Corona und die orthodoxen Medien
Zur Entstehung einer neuen Medienkritik aus der Mitte der Gesellschaft - Teil 3
Als die Bürger am Montag, den 23. März 2020, morgens aufwachten, gab es in Deutschland keine Parteien mehr, sondern nur noch den Virus. Und es gab, in dieser Totalität noch nie gesehene Maßnahmen von der Einschränkung der Bewegungsfreiheit bis zur Schließung aller Schulen und der meisten Geschäfte. Die Grenzen wurden dicht gemacht und einen Tag lang war sogar das alleinige Sitzen auf Parkbänken verboten. Die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben wurden radikal heruntergefahren.
Teil 1: Lockdown und Lockout - Runterfahren und Aussperren
Teil 2: Von Hartz IV zu Corona: Die Krise der Repräsentation
Man konnte an diesem Montag nachvollziehen, was für eine historische Situation es war, als Wilhelm II. davon sprach, er kenne keine Parteien mehr, er kenne nur noch Deutsche. Die Nation war über Nacht eine andere geworden, 1914 war es die Kriegserklärung an Serbien, 2020 war es das Auftreten des offiziell als gefährlich und neu eingeschätzten Corona-Virus, das die Welt in Atem hielt. Und plötzlich war diese Welt eine andere.
Am Mittwoch, den 27. Mai 2020 war im Münchner Merkur die Schlagzeile zu lesen: Coronavirus: Lockdown ein "Riesenfehler"? Experten kritisieren Entscheidung. In diesem Artikel ging es um Persönlichkeiten des Öffentlichen Lebens, die den Lockdown als nicht verhältnismäßig kritisierten. Der Staatsrechts-Professor Hans-Jürgen Papier etwa, langjähriger Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Oder Professor Stefan Homburg, früherer Berater der Bundesregierungen. Oder der Münchner Philosoph Julian Nida-Rümelin. Interessant ist, wie der Münchner Merkur diese Kritiker bezeichnet: Fast schon liebevoll als "Skeptiker". Zehn Wochen früher wäre das nicht möglich gewesen. Da wurden die "Skeptiker" in den Medien noch in ganz anderen Kategorien geführt: Als "Aluhutträger", "Verschwörungstheoretiker", "Esoteriker" oder einfach schlicht als "Spinner". Denn zum Lockdown vom 23. März kam der Lockout der Medien: Kritiker der Maßnahmen wurden nicht wahrgenommen und vom Diskurs, der zu einem regierungsamtlichen Monolog geworden war, ausgeschlossen. Wie richtig oder falsch diese Kritiker auch lagen und liegen, man kann den verantwortlichen Politikern verzeihen, dass sie diese Maßnahme aus Vorsorge und Ungewissheit heraus angeordnet haben. Nicht aber, dass die etablierten Medien staatstragend wurden, die Kritik weitgehend ignorierten und selbst kaum kritisch nachfragten.
Zu Beginn der manifesten Corona-Krise in Deutschland waren es nur wenige vereinzelte Stimmen, die mit einem entsprechenden beruflichen Hintergrund die getroffenen Maßnahmen hinterfragten. Dazu gehörte der Lungenarzt Wolfgang Wodarg. Seine Bedenken gegen die Maßnahmen der Regierung schickte er an mehrere große Zeitungen, aber nur ein Lokalblatt veröffentlichte sie. Dann machte ein von ihm ins Netz gestelltes Video in kurzer Zeit die Runde durch die sozialen Medien. Es schlug die Stunde der neuen alternativen Medien, der unzähligen Blogs, Foren und Websites. Sie boten den Platz für die Kritik, die die etablierten Medien ausklammerten. Erst als der Bekanntheitsgrad des Arztes enorm zugenommen hatte, reagierten die etablierten Medien - mit einer nahezu geschlossenen Abwehrfront. Exemplarisch dafür der "Spiegel": "Dass seine Videos mit Vorsicht zu genießen sind, erkennt man bei genauem Hinsehen aber allein schon an den YouTube-Kanälen, in denen sie erschienen sind." Und macht klar, warum man die Corona-Dissidenten ausschließen oder eben denunzieren müsse: "Wenn abwegige Einzelmeinungen anerkannten Fakten scheinbar gleichberechtigt gegenübergestellt werden", entstehe ein falscher Eindruck - was gerade in Krisenzeiten zu vermeiden sei.
In der Corona-Krise spitze sich noch einmal eine Situation zu, die bereits bei Hartz IV dominant war: Die Politik bot ein einheitliches Bild, an dem diesmal sogar die Linkspartei und die AfD teilhatte. Oder anders herum, die Parteien respektive die Opposition waren in den ersten Krisen-Wochen quasi vom Bildschirm verschwunden, das Heft in der Hand hatte die Regierenden in Bund und Länder. Weil aber die etablierten Medien vorwiegend als Echokammer der Politik agierten, hallte in dieser Echokammer nur noch die offizielle Version zur Corona-Krise wieder. Man könnte nun fordern, dass die Redakteure dieser Medien sich selbst Gedanken machen sollten - zum Beispiel über die täglich gemeldeten kumulativen Zahlen der Erkrankten und Toten, die als absolute Zahlen wenig aussagen - doch damit ist eine Journalistengeneration, die zwischen taz und Spiegel und Spiegel und Bildzeitung problemlos hin- und herwechselt, offensichtlich überfordert. Und die öffentlich-rechtlichen Sender wurden mit ihren Einblendungen "Wir bleiben daheim" quasi zum Regierungsfunk. Diese etablierten Medien sollten ihr Verhalten während der Krise überprüfen.
Medienkritik ist heute eine Kritik, die aus der Mitte der Gesellschaft kommt und in Netz-Foren formuliert wird. Während sich die etablierten Medien mit "Faktenchecks" zu Gralshütern der "Wahrheit" ernennen und zu einer orthodoxen Gemeinschaft der Rechtgläubigen werden, wächst im Netz die Kritik (und darüber hinaus natürlich wirklich so mancher Blödsinn und rechtes Gedankengut). Das Ergebnis ist ein fragmentierter Diskurs, bei dem die Schützengräben auf dem medialen Schlachtfeld je nach Thema (Hartz IV, Giftgasangriffe in Syrien, Corona-Virus) neu gegraben werden. Eine Folge: Die Menschen sehnen sich nach Überschaubarkeit und Sicherheit - nach Manufactum-Möbeln, alten Heilkräutern und Retro-Kühlschränken. Und nach Führern, die endlich Ordnung schaffen.