Corona und die Mütter: Kein Geschmuse, bitte!
Frauen stellen eher ihre Erwerbsarbeit zugunsten der Familie zurück, in systemrelevanten Berufen kämpfen sie an der Front, besonders hart trifft es Alleinerziehende - Ruft die Krise das Gespenst des "klassischen Rollenmusters" wach?
Wenn man dieser Tage liest, dass Millionen Kinder nach den Herbstferien morgens wieder zur Schule traben, vergisst man leicht, dass sich zu Hause in manchen Fällen ein Drama im Stillen abspielt. Viele Mütter sind extrem gestresst, und auch für die Väter hat sich in diesem Jahr einiges geändert. Betrifft das auch die Rollen?
Eine vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) Mitte des Jahres herausgebrachte Studie "Eltern während der Corona-Krise" widmet sich den Auswirkungen der Pandemie auf Familien und untersucht, wie Eltern die Herausforderungen der Corona-Pandemie meistern. Oder eben auch nicht. Das Institut in Wiesbaden gehört zum Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums.
Rollen, wie verteilt?
Im Zusammenhang mit der Situation der Familien war hier und da auch schon von einer "Re-Traditionalisierung" von Rollenbildern die Rede. Mit anderen Worten: Papa schafft an, Mutter bleibt drin und schmeißt den Haushalt samt Kinderbetreuung. Letzteres in der Krise eine Mammutaufgabe, die das Gespenst des "klassischen Rollenmusters" wachruft. Ob das aber so stimmt, dazu später noch mehr.
Zuvor ein paar Zahlen zur Rollenverteilung.
Die Rollenverteilung sieht nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Paar-Familien (mit Kindern unter 18 Jahren) üblicherweise so aus (Mikrozensus 2018):
45 Prozent: Er in Vollzeit berufstätig, sie in Teilzeit.
27 Prozent: Er in Vollzeit, sie Hausfrau.
17 Prozent: Beide Vollzeit.
Zwei Prozent: Beide Teilzeit.
Ein Prozent: Sie in Vollzeit, er in Teilzeit.
Bleiben noch drei Prozent, in denen nur die Frau erwerbstätig ist und fünf Prozent, in denen beide nicht arbeiten.
Das tradierte Familienleitbild (mit der Mutter im Blickpunkt der Familienarbeit) scheint hier in Reinform immerhin bei knapp einem Drittel präsent zu sein ("Er in Vollzeit, sie Hausfrau").
Ein Hoch auf die Väter?
Zunächst eine einfache Feststellung: Seit März - dem Beginn der Corona-Krise - leisten Mütter UND Väter deutlich mehr Familien- und Erziehungsarbeit. Die Geschlechter-Unterschiede, so das BiB, seien in Bezug auf den Zeiteinsatz "sichtbar geringer" geworden.
Vorhanden sind sie immer noch: Bei den Müttern erhöhte sich die Stundenzahl "Familienarbeit" um rund 90 Minuten von 6,6 Stunden (2018) auf knapp 8 Stunden während der Krise. "Haus- und Familienarbeit wurden für sie [die Mütter] quasi zum Fulltime-Job", schlussfolgern die Autoren der Studie. Bei den Vätern wuchs der Stundenanteil von 3,3 Stunden (2018) auf 5,6 Stunden (beides Mittelwerte), ein Anstieg um 2,3 Stunden. Sind die Väter brauchbarer geworden in Coronazeiten?
Die Hauptlast und Verantwortung für den reibungslosen Ablauf des Familienalltags tragen die Frauen; sie sind überwiegend erste Ansprechpartnerin auch für Schulkinder, genauso wie bereits vor der Pandemie. Das Mutterleitbild in Deutschland ist im Vergleich zum Vaterleitbild vor allem von Fürsorglichkeit geprägt, unabhängig davon, wie alt die Kinder sind. Gleichermaßen sind Mütter noch immer deutlich mehr in schulische Belange involviert als Väter.
BiB-Studie "Eltern während der Corona-Krise"
Mütter stellen ihre Erwerbsarbeit, mehr als ihre Partner, zugunsten der Kinderbetreuung zurück; dies geschieht oft auch deswegen, weil ihr Einkommen eher verzichtbar ist als das der Partner. Allerdings zeigen weitere Auswertungen - zumindest für die Gruppe der Väter in Kurzarbeit mit einer erwerbstätigen Partnerin - eine stärkere männliche Einbindung in die Familienarbeit in Coronazeiten, und damit eine zeitliche Entlastung der Mütter.
Eine Erwerbstätigenbefragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) erbrachte ebenfalls, dass Mütter häufiger als Väter die Arbeitszeit wegen der Kinderbetreuung reduzieren mussten.
Systemrelevante Berufe: Domäne der Frauen
Gegenstand der BiB-Studie war unter anderem die Situation von Eltern in systemrelevanten Berufen. Das heißt derjenigen, die während der Krise besonders vor Ort am Arbeitsplatz gefordert waren; damit verbindet sich ein Anspruch auf Notbetreuung. In 47 Prozent der Familien arbeitet zumindest ein Elternteil systemrelevant, in 16 Prozent sogar beide. Meist sind es hier Frauen.
Die systemrelevanten Tätigkeiten lassen sich neun Sektoren zuordnen: Energie, Gesundheit, IT und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Medien und Kultur, Wasser, Finanz- und Versicherungswesen, Ernährung sowie Staat und Verwaltung. Über die auch "kritische Infrastruktur" genannten Berufe hinaus begründen derzeit auch einige weitere Tätigkeiten einen Anspruch auf Notbetreuung.
Harte Arbeit, geringer Lohn
Frauen stellen hier den Löwenanteil: Rund 52 Prozent der Mütter arbeiten in systemrelevanten Tätigkeiten und 24 Prozent der Väter. Das bedeutet, dass "vor allem Mütter stark am Arbeitsplatz gefordert waren", sagt Inga Laß, wissenschaftliche Mitarbeiterin am BiB. Besonders viele Eltern bzw. Elternteile aus dieser Gruppe sind in Krankenhäusern tätig (339.000), gefolgt von der öffentlichen Verwaltung mit 310.000.
Familien, in denen die Mütter einer solchen systemrelevanten Tätigkeit nachgehen und die Väter aufgrund fehlender Notbetreuung beruflich kürzertreten müssen, haben besonders große finanzielle Einbußen.
Zudem: Mütter in Berufen der Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe haben mit 1.600 Euro ein relativ geringes Medianeinkommen. Zwei Drittel der Mütter in systemrelevanten Berufen verdienen weniger als ihre Partner. In Zahlen heißt das: 36 Prozent der Mütter mit Kindern unter 12 Jahren verdienen weniger als 1.100 Euro Netto im Monat. Dem gegenüber stehen 10 Prozent, die mehr als 2.600 Euro Netto bekommen.
300 Euro Schweigegeld vom Staat
Elf Millionen Kinder und Jugendliche von Kita bis Sekundarstufe 2 waren von jetzt auf gleich ohne Betreuung oder Beschulung, und 10,6 Millionen Eltern mit Kindern unter zwölf Jahren mussten ihr Schicksal vorübergehend und teils noch bis heute selbst in die Hand nehmen. Letzterer Elternteil ist in besonderem Maße von Kita- und Schulschließungen betroffen, da für diese Altersgruppe eine Betreuung der Kinder zuhause durch die Eltern erwartet wird. Darunter immerhin 900.000 Alleinerziehende: 78.000 alleinerziehende Väter und 827.000 alleinerziehende Mütter.
Viele Ansätze wurden andiskutiert, ein Corona-Elterngeld zur finanziellen Entlastung etwa. Am Ende gab es 300 Euro vom Staat - pro Kind, ein aufgestocktes Kindergeld -, zwecks Reinvestition in die angeschlagene Wirtschaft, so hat es der Staat verkauft. Der Kölner Stadt-Anzeiger (KStA) schreibt: "300 Euro Schweigegeld, pardon, 300 Euro Familienbonus pro Kind."
Viele Frauen sind erschöpft. Besonders hart trifft es Alleinerziehende. Sie hetzen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit hin und her, versuchen den Alltag im Griff zu halten und reiben sich oft dabei völlig auf. Das Resultat nennt ein Dossier zum Thema, das gerade im Kölner Stadt-Anzeiger erschien, so:
… (Alleinerziehende) rackern sich ab (…) und verlieren dabei die Leichtigkeit des Lebens aus den Augen.
KStA: "Mütter im roten Bereich", Dossier, 24./25. Oktober 2020
Kein Geschmuse, bitte!
Der hier vorgestellte Einblick in die BiB-Studie und ihre Ergebnisse, zusammen mit anderen Untersuchungen, die inzwischen verfügbar sind, mag den Blick auf die Situation der Frauen fokussieren; andere dominierende Phänomene der Krise, etwa Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und Home-Office sind nicht weniger relevant und finden in der Studie (siehe dort) auch entsprechend Berücksichtigung.
Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, findet die Rede von der "Re-Traditionalisierung" übrigens nicht so passend. In einem Artikel in der "Zeit" nannte sie den Begriff "zu schmusig" und "zu nett". Worum geht es dann? Allmendingers Antwort: Es geht - zumal in der Krise - um "den Verlust der Würde (…), von Respekt, von Rechten".
Gemeint sind die Frauen.