Corona: Österreich riegelt erstmals ganze Stadt ab
Studie der Technischen Universität München postuliert steigendes Infektionsrisiko durch Pollenflug
Dreizehneinhalb Monate nach dem ersten Abriegeln chinesischer Städte greift auch die österreichische Staatsführung zu dieser Maßnahme, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Mit solchen "chirurgischen Eingriffen" will die Regierung der Alpenrepublik den Ausführungen ihres grünen Gesundheitsministers Rudolf Anschober nach das Verhängen neuer strenger Lockdown-Maßnahmen für das ganze Land vermeiden.
Impfzertifikat reicht nicht aus
Nachdem der Inzidenzwert in Wiener Neustadt, einer 50.000-Einwohner-Ortschaft in Niederösterreich, auf 563 stieg, dürfen die Stadt ab Morgen nur noch Personen verlassen, die einen entweder einen höchstens 48 Stunden alten negativen Coronatest Antigen- oder PCR-Test oder eine ärztliche Bescheinigung über eine maximal sechs Monate zurückliegende und vollständig überstandene Infektion vorzeigen können. Ein Impfzertifikat reicht nicht aus.
Von Mittwoch bis Freitag soll die Polizei mit Unterstützung von 300 Bundesheersoldaten Personen, die das nicht vorweisen können, lediglich zurückschicken. Ab Samstag werden dann auch Bußgelder verhängt. Klaus Schneeberger, der Bürgermeister von Wiener Neustadt, zeigte im ORF Zweifel, ob die Testkapazitäten bis dahin von den bestehenden 2.000 auf die erforderlichen 15.000 täglich erhöht werden können. Personen "zu kontrollieren, die gar nicht die Möglichkeit haben, einen Test zu erlangen", hält er für "unverantwortlich".
Anhalten nur zum Wasserlassen erlaubt
Ähnlich abgeriegelt wie Wiener Neustadt ist bereits seit Freitag der Bezirk Pongau im Salzburger Land (der deinen Inzidenzwert von 486,5 hatte), und seit heute Mitternacht der Kärntner Bezirk Hermagor (in dem die Sieben-Tages-Inzidenz bei 592,7 liegt). Hier kontrolliert die Polizei die Bundesstraßen B87, B110 und B111, die Landstraßen L27, L33 und L36 sowie die Bahnverbindung mit dem Villacher Land.
Die Bürger wurden vorher über die Kontrollpunkte informiert, damit sie die erforderlichen Papiere bereithalten. So sollen größere Staus vermieden werden. Trotzdem rät man ihnen, "Verzögerungen bei der Fahrzeit vorab einzuplanen". Ohne Zertifikat wird hier nur durchgelassen, wer glaubhaft geltend machen kann, dass er die Straßen lediglich zur Durchreise benutzt und im abgesperrten Bezirk nicht länger als zum Wasserlassen anhalten will.
Neos kritisieren Epidemiegesetzpaket als "ungeheuerlichen Angriff auf die Grund- und Freiheitsrechte"
Die Kontrollen sollen noch mindestens bis zum 18. März dauern. Bis dahin soll der Inzidenzwert in Hermangor unter 200 gesunken sein. Am selben Tag wird sich der Gesundheitsausschuss des österreichischen Nationalrats mit Anschobers Epidemiegesetzpaket befassen, zu dem die Begutachtungsfrist heute Mittag ablief. Der grüne Gesundheitsministers versicherte, er werde die dazu eingegangenen Stellungnahmen "ernst nehmen […] und selbstverständlich begründete Änderungsvorschläge oder Ergänzungen berücksichtigen".
Vorher hatte Beate Meinl-Reisinger, die Parteichefin der liberalen Neos, von einem "ungeheuerlichen Angriff auf die Grund- und Freiheitsrechte" gesprochen. Außerdem sei das Gesetzespaket ein indirektes "Eingeständnis, dass viele der bisherigen Verordnungen des Gesundheitsministers rechtswidrig waren" - zum Beispiel das Verhängen von Ausgangssperren, "obwohl nicht der Zusammenbruch des Gesundheitssystems droht".
Korrelation oder Kausalität?
Ob die Zahl der Positivtests im Frühjahr wie erhofft zurückgeht ist noch unklar, und hängt von mehreren Faktoren ab. Einer aktuell in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten Studie unter der Leitung von Forschern der Technischen Universität München (TUM) und des überwiegend von der deutschen Staatsführung finanzierten Helmholtz-Zentrums nach müssen mildere Temperaturen im Frühjahr nicht zwangsläufig für eine Entspannung der Lage sorgen:
Mit den steigenden Temperaturen fliegen nämlich auch die Pollen von Pflanzen - und wenn deren Zahl um 100 in einem Kubikmeter Luft zunimmt, nimmt die Infektionsrate der Studie nach zu: In Gegenden ohne Lockdown um durchschnittlich vier Prozent, und in Gegenden mit Lockdown um durchschnittlich zwei. Bei einer Zunahme um 500 Pollen pro Kubikmeter wurden Steigerungen um mehr als 20 Prozent (ohne Lockdown) beziehungsweise zehn Prozent (mit Lockdown) festgestellt.
Dem Einwand, dass das eine bloße Korrelation sein könnte, halten die Forscher eine mögliche Kausalität entgegen: Ihren Ausführungen nach produziert der menschliche Körper bei zunehmender Pollenkonzentration in der Luft weniger antivirale Interferone, die potenziell vor einer Ansteckung schützen.
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