Selbsthilfrecht zum Umgehen von Kopierschutz

Die Zukunft der privaten Nutzung nach der Umsetzung der europäischen Urheberrechts-Richtlinie

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Die jüngst verabschiedete Richtlinie 2001/29/EG soll als Meilenstein der Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft gelten. Dies sollte nicht davon ablenken, dass der jahrelange Lobbyismus während der Entscheidungsfindung in den Europäischen Organen seine Spuren hinterlassen hat. So mussten in vielen Fragen Zugeständnisse gemacht werden, die sich als offene Regelungen mit einem erheblichen Umsetzungsspielraum niederschlagen. In diesen Fragen geht nun der Kampf um die Berücksichtigung der entgegenstehenden Interessen bei der Umsetzung der Richtlinie in die zweite Runde.

Der deutsche Gesetzgeber hat die schwierige Aufgabe zu erfüllen, die in der Richtlinie geregelten Punkte einer sinnvollen und vor allem interessengerechten gesetzlichen Lösung im Urheberrechtsgesetz zuzuführen. Besonders schwierig wird hierbei - neben der Anpassung der deutschen Schrankenbestimmungen an die Vorgaben der Richtlinie - die Arbeit an den hoch komplizierten und zum Teil wenig konkreten Schutzvorschriften für technische Maßnahmen. Die Richtlinie lässt die Frage nach dem Gegenstand dieser Vorschriften ebenso weit offen, wie deren Verhältnis zu anderen Regelungsbereichen.

Besonders heikel ist hierbei das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Schutz der Technik und Schutz der Privatkopie. Konkret stellt sich hier die Frage, ob bei einer umfassenden Sicherung der Rechtsinhaber vor der Umgehung technischer Sicherungssysteme noch Raum für die Möglichkeiten des Konsumenten ist, wie bisher für private Zwecke Kopien der von ihm genutzten Werke anzufertigen. Im Gesetzestext der Richtlinie hat man die Entscheidung, ob auch digitale Kopien zu privaten Zwecken in Zukunft noch ohne Einwilligung der Rechtsinhaber zulässig sein sollen, dem nationalen Gesetzgeber überlassen. Wenn eine derartige Beschränkung des Urheberrechts eingeführt wird, muss die Rechtsinhaber hierfür jedoch angemessen entschädigt werden.

Besonders brisant ist in diesem Spannungsfeld, dass die offene Richtlinienformulierung eine nationalgesetzgeberische Entscheidung ermöglicht, nach der das Schicksal der Privatkopie in Zukunft in den Händen der Rechtsinhaber, also zumeist der Content-Industrie, liegen könnte. Dass hierbei aus Sicht der Nutzer im Zweifel ungerechtfertigte Ergebnisse entstehen werden, muss kaum näher erörtert werden. Die Zusammenhänge dieser Problematik und der Vorschlag für eine wünschenswerte Lösung sollen im folgenden aufgezeigt werden.

Anwendungsbereich des Art. 6 der Richtlinie 2001/29/EG

Erstmalig wird auf dem Bereich des Urheberrechts durch die Richtlinie (Art. 6) ein so genannter rechtlicher Flankenschutz eingeführt. Der dahinter stehende Gedanke liegt darin, dass Recht und Technik sich, gewissermaßen symbiotisch, gegenseitig schützen, indem die Technik dazu dient, Rechtsverletzungen zu verhindern und das Recht dient, vor der Umgehung der Technik abzuschrecken.

Die entsprechende Norm in der Richtlinie ist leider - und das räumen selbst die Verantwortlichen bei der Europäischen Union ein1 - eine äußerst komplizierte und, bei näherem Hinsehen, konturlose Vorschrift, deren Auslegung ein großes Spektrum an Interpretationsmöglichkeiten eröffnet. Es steht zu erwarten, dass auch im Rahmen der Umsetzung in das deutsche Recht von Seiten der Lobbyisten einiger Druck auf den deutschen Gesetzgeber ausgeübt wird, in den wichtigen Punkten zu Gunsten der eigenen Interessen zu entscheiden.

Die Urheberrechts-Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, wirksame Sanktionen einerseits gegen die Umgehung von technischen Maßnahmen zum Schutze des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte und darüber hinaus auch gegen vorbereitende Verletzungshandlungen, wie z.B. die Bewerbung, den Import und die Herstellung von Umgehungsmechanismen, einzuführen. Mit "technische Maßnahmen" gemeint sind Zugangs- und auch Kopiersperren, die z.B. auf Verschlüsselung oder Verzerrung basieren. Diese Systeme müssen "im normalen Betrieb" zur Verhinderung von Urheberrechtseingriffen bestimmt sein. Was alles hierunter fällt oder fallen kann, ist offen. So stellt sich z.B. die Frage, ob Schutzsysteme, die als Hauptzweck nicht dem Urheberrecht dienen, sondern ganz anderen Belangen, wie z.B. der Einführung eines technischen Standards durch monopolartige Lizenzierungsmethoden (wie CSS bei DVDs), noch unter das Umgehungsverbot fallen können.

Die Abhängigkeiten zwischen dem Schutz von technischen Maßnahmen und dem Recht auf Anfertigung von Privatkopien

An der momentan überall laut werdenden Kritik bezüglich der Einführung von Audio-Kopierschutzsperren durch alle großen Musikkonzerne wird eines deutlich: die Konsumenten fühlen sich im Bewusstsein von bestimmten Freiheiten empfindlich beeinträchtigt. "Mit welchem Recht können die Plattenfirmen mir verbieten, von einer gekauften CD Musikstücke zu kopieren um diese auch auf meinem MP-3 Player zu hören oder einem Freund eine Kopie der Scheibe zu brennen?", fragt man sich.

War das Unverständnis und die Rebellion gegen das vermeintliche Verbot gegen freies Tauschen in Filesharing-Netzen schon erheblich, kommt hier noch eine andere Dimension hinzu. Selbst als bezahlender Konsument, der keine kommerziellen Interessen hiermit verfolgt, soll ich in Zukunft nicht mehr kopieren können, wie es mir passt. Was kommt als nächstes - vielleicht, dass ich eine CD nur noch 2 mal am Tag oder insgesamt nur 10 mal hören darf? Auch hier hängt die Antwort auf die Fragen wesentlich von der deutschen Umsetzung der - insoweit wiederum äußerst offenen - Richtlinie ab.

Nach Art. 6 Absatz 4 liegt es im Ermessen des nationalstaatlichen Gesetzgebers, ob er eine Regel einführt, nach der die Rechtsinhaber verpflichtet wären, dafür zu sorgen, dass private Vervielfältigungen trotz Kopiersperre noch angefertigt werden können. Die ebenfalls mögliche Alternative liegt darin, ohne mit den Mitteln eines rechtlichen Gebotes darauf hinzuarbeiten, dass die Rechtsinhaber freiwillig derartige Möglichkeiten bereit stellen.

Verpflichtung der Rechtsinhaber zur Ergreifung von Maßnahmen, die das Anfertigen von privaten Kopien ermöglichen

Die Entscheidung des Gesetzgebers hängt von einer Wertung ab. Soll auch in Zukunft der Bereich privater Nutzung weitgehend von Verbotsrechten frei bleiben, wofür die Rechtsinhaber eine pauschale Vergütung per Leermittel- und Geräteabgaben entschädigt werden oder setzt man zukünftig auf individuelle Erfassung eines jeden im privaten Umfeld statt findenden Nutzungsvorgangs? Auf letzteres würde es sicherlich hinauslaufen, wenn man der Content-Industrie, welche bei den Konsultationen in der EU jahrelang gegen die digitale Privatkopie interveniert hat, die Entscheidung über die Bereitstellung von Möglichkeiten zur Anfertigung von Privatkopien überlässt.

Das Bundesjustizministerium hat durch Elmar Hucko bei der IFA bereits anklingen lassen, dass man sich dort für den Erhalt der Privatkopie ausspricht. Diese Einschätzung ist unbedingt zu unterstützen. Um dies zu gewährleisten, bedarf es eines rechtlichen Gebotes. Das Hinwirken auf freiwillige Maßnahmen mag zwar aus Sicht einer "friedlichen" Einigung zwischen den Beteiligten wünschenswert sein, Erfolgsaussicht können derartige Initiativen jedoch nur dann haben, wenn zumindest im Falle eines Scheiterns die staatliche Anordnung droht. Es bleibt daher zu hoffen, dass im kommenden Urheberrechtsgesetz Formulieren zu finden sein werden wie etwa: "Die Rechtsinhaber stellen sicher, dem Begünstigten einer Schrankenbestimmung zu ermöglichen von der Privilegierung Gebrauch zu machen, soweit auf die Werke technische Schutzmaßnahmen angewendet wurden."

Sicherstellung von effektiven Rechtsschutzmöglichkeiten, um das Recht auf private Kopie durchzusetzen

Auch wenn die Rechtsinhaber verpflichtet sind, auf welche Weise auch immer, Kopien zu bestimmten Zwecken zu ermöglichen, muss dies nicht heißen, dass man sich auch immer daran halten wird. Ergänzend zu diesem Gebot bedarf es daher der Bereitstellung von gesetzlichen Möglichkeiten für den Einzelnen, sein Recht in solchen Fällen auch durchzusetzen.

Verschiedene Wege kommen hier in Betracht. Der Wortlaut der Richtlinie ist diesbezüglich - erneut - weit gehend indifferent. Am ehesten könnte man aus den Formulierungen schließen, dass man sich eine Durchsetzung der privaten Interessen per gerichtlichem Verfahren gegen die Rechtsinhaber vorstellt. Die Nachteile einer solchen Lösung liegen auf der Hand: Der Nutzer trägt die Risiken der Rechtsverfolgung. Besonders aber die lange Dauer von Gerichtsverfahren lässt eine solche Waffe als wirkungslos erscheinen. Was würde es nützen, nach anderthalb Jahren sein Recht durchsetzen zu dürfen, eine private Kopie von einer Maxi-CD anzufertigen?

Effektiver wäre dagegen, dem Nutzer bei Nichteinhaltung des Gebotes private Kopien zu ermöglichen, also etwa zu erlauben, den Kopierschutz selbst zu umgehen, ohne hierfür vorher einen Titel bei Gericht erwirken zu müssen. Juristisch würde man dies als Selbsthilferecht bezeichnen. Folge ist, dass eine eigentlich untersagte Handlung in besonderen Fällen ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Nicht nur, dass hierin die wohl einzig effektive Schutzmöglichkeit der privaten Nutzer gegen zu weit reichende Kopiersperren läge. Das hierdurch erweckte Interesse der Industrie, eigenmächtiges Vorgehen bei den Konsumenten zu verhindern, hätte im Zweifel auch faktisch zur Folge, dass entsprechende Mittel zur Kopie trotz Schutzmaßnahme bereit gestellt würden.

Problematisch ist bei einer solchen Lösung, dass der Richtlinien-Wortlaut, wenn hierauf auch nicht ausdrücklich eingegangen wird, eher gegen die Zulässigkeit eines solchen Lösungsweges spricht. Mangels konkreter Einlassung in der Richtlinie ist sie jedoch auslegungsfähig. Stellt man dabei in erster Linie auf den Zweck der Ausnahme vom Verbot der Umgehung technischer Schutzmaßnahmen ab, käme man eher zur "Selbsthilfelösung". Immerhin soll hiermit ja effektiv gewährleistet werden, dass der private Nutzer sein Recht auf Privatkopie auch durchsetzen kann. Gibt es keine andere effektive Lösung dieser Aufgabe, muss diese auch möglich sein, da der Regelungszweck dies bedingt. Ansonsten verkäme die Anerkennung der Bedeutung der Interessen privater Nutzer an freier Kopiermöglichkeit im privaten Umfeld Kopien zur reinen Theorie.

Ergebnis

Die Contentindustrie hat bislang mit der Einführung von flankierenden Schutzrechten für technische Maßnahmen erreicht, dass die Sicherung ihrer Interessen vom Gesetz weit gehend auf die Technik verlagert wird. Es muss nunmehr besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, dass die Technik nicht zum alleinigen Herrscher über den urheberrechtlichen Interessenkonflikt gemacht wird.

Technik nimmt keine Rücksicht auf die Sozialpflichtigkeit des geschützten Gutes. Technik nimmt auch keine Rücksicht auf den Schutz der Privatsphäre und den Datenschutz. Technik dient immer nur den Interessen desjenigen, der sie anwendet. Ist dieser hierbei frei, kann er Reglementierung herbeiführen, wo Freiheit geboten ist; kann er den ausschließen, der partizipieren soll; kann er Geld verlangen, wofür schon bezahlt wurde - und er wird es auch. Es ist nun an dem deutschen Gesetzgeber dafür zu sorgen, dass er die Realisierung wichtige Allgemeininteressen nicht vom "good will" der Industrie abhängig macht.