Corona und andere biblische Plagen
Die Energie- uns Klimawochenschau: Von Wissenschaftlern, Frisören, Waldarbeitern und Heuschrecken
Sehr viel Aufmerksamkeit hat am Montag eine Ad-hoc Stellungnahme der Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die ziemlich irrig als wissenschaftliche Studie und als die autorative wissenschaftliche Äußerung zum Thema Ausstieg aus den Kontaktverboten gehandelt wurde.
Neben vielem anderen wie etwa der Forderung nach weniger Strafen und mehr Überzeugungsarbeit, Zuverlässigkeit und transparenten Daten ging dabei auch unter, dass die 24 Autoren und zwei Autorinnen mahnten, den Klima- und Artenschutz in der Krise nicht zu vergessen.
Politische Maßnahmen sollten sich auf nationaler wie internationaler Ebene an den Prinzipen von ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit, Zukunftsverträglichkeit und Resilienzgewinnung orientieren. Maßnahmen, die bereits vor der Coronavirus-Krise auf einer breiten wissenschaftlichen Evidenz und einem politisch-gesellschaftlichen Konsens beruhten, dürfen nicht abgeschwächt, sondern müssen weiterhin mit hoher Priorität umgesetzt oder sogar verstärkt werden. Wirtschaftliche Konjunkturprogramme sollten grundsätzlich mit den Zielen des europäischen "Green Deals" vereinbar sein.
Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina
So weit so gut, könnte man im Rahmen dieser Wochenschau sagen. Aber der Umgang mit der Erklärung in den Medien und die Selbstdarstellung der Autoren ist gleichzeitig ein Lehrstück, wie Wissenschaft nicht von der Gesellschaft angenommen werden sollte. Die Tagesschau-Redaktion liefert am Montag ein Musterbeispiel für die alte Ehrfurcht vor dem weißen Kittel und dem Professorentitel. Sozusagen das Gegenstück zu den Praktiken der Verschwörungsfreunde und Eiferer gegen den Klimaschutz, die ebensowenig nach der fachlichen Kompetenz der Zitierten schauen, wenn nur irgend ein akademischer Titel Ehrfurcht gebietend geschwenkt wird und das Gesagte den eigenen Wünschen entspricht.
Nun lässt sich über das Thema Klimaschutz in der Stellungnahme immerhin sagen, dass Mitautor und Leopoldina-Chef Gerald Haug als Geologe und Paläo-Ozeanograph zumindest vom Fach ist und sich mit Klimaforschung vermutlich auskennt. Schließlich hat er selbst manches zur Erforschung der Klimageschichte des Planeten beigetragen.
Wieso er sich allerdings von den ARD-Tagesthemen zur Frage der Wiederöffnung der Schulen und zur Rückkehr des öffentlichen Lebens zur Normalität befragen lässt, bleibt sein Geheimnis wie auch das der verantwortlichen Redakteure, die es offensichtlich nicht für nötig befanden, nach der Expertise der Leopoldina-Autoren zu fragen.
Diese haben zwar allerlei schöne akademische Titel vorzuweisen, aber Epidemiologen sucht man unter ihnen vergeblich. Über die Frage, wie die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in den nächsten Wochen gestaltet werden sollten, äußern sie sich als Rechtswissenschaftler aus der Sicht der Rechtsphilosophie oder als Erziehungswissenschaftler aus der Sicht der Pädagogik - was natürlich auch seine Berechtigung hat - und ansonsten eher als vermutlich gut informierte Bürger. Aber eben nicht als die wissenschaftlichen Fachleute für Maßnahmen gegen die Pandemie, als die sie von den meisten Medien implizit angepriesen wurden.
Wer indes sich tatsächlich für die epidemiologischen Modelle interessiert, die einzig Auskunft darüber geben können, welche Maßnahmen sinnvoll sind und wie lange diese noch angewendet werden sollten, ist hier mit einer Stellungnahme der Helmholtz-Gesellschaft besser bedient. Diese wurde ebenfalls am Montag veröffentlicht, schaffte es aber zunächst nicht, in die Medien vorzudringen.
Von Frisören und Automechanikern
Die Helmholtz-Wissenschaftler zitieren, anders als die Leopoldina-Stellungnahme, diverse epidemiologische Studien und empfehlen letztlich ein Szenario, in dem an den Kontaktbeschränkungen und Schulschließungen zunächst noch festgehalten wird. Ziel sei es, die Zahl der von einem Infizierten jeweils im Durchschnitt angesteckten Personen sehr deutlich unter 1 zu senken. Alles andere würde zu viele Todesopfer fordern.
Aber das soll im Einzelnen hier, wo es um eine Wochenübersicht über die Ereignisse rund um Energie- und Klimapolitik sowie die Klimawissenschaften geht, nicht vertieft werden. Bemerkenswert ist lediglich der mediale Umgang mit den Äußerungen von Wissenschaftlern, und zwar wie wenig jeweils nach der Expertise gefragt wird.
Das erinnert sehr an die Klimadebatte. Auch dort können sich Chemiker und Ingenieure mit ihren akademischen Graden oftmals medial in Pose werfen, wenn Journalisten meinen, sie haben eine konträre Meinung gefunden, die sich von der üblichen Berichterstattung abhebt.
Dabei geht es doch weder bei einem Viruseffekt noch beim Klimawandel um irgendwelche Meinungen, sondern um naturwissenschaftliche Sachverhalte. Die sind mitunter komplex und für den Fachfremden schwer zu bewerten. Deshalb macht es immer Sinn, auf das Fachgebiet und mitunter auch auf die Forschungsleistung des sich Äußernden zu schauen und sich weniger von akademischen Titeln blenden zu lassen. Wer sich die Haare schneiden lassen will, geht ja auch nicht zum nächstbesten handwerklichen Meisterbetrieb, sondern achtet darauf, dass er beim Frisör und nicht in der Autowerkstatt landet.
Tschernobyls Wälder brennen
Auch wenn die Abendnachrichten derzeit nur noch Corona kennen, ist es keineswegs so, dass all die anderen Krisen zwischenzeitlich pausieren würden. Die mörderische Abschottung der EU erlebt im Mittelmeer neue Höhepunkte, die deutsche Ausrüstung der Kriegsparteien im Jemen läuft auf Hochtouren, wie auch sonst die Rüstungsproduktion trotz Coronakrise neue Rekorde verzeichnet, und in der Ukraine machen die Altlasten des Atomzeitalters von sich reden.
Greenpeace Russland meldet von dort, dass im Nordosten der Ukraine, in der radioaktiv verseuchten Umgebung des 1986 havarierten Atomkraftwerks Tschernobyl, seit dem 3. April die Wälder brennen. Man kann sich leicht vorstellen, dass durch die Feuer und aufsteigenden Winde radioaktives Material in die weitere Umgebung verteilt werden wird.
Die Brände werden von der anhaltenden großen Trockenheit begünstigt, die in nahezu ganz Mitteleuropa und den im Osten und Südosten angrenzenden Regionen herrscht. Unten stehende Abbildung zeigt die Werte der Bodenfeuchtigkeit aus aller Welt von Anfang April. Abgeleitet wurden sie aus Satellitenmessungen. Demnach beträgt in Mitteleuropa und einigen benachbarten Regionen wie der Ukraine die Feuchtigkeit im oberen Meter des Bodens nur zwei oder weniger Prozent des Durchschnitts der letzten 60 Jahre.
Die Auflösung in den NASA-Daten ist relativ grob. Die Feuchtigkeitswerte wurden für jeweils ein Quadrat von 0,25 mal 0,25 Grad, also für knapp 800 Quadratkilometer bestimmt. Ein differenzierteres Bild für Deutschland zeichnet der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung. Demnach ist hierzulande derzeit für den Oberboden, das heißt die oberen 25 Zentimeter, die Lage nicht ganz so dramatisch. Meist kann nur von einer leichten Dürre gesprochen werden.
Im Unterboden, das heißt den oberen 1,8 Metern, herrscht aber im äußersten Süden der Republik sowie im Südosten weiter extreme Dürre, wie nun schon seit annähernd zwei Jahren. Offensichtlich hat es bisher nicht genug geregnet, um die geleerten Speicher wieder zu füllen. Hier, beim japanischen Wetterdienst, findet sich eine bequeme Übersichtskarte, auf der man sich die Niederschlagswerte für ausgewählte Stationen rund um den Globus anschauen kann.
Wald unter Stress
Die Daten machen deutlich, dass es an den meisten Stationen Mitteleuropas und angrenzender Regionen in den letzten zwei Jahren in vielen Monaten erheblich weniger Regen als sonst üblich gab. Die Folgen sind unter anderem auch in den deutschen Wäldern zu beobachten. Den hiesigen Baumbeständen macht eine Mischung aus zu wenigen Waldarbeitern, Trockenheit und Borkenkäfern zu schaffen, wobei letzterer diesen Winter noch durch den weitgehend ausgebliebenen Frost begünstigt wurde.
In den hiesigen Monokulturen hat der Hitze- und Dürrestress dem Schadkäfer den Tisch reichlich gedeckt. Die Waldarbeiter, deren Reihen die allgemeine Sparwut der öffentlichen Hand gelichtet hat, kommen kaum hinterher, befallenes Holz aus dem Wald zu entfernen oder zumindest von der Rinde zu befreien. Dies und die milden Winter schaffen für den Waldschädling die idealen Bedingungen zur Vermehrung. Laut Spiegel sind bereits 245.000 Hektar bzw. 2.450 Quadratkilometer Wald zerstört und ein Höhepunkt der Schäden sei erst für 2021 zu erwarten.
Das Ganze ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, wie Klimaveränderungen andere, zum Teil ebenfalls seit Jahrzehnten bekannte Problemlagen - Monokulturen in der Forstwirtschaft, zu wenig Beschäftigte, nicht immer standortgerechte Bepflanzung - zuspitzen und für erhebliche wirtschaftliche Schäden sorgen können.
Biblische Plage
Das gilt auch für eine weitaus schwerere Plage, die gerade Ostafrika und Teile des Nahen Osten heimsucht. Zwei für die Region äußerst untypische tropische Wirbelstürme - Folgen ungewöhnlich hoher Wassertemperaturen im westlichen Indischen Ozean, Telepolis schrieb drüber - hatten 2018 in der Wüste der südlichen arabischen Halbinsel ideale Bedingungen für die massenhafte Vermehrung von Heuschrecken geschaffen.
Im Sommer 2019 breiteten diese sich dann zum einen in Richtung Nahen Osten, zum anderen über das Rote Meer in die Staaten am Horn von Afrika aus. Ein Schwarm der fliegenden Insekten kann am Tag 150 Kilometer zurücklegen, und wo er sich niederlässt, bleibt kein grünes Blatt übrig. Als winzig, schreibt die Plattform Quartz, gilt ein Schwarm, der nur einen Quadratkilometer bedeckt und an einem Tag so viele Pflanzen vernichtet, die 35.000 Menschen in der gleichen Zeit essen würden.
Im Sommer 2019 waren die ersten Schwärme über den Golf von Aden nach Somalia gekommen, wo sie ebenfalls auf für sie vorteilhafte feuchte Bedingungen stießen. Es folgte ein für die Region ebenfalls ungewöhnlich feuchter Herbst - auch dass eine Folge der viel zu hohen Oberflächentemperatur des benachbarten indischen Ozeans -, sodass sie sich weiter vermehren konnten. Unter idealen Bedingungen kann sich eine Population von Generation zu Generation alle drei Monate verzwanzigfachen, was seit 2018 nun bereits etliche Male geschah. Ein exponentielles Wachstum, wie wir es auch von der Ausbreitung des Covid-19-Virus kennen.
Massive Ernteausfälle
Entsprechend hatten sich die Schwärme bis Februar 2020 in den Osten Äthiopiens, nach Dschibuti, Eritrea, Kenia, und schließlich Uganda und Tansania ausgebreitet, wo sie wiederum reichlich Nahrung auf den Feldern fanden. In Kenia, schreibt National Geographic, ist von der schwersten Heuschreckenplage seit 70 Jahren die Rede.
Aber ausgerechnet jetzt, da auch in Ostafrika das tägliche Leben stark durch die Folgen der Corona-Pandemie und der zu ihrer Bekämpfung verhängten Ausgangssperren stark eingeschränkt ist, scheint das Schlimmste noch bevorzustehen. Beobachter erwarten, dass sich die Zahl der Heuschrecken bis zum Juni noch einmal um den Faktor 400 vergrößern wird.
Die Folge wird ein gewaltiger Ernteausfall in zahlreichen Ländern der Region sein. Und das in einer Zeit, in der aufgrund der Corona-Pandemie zumindest in Europa und in China die Ernten ohnehin niedriger auszufallen drohen und eine Reihe von Ländern bereits Ausfuhrverbote für Grundnahrungsmittel verhängt haben.
Es ist wohl kaum übertrieben anzunehmen, dass die politischen Folgen bis nach Europa zu spüren sein werden. Auf dem Weltmarkt werden die Lebensmittelpreise explodieren, wenn die Regierungen nicht massiv und koordiniert eingreifen. Was eine solche Preisexplosion bewirken kann, haben wir bereits 2008 und in den Folgejahren gesehen. Seinerzeit waren die Lebensmittelpreise weltweit aufgrund hoher Energie- und Rohstoffpreise und sicherlich auch einem gerüttelten Maß Spekulation in die Höhe geschnellt und hatten in mehreren Dutzend Ländern, unter anderem in der arabischen Welt, das Faß der sozialen und politischen Spannungen zum Überlaufen gebracht. Einige der daraus erfolgten Kriege und Bürgerkriege halten bis heute an.
Wer also ein Interesse daran hat, dass sich derlei nicht wiederholt, wer es mit der Bekämpfung der Fluchtursachen wirklich ernst meint und dies nicht nur als Slogan zur Bekämpfung des Rechts auf Asyl missbraucht, müsste also sofort anfangen, Mittel zur Bekämpfung der sich anbahnenden Hungersnot zu mobilisieren und Maßnahmen zur Stabilisierung der Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel zu ergreifen. Finanzierbar wäre dies, wenn denn der politische Wille vorhanden wäre, unter anderem mit einem Verzicht auf weitere Aufrüstung und einer Abschöpfung der unmoralischen Gewinne aus den Rüstungsexporten für den Jemenkrieg, die natürlich im nächsten Schritt endlich zu verbieten wären.