Corona - Lügner - Fakten - Sorgen

Bild: NIAID/CC BY-2.0

Wie lässt sich die Wut gegen die Corona-Maßnahmen erklären?

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Am vergangenen Sonntag wurde die Demonstration der Corona-Gegner in Berlin aufgelöst. Es hatten sich Kritiker der Corona-Maßnahmen versammelt, besorgte Bürger, Verschwörungstheoretiker und Rechtsradikale. Ein "Sturm auf den Reichstag" war die Spitze der Demonstration. Dass sich nicht nur die Gesellschaft der USA spalten kann, zeigen die Vorfälle in Berlin. Wie lässt sich die Wut gegen die Corona-Maßnahmen erklären?

Eine Erklärung soll hier gegeben werden, die sich auf die unklaren, oft widersprüchlichen Nachrichten beziehen, die die Menschen verunsichern. Erst jüngst hat eine Untersuchung belegt, dass besonders die Monopol-Fernsehsender in Sachen Information, ARD und ZDF, in ihren Sondersendungen die Sorgen der Menschen erhöhen, ja sogar Angst einflößen, da zu pauschal über Corona berichtet wird. Auch die Diskussionen in den bekannten Polit-Talks stellen zwar Meinungen vor, allerdings kaum von Kritikern der Corona-Maßnahmen, und sie arbeiten das Thema nicht rational auf im Sinne, was wissen wir, was wissen wir nicht und warum entscheidet die Politik so, wie sie entscheidet.

Der Autor dieser Zeilen hat selbst die Erfahrung gemacht, dass zum Beispiel ältere Menschen der Meinung sind, Corona-Infizierte sind schwer erkrankte Menschen, die in Krankenhäusern behandelt werden müssen, was natürlich Unsinn ist. Aber durch die fast täglichen Corona-Infizierten-Meldungen im Fernsehen, das das Informations-Medium der meisten (besonders älteren) Bevölkerungsgruppen ist, wird Unsicherheit erzeugt, weil Nachrichten in der Regel keine Zusammenhänge erläutern, Verhältnisse nicht darstellen. Daher bekommen hohe Zahlen für manche Menschen eine unheilvolle Dimension, Corona wird zu einem Killervirus, während andere Menschen andere Zahlen entdecken, die den offiziellen Zahlen nicht entsprechen und Corona als eine normale Grippe bezeichnen, für die es bekanntlich keinen Lockdown gibt.

Das ist das Problem. Ungenauigkeiten lassen viel Spielraum für Interpretationen, gerade auch Fernsehbilder vermögen Menschen stark zu emotionalisieren, was hinreichend bekannt ist. Zahlen, die genannt werden, ohne Verhältnisbezug, erzeugen darüber hinaus Sorge und Angst. Deutschland hat, Stand 31. August, Johns-Hopkins-Universität, 9300 Corona-Tote zu beklagen, das sind bisher rund 16000 weniger als zu der Grippesaison 2017/2018, die damals durch Übersterblichkeit gemessen wurde und nicht so intensiv wie derzeit bei Corona. Das heißt, dass es vor zwei Jahren noch mehr Grippetote gegeben habe könnte, vielleicht auch weniger. Diese Zahlen sind in den Köpfen mancher Menschen und daher werden sie sich fragen, warum gibt es derart scharfe Maßnahmen, die wir einhalten müssen, während vor zwei Jahren keine Masken getragen wurden, es keinen Lockdown gab.

Und schauen wir uns weitere Zahlen an. Schweden wurde häufig in ARD und ZDF als Land hervorgehoben, das besonders viele Corona-Tote zu verzeichnen hat. Vergleicht man diese Zahlen aber mit Italien oder Frankreich, berechnet auf die Bevölkerung, steht Schweden, trotz eines lockeren Umgangs mit Corona, genauso schlecht da wie diese beiden Länder (im Vergleich zu Belgien oder Großbritannien noch besser). Da fragen sich manche Menschen, warum das so ist. Dafür erhalten wir in der Regel keine Erklärung, was das Misstrauen gegenüber politischen Maßnahmen erhöht und Menschen sich die Frage stellen, ob da nicht irgendwie übertrieben oder sogar gelogen wird.

Schweden hatte darüber hinaus im Juni einen sehr starken Anstieg von Corona-Infizierten, der mittlerweile abgeklungen ist. Es starben aber kaum mehr Menschen (24. Juni 5160 Tote; 31. August 5820, laut Johns-Hopkins); aufgrund des Anstiegs hätte man mehr erwarten können. Die USA haben derzeit die Anzahl von Toten wie Italien, auf die Bevölkerung umgerechnet. Großbritannien steht deutlich schlechter da, aber die Anzahl der Toten stagniert bei etwa 41.000 seit Juni. All diese Ungereimtheiten irritieren Menschen. Warum haben nicht alle Länder die gleiche Anzahl von Toten?

Sicher hat Corona vor allem viel Aufmerksamkeit erfahren, vermutlich weil der Virus von China kam (das übrigens gut dasteht) und von Anfang an medial intensiv, besonders vom Fernsehen, durch Nachrichten begleitet wurde und nicht durch eine kritisch-analytische Nachschau der verschiedenen Entwicklungen einzelner Länder, deren gesundheitlichen Bedingungen und der kritischen Prüfung von Aussagen der Corona-Experten (es tauchen ja fast immer dieselben auf).

Die häufig befragten Virus-Experten und Epidemiologen haben nicht dazu beigetragen, Klarheit zu schaffen. Die widersprüchlichen Ansichten von Anfang an haben wahrscheinlich die Menschen zusätzlich verunsichert und sie für Verschwörungstheorien oder Angriffe auf die Glaubwürdigkeit der Demokratie empfänglich gemacht (Rechtsradikale nutzen Corona wie ähnliche Möglichkeiten für ihre abstrusen Vorstellungen).

Es wäre längst unerlässlich gewesen, die Infizierten ins Verhältnis zu den Toten zu setzen, Erklärungen zu geben, warum Schweden trotz des lockeren Umgangs mit Corona verhältnismäßig gut davongekommen ist, warum Großbritannien oder Belgien so hart getroffen wurden und auf welcher Wissensbasis die Bundesregierung, das Robert-Koch-Institut oder die Virus-Experten Ratschläge erteilen. Da dies nicht geschieht, machen sich immer mehr Menschen ihr eigenes Bild. Die Fernseh-Medien wirken dem nicht entgegen, da sie meist Befürworter der Corona-Maßnahmen zu Diskussionen einladen, die in diesen zentralen Medien kaum kritisch nachfragen. Man könnte sich an das Beispiel erinnern: Haben zwei Menschen dieselbe Meinung, dann ist einer zu viel!

Es ist schon erstaunlich, wie sehr fast die gesamte deutsche Bevölkerung (laut ZDF-Barometer) hinter den Maßnahmen steht und es keinen kritischen Einwand gibt, wenn Markus Söder hartnäckig von einer zweiten Welle spricht, die momentan nicht zu sehen ist. Es werden hierfür keine Fakten angeführt, wie überhaupt die wissenschaftliche Begleitung von Corona zu wünschen übriglässt. Viele Menschen werden der Ansicht sein, dass die Experten selbst nur im Dunkeln stochern und nicht genau wissen, was zu tun ist.

Uns fehlen auch die genauen Vergleiche, was eine wesentliche Methode von Wissenschaft ist, um zu sehen, ob Menschen mit Maske sich seltener anstecken als jene ohne Maske. Oder die Methodik ceteris paribus: Man lässt einige Faktoren konstant, einer wird verändert, um zu sehen, wie sich das auf die Konstanten auswirkt. All diese genaueren Informationen fehlen in der öffentlichen Diskussion besonders des Fernsehens, weshalb Lücken für persönliche Interpretationen bleiben oder die unreflektierte Befürwortung der Freiheitseinschränkungen.

Im Moment ist es schwer erkennbar, dass die Maßnahmen und Ratschläge der Experten auf rationaler, gesicherter und stichhaltiger wissenschaftlicher Erkenntnis fußen. Tatsache ist aber, dass zum Beispiel die Corona-Toten in Italien die Verstorbenen der Grippewelle von vor drei Jahren um 12.000 überschreiben (23.000 zu derzeit knapp 36.000), ähnlich ist es in anderen Ländern. Daraus ist der Schluss zulässig, dass Corona gefährlicher ist als die bekannten Grippeviren. Dem steht die Situation in Deutschland gegenüber, wo vor zwei Jahren 25.000 Menschen an Grippe gestorben sind, an Covid-19 bisher 9200 (Stand 31. August). Übertreiben wir also doch? Wir können aber auch nur Glück gehabt haben. Warum, das muss die (hoffentlich) gründliche Aufarbeitung von Covid-19 leisten, nicht nur für Deutschland, auch für Europa und die besonders betroffenen Länder!

Die Strategie insbesondere der Politiker sollte sein, einfach nur zu sagen, dass sie Sorge und Angst haben, dass es wieder schlimmer kommen könnte, sie nicht verantwortlich für weitere Menschenleben sein wollen, deshalb übervorsichtig sind. Unsicherheit und Sorge ist ein rationales Argument und könnte auch die nicht verbohrten Corona-Kritiker besser erreichen als die Suggestion, alles, was man tue, sei wissenschaftlich stichhaltig und fundiert.

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