Corona-Virus: Drastische Maßnahmen in Italien
Gemeinden in Norditalien werden abgeriegelt. Karneval in Venedig vorzeitig beendet. Österreich stoppt zwischenzeitlich Zugverkehr mit Italien am Brenner. Warnung vor einem neuen "Lehman-Moment" in der Weltwirtschaft
Das Corona-Virus Covid-19 (auch als Sars-CoV-2 bezeichnet) hat es an diesem Wochenende auf die Titel von Finanzzeitungen geschafft. Investoren, die von der britischen Financial Times zitiert werden, erwarten eine längerfristige Auswirkung auf das Wachstum der Weltwirtschaft. Die Unsicherheit ist groß, da mit China ein Land betroffen ist, das eine zentrale Rolle bei den globalen Lieferketten spielt. Dazu komme, wie bei der britischen Zeitung kommentiert wird, dass die Lieferketten vielfach auf kurze Fristen ausgelegt sind ("just in time"-Produktion) und wenig Pufferzonen im Fall von Störungen haben.
Im Handelsblatt, das dem "Corona-Schock" auf die Weltwirtschaft gleich mehrere Seiten widmet, sieht der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IFW), Gabriel Felbermayr gar ein "drohendes Lehman-Moment" für die globale Ökonomie. Er sagt Produktionseinschränkungen, möglicherweise auch Produktionsstopps und Lieferprobleme in einer "ganzen Reihe von Branchen" voraus. "Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern auch in Korea, Taiwan und Japan, abgeschwächt sogar in den USA", so Felbermayr. Die Unsicherheit über das Corona-Virus sei augenblicklich Thema Nummer eins in den Unternehmen.
Selbstverständlichkeiten brechen weg
Auf die Frage, ob das Virus ein Game Changer der Globalisierung sein könnte, kommt er auf das "Lehman-Moment" zu sprechen. Es zeige sich gerade, wie fragil das System ist, weil Selbstverständlichkeiten plötzlich wegbrechen. "Auch das Exportland Deutschland wird damit klarkommen müssen, dass stabile Lieferketten keine Selbstverständlichkeit mehr sind und dass China nicht mehr ganz selbstverständlich tolle Wachstumsraten liefert". Allein das Bewusstsein für eine "neue Fragilität" könne einschneidende Effekte haben.
Die Fragilität von Selbstverständlichkeiten hat am Sonntag den Norden Italiens erreicht. Wer hätte sich vorstellen können, dass im Nachbarland plötzlich Orte abgeriegelt werden und der Präsident der Lombardei, Attilio Fontana, öffentlich den Satz äußert: "Wir haben nicht vor, Mailand zu isolieren. Das wäre undenkbar"?
Für Mailand wurden laut Fontana nur Teilmaßnahmen getroffen, so werden zum Beispiel Schulen und Universitäten vorübergehend geschlossen. Auch Aufführungen an der Mailänder Scala sind ausgesetzt.
"Das Betreten und Verlassen dieser Gebiete ist verboten"
Ministerpräsident Giuseppe Conte hat dagegen für Orte im Umland wegen des Virus eine regelrechte Absperrung verhängt: "Wir haben beschlossen, dass in den am stärksten betroffenen Orten niemand mehr rein oder raus darf. Mit Ausnahme eventueller spezifischer Sondergenehmigungen, über die von Fall zu Fall entschieden werden soll."
Mehrere Orte mit insgesamt 50.000 Einwohnern sollen von der Abriegelung betroffen sein. Als größerer Ort wird Codogno genannt, mit knapp 16.000 Einwohnern, etwa 60 Kilometer südöstlich von Mailand gelegen, das in der journalistischen Sprache zur Geisterstadt geworden ist.
Dort liegt "Patient eins", infiziert mit Covid-19 auf der Intensivstation "in ernstem, aber offenbar stabilem Zustand, bei künstlicher Beatmung", meldete die FAZ gestern.
"Patient Null", ein China-Rückkehrer, mit dem "Patient eins" mehrmals seit dessen Rückkehr Kontakt hatte, wurde laut Informationen der Zeitung, seltsamerweise negativ auf das Virus getestet. Die Mediziner spekulieren, ob er Antikörper gegen das Virus entwickelt habe, aber ansteckend blieb, oder ob er die Krankheit ohne Symptome überstand.
Zwei Todesfälle infolge des Corona-Virus werden bis dato aus Italien gemeldet und über 130 bestätigte Infizierte. Es heißt, dass die Zahl binnen 48 Stunden sprunghaft angestiegen sei. Der Karneval in Venedig wurde abgesagt.
[Update: Am Sonntagnachmittag waren es über 152 registrierte Fälle und drei Tote, berichtet die österreichische Zeitung Der Standard, der auf eine Einstellung des Fernzugverkehrs am Brenner, dem Grenzübergang zwischen Italien und Österreich, aufmerksam macht. Nach Informationen der Zeitung wurde am Sonntagabend an der Brenner-Grenze der Eurocity 86 Venedig-München angehalten, weil sich "zwei Coronavirus-Verdachtsfälle" im Zug befanden (später gab es Entwarnung). Auch andere Züge durften nicht weiterfahren. Der Stopp sollte vorübergehend sein. Wie lange er dauern wird, ob dem weitere Maßnahmen folgen, ist noch nicht bekannt. "Die Züge warten die Sperre in Innsbruck bzw. in Brennero/Brenner ab."]
Laut New York Times hat China am Sonntag offiziell 76.936 bestätigte Fälle und 2.442 Tote bekannt gegeben. In Südkorea habe Präsident Moon Jae-in die höchste Alarmstufe zur Bekämpfung des Virus verhängt. Dies würde es der Regierung gestatten, einschneidende Maßnahmen wie die Abriegelung von Städten zu ergreifen. Gemeldet werden 602 infizierte Personen und sechs Tote.
In Iran wurde die vorübergehende Schließung von Schulen, Universitäten und Kulturzentren in 14 Provinzen angekündigt. Laut Behörden gibt es 43 bekannte Fälle von Infizierten im Land. Vergangenen Mittwoch wurde der erste Fall bekannt, gemeldet wurde er aus Qom, einem religiösen Zentrum des Landes. Die Besonderheit ist, dass es in Iran mittlerweile acht Tote infolge des Virus geben soll, weswegen auf eine sehr viel höhere Zahl von Infizierten rückgeschlossen wird.
Die Zahlen und damit zusammenhängend die Informationspolitik der jeweiligen Regierungen sind ein eigenes schwieriges Feld. Das erschwert die Einschätzungen; anschaulich gemacht wird das von einer Aussage des Direktors des Instituts für Virologie an der Berliner Charité, Christian Drosten, zur Sterblichkeitsrate.
Während die WHO von einer Rate zwischen 1,4 und 2,5 Prozent ausgeht, schätzt sie Drosten auf 0,5 Prozent. Seine Einschätzung basiert laut Handelsblatt auf die etwa 500 Fälle außerhalb von China, die bis zum Gespräch der Zeitung mit Drosten bekannt waren. Diese seien repräsentativer als die erfassten Fälle in China, die rechnerisch zu einer höheren Sterblichkeitsrate führen, so Drosten.
Seine Begründung: In China würden aber "nur schwer Erkrankte zum Arzt oder ins Krankenhaus gehen, alle anderen seien durch überfüllte Warteräume und staatliche Erfassung abgeschreckt".