Correctiv: Denn sie wissen nicht, was sie schreiben

Correctiv weiter in der Kritik. Bild: T. Schneider, Shutterstock.com

Bericht zum Potsdam-Treffen weiter im Kreuzfeuer: Debatte um die Verwendung des Begriffs "Deportation" mit Widersprüchen. Es geht um Vertrauen in Medien.

Mitte Juli erhielt das Medium Correctiv den renommierten Leuchturm-Preis, vergeben für "besondere publizistische Leistungen". Seither dreht die Debatte über die journalistische Qualität des Correctiv-Berichts über das "Gemeintreffen in Potsdam" neu auf.

Ein Schlüsselbegriff der Debatte ist der Begriff "Deportation", da er einen Bezug zu den Verbrechen im Nationalsozialismus nahelegt. Die Diskussion über die Verwendung dieses Begriffs bei Correctiv im Zusammenhang mit dem Treffen setzte schon Anfang des Jahres ein, kurz nach Erscheinen des Berichts.

Ungesättigter Klärungsbedarf

Teilnehmer des Treffens sagten aus, dass dieser Begriff nicht gefallen sei. Das dies eine Unwahrheit sei. Es gab aufgrund der Härte des Nazi-Begriffs und der Vorwürfe, die an Correctiv in diesem Zusammenhang gerichtet wurden – dass die Berichterstatter, unter grober Missachtung journalistischer Grundregeln – die Sache politisch aufgeheizt habe, Klärungsbedarf.

Der Klärungsbedarf ist offenbar noch ungesättigt.

(Nachträglicher Einschub: Denn diskutiert wurde, was nun über den wieder neu vom ÖRR Blog in die Debatte gespielt wird, nicht. Das war schon Ende Januar beim Journalistenausbilder Peter Welchering ein "erklärungsbedürftiges" Thema.)

Aktuell bringt ÖRR Blog einen zehn Sekunden langen Videoausschnitt ins Debattenforum X, der dies neu auftischt.

"Wir haben auch nicht von Deportation gesprochen"

Das Posting bringt einen Ausschnitt aus dem ARD-Presseclub vom 28. Januar dieses Jahres. Da hat sich also jemand in Archiven umgesehen.

Man sieht in Großaufnahme die freie Journalistin Sabine Rennefanz und hört dazu die Stimme der Stellvertretenden Correctiv-Chefredakteurin Anette Dowideit. Sie sagt: "Wir haben auch nicht von Deportation gesprochen. Das wurde dann von denen, die es interpretiert haben … (folgende Worte im Clip unverständlich)".

Dass es die Stimme Anette Dowideit ist, die mit dieser Behauptung zu hören ist, geht aus der Sendung in voller Länge hervor. Die Debatte dazu, zu verfolgen etwa ab Minute 20:00, bleibt einmal aktuell hochinteressant, zum anderen zeugt sie davon, dass Anette Dowideit offensichtlich nicht im Bilde war.

Denn es zeigt sich in der Bemerkung "Wir haben auch nicht von Deportation gesprochen" ein eklatanter Widerspruch zu einem Faktenpapier, das Correctiv neun Tage zuvor, am 19. Januar 2024, veröffentlicht hat: "Geheimplan"-Recherche: Fragen und Antworten. Dort heißt es:

Wichtig ist: Bei dem Treffen in Potsdam sprachen die Teilnehmer über Pläne, um Millionen Menschen aus dem Land zu treiben. Sie benutzten dafür nicht den Begriff Deportation, sondern den Begriff Remigration. Die Inhalte des Treffens liefen letztlich auf Deportation hinaus. Als wir den Text geschrieben haben, entschieden wir uns dafür, dieses Wort nicht für die besprochenen Pläne zu benutzen. (…)

Als wir den Text geschrieben haben, entschieden wir uns dafür, dieses Wort nicht für die besprochenen Pläne zu benutzen. Grund für diese Entscheidung war, dass wir das Besprochene für sich stehen lassen wollen, es erscheint uns als eindrücklich genug.(…)

In unserem Text steht dennoch an einer Stelle das Wort "deportieren". In dieser Passage geht es jedoch nicht darum, was von der Runde der Teilnehmer als "Masterplan" besprochen wurde. Sondern um eine Aussage des Neonazis Martin Sellner beim Treffen. Er schlug einen Musterstaat in Nordafrika vor, in den zwei Millionen Menschen gehen könnten.

Der fragliche Satz lautet: "Was Sellner entwirft, erinnert an eine alte Idee: 1940 planten die Nationalsozialisten, vier Millionen Juden auf die Insel Madagaskar zu deportieren. Unklar ist, ob Sellner die historische Parallele im Kopf hat.

Correctiv (Hervorhebung. d. A.)

"Wir haben nicht von Deportation gesprochen, nur die Kommentare?" Wusste Anette Dowideit nichts davon, was man auf Correctiv zur Faktenklärung geschrieben hat? Ihre Antwort im Presseclub erweckt Zweifel an ihrer Genauigkeit, am präzisen Umgang mit Vorwürfen und Sachverhalten.

Übertreibung, Empörung und Reaktionen: Es geht um Glaubwürdigkeit

Das Problem dazu benennt Sabine Rennefanz in der Diskussion. Sie bemerkt dort, anlässlich des Stichwortes Wannsee-Konferenz, das im Zusammenhang mit dem Treffen öfter in Medien gefallen ist, dass sie ein Problem damit habe, die AfD – das Thema des ARD-Presseclubs – in eine Reihe zu stellen mit den Nationalsozialisten und sie habe da auch ein Problem mit der Berichterstattung, die das Treffen in Potsdam mit der "Wannsee-Konferenz" in Verbindung bringt. Die Verbrechen des Nationalsozialismus haben da eine eigene Dimension, so der Grundgedanke.

Diese Übertreibung führe zu einer moralischen Empörung und zu Gegenreaktionen, die eine Dramatik bekommen, die nicht wünschenswert sei.

Umso wichtiger ist es, die eigene Glaubwürdigkeit nicht mit Aufwertungen zu unterhöhlen, wie es bei Correctiv den Anschein hat.

Kritik ist nicht einseitig

Kritik an dessen journalistischer Arbeit gibt es nicht nur von einschlägiger Seite – der ÖRR Blog ist nicht neutral, wer ihn liest, merkt politische Tendenzen ziemlich schnell –, sondern von Experten für sauberes journalistisches Arbeiten, die sicher nicht im Lager der Verharmloser rechter Populisten einzuordnen sind.

In einem Beitrag auf Übermedien kritisierten die Autoren Christoph Kucklick, Felix W. Zimmermann und Stefan Niggemeier die journalistische Qualität des Correctiv-Berichts als schwach und das Verhalten nach der Veröffentlichung als fragwürdig.

Sie bemängelten, dass der Bericht unzureichend belegt, spekuliert und interpretiert, statt klar zu dokumentieren. Correctiv musste vor Gericht zugeben, nicht behauptet zu haben, dass in Potsdam die Vertreibung von Millionen Menschen geplant wurde.

Die Autoren fordern eine kritischere Auseinandersetzung mit solchen Berichten und warnen vor einer Vermischung von Journalismus und Aktivismus.

Auch die Süddeutsche Zeitung, der Arbeit von Correctiv zugetan, bemerkte kürzlich kritisch "zu viel Peng", Fehlerhaftes, Missverständliches im preisgekrönten Bericht: "Manchmal jedoch macht man sich so ohne Not angreifbar – und entzaubert sich selbst."