglicherweise auch ein Sperranspruch gegen Anbieter von Dateien im Gnutella-Filesharingsystem (bei dem die IP-Nummer und damit der Provider sichtbar wird) durchgesetzt werden kann.

Teil 2: Von der Defensive in die Offensive: Konstruktive Vorschläge für ein geändertes Urheberrecht