Corona-Hilfen: Das Elend des Exportismus

Seite 2: Gewinner und Verlierer der Corona-Unterstützungspakete der Bundesregierung

Viele der finanziell aufwendigsten Maßnahmen können am stärksten von den großen Unternehmen der Industrie genutzt werden, sei es der Beteiligungsfonds oder die Kreditgarantien. Auch das Kurzarbeitergeld nützt den gutbezahlten Beschäftigen in der Exportindustrie viel mehr als den mäßig bezahlten Arbeitnehmern in vielen Binnen-Dienstleistungsbranchen wie etwa der Hotelbranche, dem Kulturbereich oder der Veranstaltungswirtschaft. In schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs bringt der mit dem Kurzarbeitergeld verbundene Einkommensausfall - ersetzt werden ja nur 60 beziehungsweise 67 Prozent des Nettogehalts - dagegen viel eher das Familienbudget in Schwierigkeiten.

Besonders viel Kurzarbeit fand sich 2020 zudem in den klassischen Exportbranchen Metallverarbeitung, Maschinenbau und Auto in den reichen südlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg. Ganz besonders profitieren von dieser Maßnahme allerdings die Besitzer der entsprechenden Exportunternehmen, die so die Beschäftigung flexibel der Nachfrage anpassen können.

Kleine Unternehmen, Freiberufler und Solo-Selbständige in den Binnensektoren, die viel schneller in der Existenz bedroht sind, gingen bei vielen Hilfsprogrammen der ersten Runde leer aus, wie auch die Minijobber, sie sind die "Alleingelassenen". Das trifft auch ganz besonders lokale Dienstleistungsbranchen wie die Gastronomie, bei der ein verlorener Umsatz nicht nachgeholt werden kann, im Gegensatz zur Industrie, die immerhin auf Halde produzieren kann.

Trotz fehlender Einnahmen sind während der Corona-Schließung im Frühjahr 2020 für diese Unternehmer der Binnensektoren viele laufende Kosten weitergelaufen, für Personal, für Miete, für das Leasing des Geschäftsautos und für die laufenden Abgaben. Die für Kleinstunternehmen in der ersten Runde zur Verfügung stehenden Zuschüsse (9.000 bzw. 15.000 Euro) sind dann nur ein Tropfen auf den heißen Stein, zumal die bürokratische Abwicklung auch häufig chaotisch läuft.

Zudem fehlt dann immer noch das Geld für tagtägliche Lebenserhaltung des Selbständigen (sein "Unternehmergehalt"), seine Krankenversicherung oder seine Altersversorgung. Die verbleibenden Alternativen, Kredite aufzunehmen, bei denen unklar ist, ob man sie jemals zurückzahlen kann oder Hartz IV zu beantragen, sind auch nicht sonderlich attraktiv, so dass viele dieser Unternehmer ihr Geschäft eher einstellen werden.

Auch Frauen und ihre Beschäftigungsfelder gehören zu denjenigen, die in den ersten Corona-Rettungspaketen des deutschen Staats eher vernachlässigt werden (von der Belastung durch zusätzliche Sorgearbeit noch ganz abgesehen). Während die eher männlich geprägten Branchen der (Export-) Industrie relativ gut bedacht wurden, fehlt ein analoger Mitteleinsatz für die von Frauen dominierten Gesundheits- und Pflegeberufe. Hinzu kommt, dass Frauen ganz besonders von der steigenden Arbeitslosigkeit erfasst werden - vier der fünf besonders betroffenen Berufe werden überproportional von Frauen wahrgenommen (Verkauf, Reinigung, Speisenzubereitung und Sekretariat).

Wenig in den exportlastigen Rettungspaketen der ersten Phase bedacht sind auch die Kommunen, die nicht nur für die Finanzierung vieler solcher Dienstleistungsjobs zuständig sind, sondern auch für den Großteil der öffentlichen Infrastrukturinvestitionen, beispielsweise in Schulen, Straßen und den Klimaschutz. Diese Unterstützung der Binnennachfrage unterbleibt, obwohl solche Investitionen gerade in Krisen besonders hohe Multiplikator-Effekte sowie positive Erwartungseffekte für private Unternehmen zeigen.

Kommunale Gewerbesteuereinnahmen werden zudem in den nächsten Jahren drastisch einbrechen, auch wenn sie für 2020 noch im Paket abgesichert sind. In der Folge - und wegen dem Einbruch bei Gewerbeimmobilien - droht auch die Baubranche in die Krise geraten, auch wenn diese derzeit noch insbesondere von der guten privaten Immobilienkonjunktur zehren kann.

Zu den klaren Verlierern der ersten beiden Corona-Pakete gehören also die binnenorientierten Wirtschaftssektoren. Für die Binnennachfrage relevant ist im Rahmen der Rettungspakete – neben ein paar kleineren Maßnahmen – vor allem die Mehrwertsteuersenkung. Letztere umfasst mit 20 Milliarden Euro weniger als zehn Prozent der im Frühjahr/Sommer 2020 beschlossenen fiskalischen Maßnahmen für die deutsche Ökonomie (wenn man Bürgschaften und Steuerstundungen einbezieht sogar weniger als 1,5 Prozent), obwohl drei Viertel der Deutschen im Binnensektor arbeiten.

Die Wirksamkeit der Mehrwertsteuersenkung in Bezug auf die Kaufkraft ist zudem ungewiss, da die Steuersenkung von den Unternehmen nur teilweise weitergegeben wurde. Zudem ist fraglich, ob sie als Kaufreiz ausreicht. Befragungen durch das IMK verweisen darauf, dass nur ein Viertel der Haushalte darauf mit Mehrkonsum reagiert hat. Schließlich kommt die Subvention zu einem nicht geringen Teil auch ausländischen Unternehmen zugute, beispielsweise Amazon.

Bei vielen Menschen sind aufgrund der Krise die Einkommen gesunken, sie können im täglichen Leben nun deutlich weniger Geld ausgeben. Hinzu kommt das "Angstsparen": die Menschen verzichten auf einen kleinen Luxus im Alltag, weil sie nicht wissen, ob sie in ein paar Monaten noch über eine Stelle verfügen. Beide Effekte wirken sich besonders gravierend in Bezug auf die Binnennachfrage aus.

In der Folge droht die weitere Verödung der Innenstädte. Wenn Gastronomie, Clubs und Kultureinrichtungen dauerhaft schließen müssen, geht ein weiterer großer Teil an Lebensqualität verloren. Gleiches gilt für den stationären Einzelhandel, der zudem immer stärker durch den Online-Handel abgelöst wird.

Alternativen wären möglich

Wenn die deutsche Politik in der ersten Welle der Corona-Krise in ihrer Perspektive nicht so stark durch die Exportsektoren dominiert gewesen wäre, hätte sie schon lange viel größere Unterstützungsmaßnahmen für dies Binnensektoren aufgelegt. Möglichkeiten gab (und gibt) es viele.

In anderen Ländern wurde die Gastronomie und der Einzelhandel beispielsweise durch vom Staat (oder der Kommune) ausgegebene Konsumgutscheine unterstützt, die nur vor Ort eingelöst werden können. Diese könnten zudem mit einem im Zeitablauf sinkenden Wert (Schwundgeld) versehen werden, um einen Anreiz für eine zügige Einlösung vorzugeben.

Andere zur Belebung der Binnennachfrage vorgeschlagene – und bisher in Deutschland nicht realisierte – Maßnahmen wären etwa eine befristete Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer (jene sind bisher nur gedeckelt) oder Steuergutschriften als Kopfpauschale wie in den USA ("Trump-Schecks"). Die Befragungen des IMK zur Konsumwirksamkeit des Kinderbonus im Konjunkturpaket – Volumen gerade einmal vier Milliarden Euro – verweisen darauf, dass solche Maßnahmen recht gezielt die Binnennachfrage stimulieren.

Das IMK selbst regt weitere Maßnahmen an, die in einem Konjunkturpaket die Binnennachfrage stimulieren könnten, etwa eine Aufstockung des Kurzarbeitergelds für kleinere Einkommen, ein höheres und längeres Arbeitslosengeld I und Hilfen für Minijobber, zumal jene beim Kurzarbeitergeld leer ausgehen.

Musikclubs, Konzerthallen und Diskotheken, die aus gesundheitlichen Gründen vollkommen geschlossen bleiben müssen, benötigen eine dauerhafte und ausreichende pauschale Unterstützung, bis sie wieder öffnen können. Im November 2020 eingeführt wurde zwar endlich ein Zuschuss in Anlehnung an ihren früheren Umsatz, mit allerdings eng beschränktem Volumen.

Gleiches gilt für Unternehmen in Bereichen wie Kultur, Sport, Tourismus und anderen Unterhaltungssparten, die in der Corona-Krise nur mit einem Bruchteil ihrer Kapazitäten operieren können. Hier könnte viel energischer und früher gegengesteuert werden, damit unsere Gesellschaft nach der Gesundheitskrise nicht wesentlich ärmer dasteht als vorher.

Jenseits der Corona-Krise: Welche Zukunft hat das deutsche Exportmodell?

Jenseits der konkreten Gestaltung aktueller Maßnahmen um die binnenorientierte Wirtschaft besser gegen die Corona-Krise zu schützen, stellt sich die Frage nach der langfristigen Tragfähigkeit des deutschen Wirtschaftsmodells. Krisensituationen sind regelmäßig Phasen, in (und nach) denen intensiv über die die künftige Ausrichtung der Ökonomie diskutiert wird.

Angesichts der Beobachtung, dass der Erfolg des deutschen Exportmodells zuletzt maßgeblich darauf beruhte, dass der Lebensstandard großer Teile der Bevölkerung gedrückt wird und dass das Corona-Rettungspaket wieder überproportional die Exportsektoren begünstigt, stellt sich die Frage, ob es nicht an der Zeit für eine Ausbalancierung der deutschen Wirtschaft ist, mit einer stärkeren Rolle der Binnensektoren.

Bisher haben tiefe Wirtschaftskrisen in der Bundesrepublik allerdings regelmäßig zu einer Vertiefung des Exportmodells beigetragen, insbesondere über eine restriktive Geldpolitik, eine niedrige Lohnentwicklung und fiskalische Austerität. Das war so in der "Durchbruchskrise" der frühen 1950er Jahren, den Rezessionen der späten 1970er und frühen 1980er und schließlich dem Wiedervereinigungs-"Kater" der 1990er und frühen 2000er. Es wäre tragisch, wenn uns nun wieder eine neue Runde des verschärften Exportismus bevorstehen würde.

Der Text beruht auf dem Buch "Exportismus: die deutsche Droge" von Andreas Nölke, das am 1. Februar im Westend Verlag erscheint.

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