Corona-Krise: EU bestellte neun Impfdosen pro Bürger

Ursula von der Leyen auf dem Gipfeltreffen der Europäische Volkspartei, 2021. Foto: European People's Party/ CC BY 2.0

Riesige Mengen für Milliarden Euro geordert. Nachverhandlungen mit Pfizer verärgern Bulgarien, Polen, Litauen und Ungarn. Ursula von der Leyen wegen "persönlicher Diplomatie" unter Druck. Es wurde Strafanzeige gestellt.

Die EU hat zu viel Corona-Impfstoff bestellt. Nun steht man in Verhandlungen mit dem Pharmakonzern Pfizer, ob vertragsgemäß auch für georderte Impfdosen bezahlt werden soll, die mangels Bedarf gar nicht hergestellt werden.

Laut einem aktuellen Bericht der Welt habe die EU bei Pharmafirmen – also nicht nur bei Pfizer –, "insgesamt 4,2 Milliarden Impfdosen bestellt". Die "riesigen Mengen" würden ausreichen, "um jeden Unionsbürger neun Mal gegen das Coronavirus impfen zu lassen". Bislang wurde laut der Zeitung lediglich ein Viertel der georderten Menge verimpft.

Wieso wurde so viel bestellt?

Die Kluft und das viele Geld, das im Spiel ist – im Artikel ist zwei Mal von "Milliarden" die Rede, eine konkrete Zahl, die an einen Zeitraum geknüpft ist, wird nicht genannt –, werfen ein paar Fragen zu den Hintergründen auf.

Ein paar werden in dem Artikel, der sich mit dem Unmut über den Deal mit Pfizer befasst, teilweise beantwortet. Eine politisch neuralgische Frage, die auch eine deutsche Spitzenpolitikerin betrifft, bleibt offen.

Zunächst einmal: Wieso wurde so viel bestellt? Jetzt, nach dem Ende der Corona-Pandemie und da Nebenwirkungen der mRNA-Impfungen offener behandelt werden, wundert man sich darüber, dass die EU derart übereifrig mit bestimmten Pharmafirmen ins Geschäft kommen wollte. Neun Impfdosen pro EU-Bürger? Das erscheint heute irrwitzig.

Der politische Druck

Im Januar 2021 berichtete der Tagespiegel sehr kritisch über die zögerliche Impfstoff-Beschaffung der EU. Im Mittelpunkt stand das "Gesicht der europäischen Impfkampagne", Stella Kyriakides, die EU-Gesundheitskommissarin aus Zypern. Aufgeworfen wurde die Frage, ob die Kommission "zu wenig Geld in die Hand genommen (habe), als sie im Sommer mit der Pharmabranche die Verhandlungen aufnahm?"

Dem Artikel ist exemplarisch zu entnehmen, welcher Druck seinerzeit aufgebaut wurde – ein Kennzeichen des politischen Klimas zu Zeiten der Corona-Krise, das heute bei der Nachbearbeitung vielfach im Hintergrund gelassen wird.

Personen, die sich nicht impfen ließen, und Corona-Maßnahmengegner haben viel und oft Krasses über das seinerzeit herrschende Klima zu erzählen. Es gab aber auch erhöhten Druck auf die politisch Verantwortlichen, möglichst schnell Lösungen für die Krise zu bieten. Und die Impfung galt als beste schnelle Lösung.

Mit Druck und Hektik in der Krise lässt sich die riesige Bestellung aber allein nicht erklären. Von Politikern erwartet man besonnenes Handeln, zumal in einer Zeit, da man täglich die Bürger zur Besonnenheit ermahnte.

Geschäftsinteressen

Der Vorwurf, dass hier Geschäftsinteressen eine ganz beachtliche Rolle spielten und die Verhandlungen zwischen Politikern und Pharmakonzernen nicht identisch mit dem summum bonum, dem Interesse am Gemeinwohl, sein könnten, wurde als Thema gemieden. Zu groß war die Furcht davor, dass man mit Berichten dazu die falsche politische Seite nährt.

Die geht heute noch um, wie aus Brüssel berichtet wird. Bei der Bestellung von Impfstoffen bei Pfizer spielten nach Recherchen der New York Times (und nicht etwa von sogenannten Alternativ-Medien) eine "persönliche Diplomatie" zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dem Chef von Pfizer, Albert Bourla, mutmaßlich eine wichtige, auf jeden Fall wenig durchschaubare Rolle.

Es geht um verschwundene SMS zwischen den beiden, die Aufschluss über den Deal geben könnten. Die US-Zeitung klagt auf Offenlegung (Klage gegen EU-Kommission: Was steht in den SMS von der Leyens an Pfizer?).

"Mauer des Schweigens"

Die EU-Kommission schweigt dazu: "Sie beruft sich darauf, dass die Impfstoffverträge im Namen aller EU-Staaten ausgehandelt worden seien und einer Geheimhaltungspflicht unterlägen. Zur Sache will sie sich nicht äußern", berichtet Eric Bonse aus Brüssel. Die "Mauer des Schweigens" sei auch im Europaparlament deutlich zu spüren:

Ich habe mehrere Abgeordnete angefragt – keine Antwort. Hinter vorgehaltener Hand sagt man mir, diese Affäre nutze nur den Rechten, den EU-Gegnern.

Eric Bonse

Aus Belgien wird berichtet, dass ein "Lobbyist", Frédéric Balda, akkreditiert bei den europäischen Institutionen, nun Strafanzeige gegen von der Leyen bei einem Richter für Finanzverfahren eingelegt habe.

Seine Vorwürfe gegen die EU-Präsidentin lauten "Amtsanmaßung und Titelmissbrauch", "Vernichtung öffentlicher Dokumente" und "illegale Interessenvertretung und Korruption".

Für die bereits erwähnte EU-Gesundheitskommissarin, Stella Kyriakides hält dem aber entgegen:

Die Präsidentin der Kommission war an keinerlei Vertragsverhandlungen beteiligt. Das habe ich bereits gesagt und werde es erneut sagen.

Stella Kyriakides

Das erklärte Kyriakides Ende März. Sie beteuerte, "dass alle Verträge, ob von Pfizer oder anderen Laboratorien, das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen hätten". Es habe ein gemeinsames Verhandlungsteam und einen Lenkungsausschuss gegeben.