Corona und Krisenversagen

Seite 2: "Blinde Passagiere" zu wenig beachtet

Deshalb hatte im Teil 3 dieser Artikelreihe schon darauf hingewiesen, dass dieser Aspekt von dem Mediziner, Historiker und Sozialwissenschaftler Karl Heinz Roth schon nach knapp eineinhalb Jahren Pandemieverlauf in seinem verdienstvollen Buch "Blinde Passagiere. Die Coronakrise und ihre Folgen" auf der Basis der damals vorliegenden wissenschaftlichen Literatur gründlich aufgearbeitet und klargelegt worden ist (siehe oben: Die Corona-Krise und ihre Folgen). Die Untersuchung wurde vom Autor im Mai 2021 abgeschlossen.

Roth geht in seinem Buch mit der ihm eigenen Gründlichkeit den epidemiologischen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aspekten der Pandemie nach, benennt die gesundheitspolitischen Versäumnisse, aufgrund derer das frühzeitige Eindämmen der Pandemie scheiterte, positioniert sich als Kritiker pauschaler Lockdowns und skizziert eine alternative, auf autoritäre Maßnahmen verzichtende Pandemie-Politik, die pharmakologische und pharmazeutische Maßnahmen, d. h. geeignete Medikamente und eine weltweit gerechte Verteilung von Covid-19-Impfstoffen, einschließt.

Der Autor zeigt aber auch auf, dass nicht nur das Virus, sondern auch die neoliberale Deregulierung des Gesundheitswesens ein entscheidender Faktor für das Ausmaß der Schäden durch die Pandemie gewesen ist.

Mit seinem Anfang 2022 veröffentlichten Buch hat Roth eine umfangreiche, aber gut lesbare und höchst beachtenswerte Untersuchung der Covid-19-Pandemie vorgelegt, die leider von den Leitmedien, aber auch den alternativen Medien und in der Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet worden ist.

Wäre das der Fall gewesen, hätten aus meiner Sicht möglicherweise eine Reihe von Missverständnissen in der politischen Auseinandersetzung über die Corona-Maßnahmen vermieden werden können.

In einem eindrucksvollen Kapitel mit der Überschrift "Covid-19 im historischen Pandemievergleich" (S. 217- 224) hat Roth in diesem Buch die schweren Influenza-Pandemien des 20. und 21. Jahrhunderts (Spanische Grippe 1918-1920, Asiatische Grippe 1957-1958, Hongkong-Grippe 1968-1970, Influenza-Pandemie 2017-2018) hinsichtlich der geschätzten Zahl der Todesopfer weltweit bzw. in Deutschland und der festgestellten Sterblichkeitsraten miteinander verglichen.

Im abschließenden Kapitel "Zusammenfassung und Ausblick" (S. 438) heißt es in Roths Buch "Blinde Passagiere. Die Coronakrise und die Folgen":

Covid-19 ist eine schwere Pandemie. Bis zum Abklingen der dritten Welle im Mai 2021 infizierten sich schätzungsweise 910 Millionen Menschen, 4,1 Millionen starben an den Folgen der Erkrankung. Schon zu diesem Zeitpunkt forderte Covid-19 weitaus mehr Opfer als die schweren Influenza-Pandemien der zweiten Hälfte des 20. und frühen 21. Jahrhunderts.

Somit war für den Autor schon im Mai 2021 klar: Covid-19 ist zwar mit der Spanischen Grippe 1918-1920 mit weltweit ca. 40 bis 50 Mio. Todesopfern nicht zu vergleichen. Aber abgesehen von dieser Pandemie ist Covid-19 die schwerste Viruspandemie des Atemsystems, die die Menschheit seit dieser Katastrophe am Ende des Ersten Weltkriegs heimgesucht hat.

So war die Sterblichkeit von Covid-19 um ein Mehrfaches höher als bei den angeführten schweren Influenza-Pandemien und um ein Vielfaches höher als bei der üblichen saisonalen Grippe, wobei bei diesem Vergleich mögliche weitere häufige Folgeerkrankungen wie Long- bzw. Post-Covid unberücksichtigt bleiben.

Bei der Analyse der Daten der mir zur Verfügung stehenden Literatur bin ich im Oktober 2020 zu ähnlichen Ergebnissen über die Gefährlichkeit von Covid-19 gekommen.

Heute kann festgestellt werden, dass seit Anfang Februar 2020 bis Mitte Juni 2023 weltweit etwa sieben Millionen Menschen im Zusammenhang mit Covid-19 verstorben sind (Fußnote 12) und in Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt etwa 174.000 Todesfälle registriert worden sind.

Vor diesem Hintergrund sind die Zulassung und Verfügbarkeit von relativ sicheren und auch wirksamen Covid-19-Impfstoffen zu begrüßen. Wie dargestellt, treten bei den mRNA-Impfstoffen, die seit Anfang/Mitte 2022 in Deutschland fast ausschließlich verimpft werden, schwerwiegende Nebenwirkungen wie anaphylaktische Reaktionen und Myokarditis selten oder sehr selten auf.

Für Personen, die Vorbehalte gegenüber der Covid-19-Impfung mit den neuartigen genetische (genbasierten) Impfstoffen haben, stehen mittlerweile auch andere zugelassene Impfstoffe zur Verfügung. Dazu gehören seit Anfang 2022 der proteinbasierte Impfstoff Nuvaxovid und seit Ende 2022 auch das traditionelle Vakzin Valneva, bei dem es sich um einen inaktivierten Ganzvirus-Impfstoff, einen sogenannten Totimpfstoff, handelt.

Die Schutzwirkung der verfügbaren Corona-Impfstoffe ist auch bei Zirkulation der Omikron-Variante in allen Altersgruppen gegen schwere Verläufe von Covid-19 gut, insbesondere bei Kombination von Impfung und Sars-CoV-2-Infektion, während der Schutz vor erneuten Sars-CoV-2-Infektionen jedoch weniger ausgeprägt, aber ebenfalls nachweisbar ist.

Da ich einige Anfragen erhalten habe, wie ich es persönlich mit der Covid-19-Impfung halte, will ich hier sagen: Ich selbst gehöre zur älteren Bevölkerungsgruppe mit erhöhtem Risiko. In der Zeit vom 08.03.2021 bis zum 17.11.2022 bin ich fünfmal mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty geimpft worden, den ich gut vertragen habe. Trotzdem habe ich im Herbst 2022 eine Covid-19-Infektion mit leichteren Symptomen durchgemacht. Im Herbst dieses Jahres werde ich an einer Auffrischimpfung teilnehmen.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.