Corona-Maßnahmen: Sachverständige kritisieren Berichterstattung

"So geht es nicht": Ausschussmitglieder wehren sich gegen mediale Verrisse ihres Berichts zur Bewertung der Corona-Maßnahmen. Die Debatte sei emotional aufgeladen.

Es war keine Aufgabe für Menschen, die es nach mehr als zwei Jahren Corona-Maßnahmen allen recht machen wollten:

Die Evaluation soll durch unabhängige Sachverständige erfolgen, die jeweils zur Hälfte von der Bundesregierung und vom Deutschen Bundestag benannt werden.


Aus: Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG), Paragraph 5 – Epidemische Lage von nationaler Tragweite / Absatz 9

Drei Mitglieder des Sachverständigenausschusses zur Bewertung der Corona-Maßnahmen üben scharfe Kritik an Medien, deren Verrisse aus ihrer Sicht zum Teil journalistische Standards verletzt haben. In einem Gastbeitrag, der am Dienstag auf der Website der Wochenzeitung Die Zeit erschien, nehmen sie Stellung zu den Reaktionen auf die Veröffentlichung ihres Berichts Ende vergangener Woche.

Darin würden unter anderem die katastrophale Datenlage und der Umgang mit alternativen Denkansätzen scharf kritisiert, fasste die Berliner Zeitung zusammen.

Die Soziologin Jutta Allmendinger, der Virologe Hendrick Streeck und der Volkswirt Christoph M. Schmidt sprechen in ihrem Artikel unter der Überschrift "So geht es nicht" vom "erwarteten Gegenwind", der zu einem "veritablen Sturm" geworden sei.

"Das liegt auch daran, dass Kritik von manchen Menschen scheinbar inszeniert wird, offensichtlich ohne wirkliches Interesse an einem Diskurs", schreiben die drei Professoren. Corona habe die öffentliche Debattenkultur emotional aufgeladen und "stellenweise von wissenschaftlicher Evidenz entkoppelt".

Falsche Erwartungshaltung bei ehrenamtlicher Arbeit?

In ihrem Artikel erläutern sie die Schwierigkeiten, mit denen der "Sachverständigenausschuss zur Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik" zu arbeiten hatte.

Zum einen verweisen sie wie schon in ihrem Bericht auf die schwierige Datenlage und auf die fehlende Vorbereitung der Politik auf eine Evaluation der Maßnahmen. Zudem sei die Erwartung an die Sachverständigen, die ehrenamtlich und so gut wie ohne Mitarbeiter arbeiten mussten, überbordend gewesen. Am Tag der Abgabe hätten dann führende Politiker geäußert, dass man "eh schon alles wisse" und das Gutachten kein "Bremsklotz" sein dürfe.

Allmendinger, Schmidt und Streeck schreiben zudem:

"Eine endgültige Bewertung von einzelnen Maßnahmen der Corona-Pandemie ist schlichtweg nicht möglich. Weder leben wir in einer Welt der perfekten Wissenschaft, mit perfekten Daten und Studiendesigns: Wir können nicht wissen, was passiert wäre, hätte es die Lockdowns nicht gegeben. Wir können einzelne Maßnahmen oft nicht bewerten, da diese meist im Verbund mit vielen weiteren Maßnahmen eingesetzt wurden, wir können auch nicht einfach Ergebnisse aus anderen Ländern auf uns übertragen."

Unklar, welche Teile des Gutachtens welcher Partei helfen sollten

Die Autoren wehren sich gegen den Vorwurf schlechter wissenschaftlicher Arbeit und dagegen, ein Gefälligkeitsgutachten mit banalen Schlussfolgerungen abgeliefert zu haben. Die Vorwürfe würden nicht nachgewiesen, es bleibe unklar, welche Teile des Gutachtens welcher Partei helfen sollten. "Das gemeinsame Fundament unserer Arbeit waren wissenschaftliche Analysen und Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis", heißt es.

Scharfe Kritik üben die drei Autoren insbesondere an Christina Berndt von der Süddeutschen Zeitung, ohne sie beim Namen zu nennen:

"Wenn eine Journalistin bei einer Pressekonferenz zugeschaltet ist, keine einzige Frage stellt, aber noch vor Ende der Pressekonferenz einen höchst kritischen Kommentar in einer großen Tageszeitung veröffentlicht, dann sind wir an einem Punkt angelangt, an dem das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Medien nachhaltig Schaden nimmt."

Dazu würden geleakte, unfertige Textteile und für Leserinnen und Leser intransparente Hintergrundgespräche herangezogen. Dies sei ein unerhörter und diskreditierender Vorgang im Wissenschaftsjournalismus – und das bei einem so ernsten Thema, das alle Bürgerinnen und Bürger betreffe.

Berndt, im Jahr 2021 vom Medium Magazin immerhin zur "Wissenschaftsjournalistin des Jahres" gekürt, hatte schon am Freitag vergangener Woche kommentiert, dass die Chance auf "hochwertige Evaluation auf erschreckende Weise" vertan worden sei.

Die Evaluation der Maßnahmen verdiene den Namen nicht, da sie von Beginn an politischen Interessen gehorchen sollte. In einem am Dienstagabend veröffentlichten Artikel, wie der Kommentar ebenfalls hinter einer Bezahlschranke, lässt Berndt unter anderem Dirk Brockmann zu Wort kommen. Der RKI-Mitarbeiter kritisiert die Qualität des Berichts – er selbst wurde aber beispielsweise von dem Medizinstatistiker Gerd Antes für mehrfach falsche Modellierungen kritisiert.

Unterdessen stellte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Dienstagabend in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz klar, dass er nicht das Gutachten an sich als "Bremsklotz" bezeichnet habe, sondern nur vor der möglichen politischen Instrumentalisierung gegen Pandemie-Maßnahmen für den Herbst habe warnen wollen.

Dieser Beitrag erscheint in Kooperation mit dem Nachrichtenmagazin Hintergrund.