Corona-Hilfen: Das Elend des Exportismus

Neue Runde des verschärften Exportismus? Bild: AKrebs60, Pixabay

Die unnötigen Härten der Corona-Schutzmaßnahmen in Deutschland liegen auch an der Dominanz des Exportsektors

Während die Großunternehmen der Exportindustrie mit Milliardenprogrammen unterstützt werden und um jeden Preis geöffnet bleiben müssen, werden die kleinen Dienstleister in der Binnenökonomie mit Brosamen abgespeist. Hintergrund dieser Weichenstellung in der Corona-Krise ist die Dominanz des Exportismus in der deutschen Politik.

In Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten ein extrem exportlastiges Wachstumsmodell herausgebildet. Keine andere große Ökonomie ist so von der Ausfuhr abhängig. Um letztere zu maximieren, wird die Binnennachfrage systematisch gebremst, da eine boomende Binnenwirtschaft über höhere Löhne die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie in preissensitiven Sektoren schwächen würde.

Obwohl etwa 75 Prozent der Deutschen in der Binnenwirtschaft arbeiten (gemessen über die Exportabhängigkeitsquote der Erwerbstätigen) – also keinem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind –, dominiert in der deutschen Wirtschaftspolitik der Exportsektor, vermittelt über von Autoindustrie und Maschinenbau dominierte Wirtschaftsverbände, mitunter mit Unterstützung der IG Metall.


Wie aus der Perspektive des Wachstumsmodells - und seiner politischen Unterstützungskoalition - nicht anders zu erwarten, lag der Schwerpunkt des Nutzens der von der Bundesregierung 2020 in der ersten Welle der Corona-Krise verabschiedeten Wirtschaftspakete ("Schutzschild" und "Konjunkturprogramm") auf der Unterstützung der Industrie, insbesondere den Exportsektoren.

Es gibt im internationalen Vergleich eine innere Logik zwischen Wachstumsmodell und Fokus des Rettungspakets, so der US-Ökonom und Sachbuchautor Mark Blyth. Während im konsumgetriebenen britischen Wachstumsmodell der Fokus des Rettungspakets darauf lag, die Binnennachfrage zu stabilisieren (über die allgemeine Garantie von 80 Prozent der Gehälter), lag der Fokus im deutschen Fall auf einer Stabilisierung der Exportindustrie. Das war schon in der globalen Finanzkrise 2008/2009 so, bei der die "Abwrackprämie" zugunsten der Autoindustrie den Kern des Rettungspakets darstellte.

Die wirtschaftlichen Dimensionen der aktuellen zweiten Welle der Corona-Pandemie und der in diesem Zusammenhang ergriffenen Schutzmaßnahmen können derzeit noch nicht eindeutig bestimmt werden. Für die erste Welle - und den im Sommer 2020 beschlossenen Unterstützungspaketen - ist das aber inzwischen möglich.

Die Maßnahmen der Bundesregierung zur wirtschaftlichen Stabilisierung

Obwohl Deutschland vergleichsweise milde durch die erste Welle der Gesundheitskrise gekommen war und auch die Wirtschaft nicht so stark im "lock down" eingeschränkt hatte wie viele andere Länder, hat die Bundesregierung 2020 ein im internationalen Vergleich präzedenzlos umfangreiches Bündel von Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft in der Corona-Rezession vorgelegt.

Zu diesem ersten Paket ("Corona-Schutzschild für Deutschland") gehörten als wichtigste geplante Ausgaben zunächst 100 Milliarden Euro für staatliche Beteiligungen an Unternehmen, 23,5 Milliarden für die Verlängerung des Kurzarbeitergelds (in 2020) und 18 Milliarden Soforthilfen für kleine Unternehmen (maximales Budget 50 Milliarden, allerdings aufgrund bürokratischer Hürden nur zum kleinen Teil abgerufen).

Im Juni 2020 wurden im Rahmen des Corona-Konjunkturprogramms als wesentliche zusätzliche Maßnahmen Überbrückungshilfen für mittelständische Unternehmen (25 Milliarden) und eine vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer (20 Milliarden) hinzugefügt, neben einigen kleineren Maßnahmen wie ein Kinderbonus oder eine Senkung der Stromkosten. Das Gesamtvolumen der geplanten Ausgaben aller staatlichen Ebenen in beiden Paketen beziffert das Internetportal Bruegel mit 284 Milliarden Euro.

Hinzu kommen umfangreiche Garantien für Kredite, insbesondere 400 Milliarden für direkte staatliche Garantien und 356 Milliarden über die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Ergänzt werden sowohl Ausgaben als auch Garantien des Bundes durch Maßnahmen der Bundesländer, mit einem Volumen von 18 (Ausgaben) beziehungsweise 75 Milliarden Euro (Garantien). Das Gesamtvolumen der Garantien aller staatlichen Ebenen liegt nach Bruegel bei 832 Milliarden Euro. Hinzu kommen noch ca. 250 Milliarden an Steuerstundungen; letztere können aber nur sehr grob geschätzt werden.

In der europäischen Vergleichsstudie von Bruegel ragt das deutsche Paket in Bezug auf sein Finanzvolumen (zumindest bis zum November 2020) deutlich heraus. Das direkte deutsche Fiskalpaket (also staatliche Ausgaben) beträgt 8,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und liegt damit wesentlich höher als jenes aller anderen westeuropäischen Staaten, etwa in Belgien (1,4 Prozent), Frankreich (5,1 Prozent), Italien (3,4 Prozent), die Niederlande (3,7 Prozent) und Spanien (4,3 Prozent); nur Großbritannien stößt mit 8,3 Prozent der Wirtschaftsleistung in die deutschen Dimensionen vor.

Hinzu kommen die Kreditgarantien, die nach Bruegel-Berechnungen nochmals 24,3 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung umfassen. Auch hier hat Deutschland wesentlich mehr Geld (potentiell) in die Hand genommen als die Nachbarstaaten, etwa im Vergleich zu Belgien (21,9 Prozent), Frankreich (14,2 Prozent), den Niederlanden (3,4 Prozent), Spanien (12,2 Prozent) und Großbritannien (15,4 Prozent); nur in Italien liegen diese Garantien mit 32,1 Prozent höher.

Die deutlich höheren deutschen Corona-Hilfen – bei vergleichsweise milden Gesundheitsfolgen und kurzem lock-down während der ersten Welle – haben bereits zur Sorge bei der EU-Kommission geführt, dass damit der Wettbewerb in der Europäischen Union erheblich zugunsten Deutschlands verzerrt wird. EU-Vizepräsidentin Margrethe Vestager zeigte sich bereits im Mai 2020 darüber irritiert, dass die Hälfte der von der Kommission für ganz Europa genehmigten Corona-Hilfen alleine auf Deutschland entfallen.

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