Corona eingehegt, Radikalisierung herbeigeführt?
Bundestag startet Debatte über Impfpflicht. Konsens ist unwahrscheinlich. Und dann ist da noch eine Warnung aus den Ländern
Vor der heutigen Debatte im Bundestag über die Einführung einer sektoralen Impfpflicht haben Innenministerinnen und Innenminister der Länder im Fall allgemeinerer Zwangsmaßnahmen ihrer Sorge über eine mögliche Zunahme von Protesten Ausdruck verliehen.
Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zitierte in einem Vorabbericht den Innenminister von Bayern, Joachim Herrmann (CSU), der vor einer Radikalisierung der "Querdenker"-Szene warnte.
Herrmann verwies auf einen Fackelmarsch vor das Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD). "Das ist ein Angriff auf unsere Demokratie. Solch bedrohliche Entwicklungen müssen im Keim erstickt werden", zitiert das RND Herrmann.
Ähnliche Einschätzungen kamen von Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) und Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU).
Der Leiter des brandenburgischen Verfassungsschutzes, Jörg Müller, befürchtet nach einer Meldung des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) eine Eskalation der Corona-Proteste, sollte eine allgemeine Impfpflicht eingeführt werden.
Wenn die Impfquote steigt, bleiben die radikalisierten Einzelnen immer weniger und fühlen sich weiter in die Ecke gedrängt und das wird zu einer Radikalisierung führen, befürchte ich. (…) Ich würde nicht so weit gehen, dass jeder Bürger, der mit solchen Extremisten gemeinsam an einer Demonstration teilnimmt, auch gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstößt, (...) aber wir sehen gerade die Standard-Akteure in Brandenburg, wie die AfD oder der extremistische Verein "Zukunft Heimat", gerade an diesem Wochenende wieder in Cottbus (...) mit über tausend Teilnehmern, das geht klar von Extremisten aus. Aber nicht jeder, der hingeht, ist ein Extremist.
Jörg Müller. Chef des Verfassungsschutzes in Brandenburg
Der Leiter des Inlandsgeheimdienstes in Brandenburg habe sich auch "besorgt über den vermehrten Zulauf zu Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen" gezeigt, heißt es beim rbb. Rechtsextremisten nutzten die Proteste, um ihre Themen anschlussfähig zu machen und besorgte Menschen auf die Straße zu bringen.
Impfung für Gesetzespflicht wirksam genug?
In dem heute im Bundestag debattierten Gesetzentwurf der Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP heißt es, zur Prävention stünden "gut verträgliche, hochwirksame Impfstoffe zur Verfügung".
Impfungen gegen Covid-19 würden nicht nur die geimpfte Person wirksam vor einer Erkrankung und schweren Krankheitsverläufen bewahren, sondern sie reduzieren gleichzeitig die Weiterverbreitung der Krankheit in der Bevölkerung. Im weiteren Textverlauf wird eine eingeschränkte Wirkung anerkannt.
Zur Lösung des derzeit wieder eskalierenden Pandemiegeschehens schlagen die künftigen Regierungsparteien nun zunächst eine Impfpflicht für Mitarbeiter in Gesundheitseinrichtungen vor, geplant ist zudem eine spätere allgemeine Impfpflicht. Konkret heißt es in dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf:
Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und vulnerabler Personengruppen vor einer Covid-19-Erkrankung wird vorgesehen, dass in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen tätige Personen geimpft oder genesen sein oder ein ärztliches Zeugnis über das Bestehen einer Kontraindikation gegen eine Impfung gegen Covid-19 besitzen müssen. Für bestehende und bis zum 15. März 2022 einzugehende Tätigkeitsverhältnisse ist die Vorlagepflicht bis zum 15. März 2022 zu erfüllen.
Neue Tätigkeitsverhältnisse können ab dem 16. März 2022 nur bei Vorlage eines entsprechenden Nachweises eingegangen werden. Nachweise, die ab dem 16. März 2022 durch Zeitablauf ihre Gültigkeit verlieren, müssen innerhalb eines Monats nach Ablauf der Gültigkeit bei der Einrichtungs- oder Unternehmensleitung durch Vorlage eines gültigen Nachweises ersetzt werden.
Die neue Regelung soll für Einrichtungen wie Kliniken oder Pflegeheime gelten, aber auch für Personal von Arztpraxen, Rettungsdiensten oder Entbindungseinrichtungen.
Der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, warf der neuen Ampelkoalition nach Angaben der Katholischen Nachrichten-Agentur einen "klassischen Fehlstart im Bereich der Pflege" vor. Während eine Impfpflicht für Pflegekräfte beschlossen werde, würden finanzielle Boni für sie auf kommendes Jahr verschoben, so Brysch.
Ist die Impfpflicht das letzte Mittel?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat indes dazu aufgerufen, eine Corona-Impfpflicht nur als letztes Mittel im Kampf gegen die Pandemie in Betracht zu ziehen.
Staatliche Vorgaben zu einer Impfpflicht seien "ein absolut letztes Mittel und nur anzuwenden, wenn alle anderen machbaren Optionen zur Verbesserung der Impfaktivität ausgeschöpft wurden", sagte der WHO-Europadirektor, Hans Kluge, am Dienstag nach Agenturangaben.
Für interne Diskussionen sorgt die geplante Impfpflicht in Deutschland vorwiegend bei der FDP. Die Liberalen würden über einen selbst mit eingebrachten künftigen Gesetzentwurf zu einer allgemeinen Corona-Impfpflicht nicht einheitlich abstimmen, sagte Parteichef Christian Lindner.
Seine Fraktion werde es "in die ethische Abwägung der Mitglieder unserer Fraktion stellen, ob sie einer allgemeinen Impfpflicht zustimmen", sagte der künftige Finanzminister am heutigen Dienstag auf einer Pressekonferenz mit dem künftigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seinem Vizekanzler Robert Habeck (Grüne).
Während Lindner selbst auch für eine allgemeine Corona-Impfpflicht votieren will, stehen andere Mitglieder seiner Fraktion diesem Vorhaben kritisch gegenüber.
In einem Beitrag für die Fuldaer Zeitung hatte der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP und Vizepräsident des Bundestages, Wolfgang Kubicki, eine allgemeine Corona-Impfpflicht abgelehnt.
Es sei "nicht zielführend", Ungeimpfte allein für die aktuelle Corona-Lage verantwortlich zu machen, so Kubicki in einem Gastbeitrag für das Blatt. Die jüngsten G-2-Regelungen von Bund und Ländern sieht der FDP-Mann als "faktische Impfpflicht für all jene, die lediglich am öffentlichen Leben teilnehmen wollen".