Lex Bertelsmann, Teil 2

Von der Defensive in die Offensive: Konstruktive Vorschläge für ein geändertes Urheberrecht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Durch die Umsetzung der EU-Richtlinie werden erhebliche Änderungen im deutschen Urheberrechtsgesetz und im Urheberrechtswahrnehmungsgesetz notwendig. Bisher kamen alle Vorschläge zur Änderung dieser Gesetze aus den oben geschilderten Lobbies. (Vgl. Teil 1 Lex Bertelsmann vor der zweiten Hürde) Die Änderung der beiden Rechtsnormen könnte jedoch auch zu deren Entrümpelung und zur Beseitigung bestehender Ungerechtigkeiten genutzt werden.

So fragt man sich etwa, wieso es eigentlich trotz GEMA und Konsorten noch das Phänomen des armen Künstlers gibt? Das liegt unter anderem an der ungerechten und unkontrollierten Verteilung der Gelder durch die Verwertungsgesellschaften. In ihrer jetzigen Form sind diese eine Art Anti-Robin-Hood: Sie nehmen von den Armen und geben den Reichen. (Vgl. Urheberrechtsausgleich oder Subventionssteuer?) So geht ein Großteil der von ihnen ausgeschütteten Gelder nicht an die Künstler, sondern an "Rechteinhaber", wie etwa die Musikverlage, die sich wiederum überwiegend in der Hand der Musikkonzerne befinden. Ein gut Teil der Urheberrechtsabgabe fließt so über einen kleinen Umweg nicht in die Kassen der Musiker, sondern in die der Konzerne. Hinzu kommt, dass z.B. in den USA Musiker oft in Standardverträgen alle Rechte an ihren Werken abgeben müssen. So kommt es, dass etwa der Northern-Soul-Musiker Major Lance trotz Erfolgs verarmte und im Gefängnis landete, während Thomas Middelhoff von Bertelsmann "in dieser wohlgeordneten Parklandschaft in Ostwestfalen" lebt, "wo Enten über den kurz geschnittenen Rasen watscheln und ein livrierter Diener Besuchern Mineralwasser und Champagner serviert." {Süddeutsche Zeitung, 13. August 2001, S. 3}.

Diese Verteilungsungerechtigkeit findet man nicht nur bei der GEMA, sondern auch bei anderen Verwertungsgesellschaften wie der VG Wort : Ende der 1970er tauchten mit der Verbreitung von Fotokopierern Fanzines als neues Medium auf. Die Leidtragenden der Fotokopierer-Abgabe an die VG Wort (stattliche 2 Pfg. pro Kopie) waren die Herausgeber tausender solcher Fanzines, die mit solchen Geräten reproduziert wurden. Ausgeschüttet wurde das über die Fotokopiereraufgabe eingenommene Geld dann nicht an die Autoren der Fanzines, sondern an die großer Zeitschriften - ohne dass sich jemand um deren tatsächliche Kopierhäufigkeit gekümmert hätte.

Der Chef der VG Wort gab - als auf der Jahresversammlung 2001 eine Demokratisierung der Verwertungsgesellschaft gefordert wurde, um mehr Mitglieder anzulocken - zu, dass, wenn alle Schreiber ihren Anteil aus den Einnahmen forderten, sich das Ausfüllen der Formulare nicht mehr lohnen würde. Das ganze System der Verwertungsabgaben funktioniert also nur durch diese ungerechte Verteilung.

Dringend notwendig zur Beseitigung dieser Missstände im deutschen Urheberrecht wäre zuallererst die Abschaffung der GEMA-Vermutung in § 13b Abs. 3 des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes, einer Beweislastumkehr, nach der vermutet wird, dass die Verwertungsgesellschaft alle Rechte an jedem in Deutschland gespielten Stück hat.

Ebenfalls unumgänglich ist die Ersetzung der bisherigen bürokratischen Aufsicht über die Verwertungsgesellschaften durch eine demokratische Aufsicht. Hierfür wäre eine Änderung des § 18 Abs. 1 des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes vonnöten, der die Aufsicht dem Patentamt zuweist und damit den Bock zum Gärtner macht.

Abgeschafft werden sollte außerdem die Erlaubnispflicht aus § 1 des Urheberrechtswahrnehmungsgesetz, die regelt, dass, wer Nutzungsrechte, Einwilligungsrechte oder Vergütungsansprüche für Rechnung mehrerer Urheber zur gemeinsamen Auswertung wahrnehmen will (also z.B. für eine Band), dazu einer speziellen Erlaubnis bedarf - egal, ob die Wahrnehmung in eigenem oder fremdem Namen erfolgt. Das Problematische an dieser Erlaubnis ist, dass sie nach § 3 Abs. 1 des Urheberrechtswahrnehmungsgesetz unter anderem dann versagt werden kann, wenn "die wirtschaftliche Grundlage der Verwertungsgesellschaft eine wirksame Wahrnehmung der ihr anvertrauten Rechte oder Ansprüche nicht erwarten lässt." Eine recht dehnbare Regel, die es dem Deutschen Patentamt als Aufsichtsbehörde bisher erlaubte, alle Anstrengungen auf Gründung einer Konkurrenz zur GEMA abschlägig zu bescheiden.

Die beste Lösung scheint aber die Einführung einer direkten Pflicht zur gerechten Verteilung der Einnahmen für die Verwertungsgesellschaften zu sein. Bisher werden in § 7 des Urheberrechtswahrnehmungsgesetz nur "feste Regeln", d.h. ein Verteilungsplan, für die Verteilung gefordert. Die Regelung, dass kulturell bedeutende Werke und Leistungen zu fördern sind, öffnet daneben versteckten und dadurch unangemessen hohen Subventionen für klassische Musik Tür und Tor. Diese Subventionierung sollte - so sie politisch gewünscht ist - wieder Sache der Kultusministerien werden.

Das bisherige Urheberrechtsgesetz regelt in § 53 Abs. 1, dass unentgeltlich angefertigte Vervielfältigungen zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch zulässig sind. Für diese Vervielfältigungen ist seit 1965 in § 54 des Urheberrechtsgesetzes eine Vergütungspflicht vorgesehen. Dies ist keineswegs selbstverständlich: Die Argumentation, dass eine Privatkopie eine Verletzung von Eigentumsrechten sei, ist nicht unumstritten und erinnert manchen Nichtjuristen kopfschüttelnd an prämoderne Völker, oder an Catweazle , der auf Fotos sein Bild und auf Schallplatten menschliche Stimmen "gefangen" glaubt.

Ist "nach der Art eines Werkes" zu erwarten, dass es kopiert wird, so hat der Urheber des Werkes gegen den Hersteller von Geräten und von Bild- oder Tonträgern, "die erkennbar zur Vornahme solcher Vervielfältigungen bestimmt sind", Anspruch auf Zahlung einer "angemessenen Vergütung." Die Vergütungshöhe wiederum bestimmt sich gemäß § 54 d des Urheberrechtsgesetzes nach "Art und dem Umfang der Nutzung des Gerätes, die nach den Umständen, insbesondere nach dem Standort und der üblichen Verwendung, wahrscheinlich ist." Berechnungsgrundlage für die Tarife sollen nach § 13 Abs. 2 Urheberrechtswahrnehmungsgesetz "in der Regel die geldwerten Vorteile sein, die durch die Verwertung erzielt werden." Wo aber ist der geldwerte Vorteil bei der Privatkopie? Gibt es ihn wirklich, so dürfte bei ökonomischer Auslegung des drei-Stufen-Tests die Privatkopie gar nicht erlaubt werden. Durch eine Herausnahme der Privatkopie aus der Vergütungspflicht könnte deshalb ein Widerspruch im Urheberrecht beseitigt werden.

Für drei der Ausnahmen für Privatkopien in Artikel 5 der EU-Richtlinie (Fotokopien, klassische Privatkopien und Ausnahmekopien für Krankenhäuser und Gefängnisse) ist als Bedingung ein "gerechter Ausgleich" vorgesehen, der nicht der sich bisher im deutschen Urheberrecht befindlichen "angemessenen Vergütung" entsprechen muss, auf welcher die Verwertungsgesellschaften ihre Abgabe gründen. Ein "gerechter Ausgleich" ist nach Erwägungsgrundlage 38 der Richtlinie durchaus auch in anderer Form denkbar. Fraglich ist sogar, ob durch Subventionen und gesonderte Sozialleistungen für Kulturschaffende nicht ohnehin bereits ein "gerechter Ausgleich" gegeben ist. Pauschalabgaben sind nach der Richtlinie zwar zulässig, dürfen aber gemäß Art. 5 Abs. 2 b nicht für kopiergeschützte Werke erhoben und ausgeschüttet werden.

Bereits jetzt setzen viele Firmen Kopierschutztechnologien ein: Der Disney-Konzern beispielsweise Macrovision , Bertelsmann den MediaCloQ , Universal den Cactus Data Shield , Sony und Zomba Key2Audio - wobei diese Technologien nicht nur unberechtigte kommerzielle Kopien, sondern auch berechtigte Privatkopien verhindern. Bei einem Kopierschutz der noch dazu durch ein Verbot von Umgehungstechnologien geschützt ist, wie es die Umsetzung der EU-Urheberrechtsdirektive bringt, können aber keine Rechte dieser Aufnahmen durch Privatkopien vergütungsrelevant betroffen sein. Solchermaßen betroffen sind höchstens Rechte älterer Aufnahmen - die aber wiederum von der GEMA, die das Geld nach Airplay und Verkauf verteilt, nicht berücksichtig werden. Die derzeitige Praxis der Verwertungsgesellschaften, die Pauschaleinnahmen für Privatkopien auch und gerade an Verwender von Kopierschutz auszuschütten, wäre also nach Umsetzung der Richtlinie nicht nur ungerecht, sondern auch klar rechtswidrig.

Für den Gesetzgeber würde sich deshalb schon jetzt ein Verbot einer Pauschalabgabe auf Computerteile anbieten. Dies dürfte auch positive Auswirkungen auf die Preise von PCs und Peripheriegeräte haben, die schon vor Einführung der Pauschalabgabe teurer wurden, weil viele Hersteller und Importeure, wie von den Verwertungsgesellschaften gefordert, Rückstellungen bilden und diese (allerdings meist verdeckt) auf die Preise aufschlagen.

Problematisch ist außerdem, dass nach § 54 h Abs. 1 des Urheberrechtsgesetzes Ansprüche auf Vergütungen nur durch Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden können. Auch die Regelung, dass jedem Berechtigten ein "angemessener Anteil an den nach § 54 und § 54a gezahlten Vergütungen" zusteht, erwies sich als viel zu unbestimmt und ermöglichte die bestehenden gravierenden Verteilungsungerechtigkeiten.

Ein noch wesentlich dringenderer Änderungsbedarf besteht darüber hinaus für die aus dem vorletzten Jahrhundert stammende "Berner Konvention zum internationalen Schutz geistigen Eigentums." Eine notwendige Reform dieses Abkommens wäre die Streichung der in § 64 Urheberrechtsgesetz umgesetzten und durchaus unzeitgemäßen Regelung, dass das Urheberrecht erst siebzig Jahre nach dem Tode des Urhebers erlischt.

Die Alternative zu einer Modernisierung der Berner Konvention wäre der Ausstieg. Eine allerdings selten angedachte Möglichkeit, da internationale Verträge im 21. Jahrhundert weithin als ähnlich unveränderbar betrachtet werden wie religiöse Dogmen im Hochmittelalter. Dabei muss die Nichtteilnahme an einem internationalen Vertrag durchaus keine negativen nationalen Konsequenzen haben, wie die USA mit ihrem Ausstieg aus dem Kyoto-Abkommen bewiesen.