Covid-19: Thesen für eine erfolgsträchtige Impfkampagne
Seite 2: Impfkampagne resilient gestalten und wissenschaftlich begleiten
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Auch eine wirksame Impfung muss im Alltag einer Impfkampagne bestehen und umgesetzt werden. Gerade die erste Phase der Impfkampagne, nämlich die anspruchsvolle Organisation der Impfung von Hochaltrigen, wird prägend für den weiteren Verlauf der Kampagne sein. Deshalb sind Sorgfalt, gute Information und genügend Zeit anfangs wichtiger als hohe oder gar falsche zeitliche Erwartung.
Erfolgsdruck mit der Folge organisatorischer Fehlleistungen sind ebenso wenig zielführend wie schlechte Kommunikation. Ein gutes Impfergebnis bei dieser wichtigen vulnerablen Zielgruppe ist überzeugender als ein schneller Abschluss bei fehlender Akzeptanz.
Das Thesenpapier weist darauf hin, dass die individuelle Aufklärung der zu Impfenden ein wichtiger Prozess und Teil der notwendigen allgemeinen Information und Beratung der Menschen über die Impfstoffe ist. Aufklärung ist ein Teil der Legitimation der Impfung und ihrer Praxis.
Der Umfang und der Inhalt der Aufklärung über den zu applizierenden Impfstoff sind abhängig von unserem Wissen über seine Eigenschaften. Die Aufklärung ist Teil der ärztlichen Behandlung, d.h. Impfung auf vertraglicher Basis. Jede zu impfender Person hat Anspruch auf die persönliche individuelle Aufklärung im Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt. Merkblätter/Formulare oder Videos über die Impfstoffe können das individuelle Gespräch mit dem Arzt nicht ersetzen, sondern bestenfalls vorbereiten.
Eine Impfkampagne ist kein Selbstläufer, sie kann aufgrund zunächst vernachlässigbar erscheinender Ereignisse oder z.B. der Einstellungsveränderung von Einzelnen oder Gruppen Schaden nehmen oder gar scheitern. Es ist daher unumgänglich, von Beginn an mit Analysen von Outcome-Daten (Schutz vor Erkrankung, Unerwünschte Arzneimittelwirkungen u.a.) einschließlich der Bildung einer nicht-geimpften Kontrollgruppe die Wirkung der Kampagne zu analysieren, und durch Versorgungsforschungsansätze (z.B. Befragungen) sowie durch die gezielte Analyse von Umfeldfaktoren (Ökonomie, Politik etc.) eine zeitnahe Begleitforschung zu etablieren.
Ein sinnvolles Rahmenkonzept für die Impfkampagne ist dabei eine zentrale Aufgabe der Politik und umfasst die Formulierung eines Zieles und einer abgeleiteten Strategie. Im Mittelpunkt sollte nach Auffassung der Autorengruppe das Konzept der "Stabilen Kontrolle" stehen.
Unter Stabiler Kontrolle versteht man ein Konzept zur Kontrolle und Steuerung der Epidemie, bei der eine Eradikation, d. h. eine vollständige Auslöschung des Erregers, nicht möglich ist, weil die infizierten Personen nicht erkennbar sind und die Übertragung mindestens teilweise durch asymptomatische Träger stattfindet (S. 19).
Die Lösung von Ziel- und Umsetzungskonflikten ist von größter Bedeutung, insbesondere hinsichtlich der Anreize, der Motivation, der Konflikte mit anderen gesellschaftlichen Zielen (z.B. Datenschutz), der Integration von Nicht-Geimpften und in der Kommunikation von Wirkung und Unerwünschten Arzneimittelwirkungen.
Eine Erfolgskontrolle der Impfkampagne anhand eines Einzelkriteriums (wie z.B. der Impfquote) ist dringend zu vermeiden, da sie störanfällig ist und u.U. zu falscher Sicherheit Anlass gibt. Empfohlen wird hier die Nutzung eines multidimensionalen Scores unter Einbeziehung von Inanspruchnahme (z.B. Impfquote), Wirkung, Komplikationen, Compliance, Umsetzung in den Organisationen und Haltung der Führungsebene.
Ein solcher Score, der sich auf Befragungen gründet, kann helfen, Schwächen in der Kampagne früh zu erkennen und rechtzeitig gegenzusteuern.
Dabei stellt die verlässliche Rückkopplung des Erfolges einen entscheidenden Parameter für das Gelingen einer Impfkampagne dar. Eine überschlagsmäßige modellhafte Skizzierung erbringt den klaren Befund, dass die Impfung der Hochrisikogruppen kurz- bis mittelfristig zu einer Reduzierung der Mortalität und Morbidität, aber nicht der Melderaten führen wird.
Bei Annahme einer hohen Wirksamkeit der Impfung auf die Rate der Infektionen (die Zulassungsstudien beziehen sich ja nur auf die symptomatischen Verläufe bei bereits Infizierten) werden in der ersten Märzwoche 2021 nur rund 20.000 von insgesamt 150.000 gemeldeten Infektionen (13 Prozent), aber in den Alterskohorten über 80 Jahre 3.200 von 4.700 Sterbefällen (68 Prozent) zu verhindern sein. Dies stellt ein weiteres Argument dafür dar, die Melderate und die daraus abgeleiteten Grenzwerte in den Begründungsszenarien der Politik zu relativieren.
Am Schluss dieses Einblicks in das siebten Thesenpapiers der Autorengruppe um Matthias Schrappe möchte ich eine der dort zu findenden neunzehn Thesen hier beispielhaft anführen (S. 35):
These 3: Die Realität der Covid-19-Epidemie im Jahr 2021 wird nicht durch "die Impfung", sondern durch das Handling und den möglichen Verlauf einer "Impfkampagne im nationalen (europäischen) Maßstab" gestaltet. Es droht allerdings ein Auseinanderfallen der Impf-basierten Prävention und der allgemeinen bzw. spezifischen nicht-pharmakologischen Prävention. Wird Letztere vernachlässigt, kann die Impfkampagne nicht erfolgreich sein, denn es wird immer die Notwendigkeit bestehen, für Impfversager (die Wirksamkeit liegt nicht bei 100 Prozent) und für den Schutz nicht-geimpfter Personen zu sorgen (fehlende Einwilligung, Kontraindikationen etc.). Es ist daher unumgänglich, die Wirksamkeitsprüfung der Impfstoffe durch eine Evaluation der von zahlreichen Umfeldfaktoren abhängigen Impfkampagne zu ergänzen (Versorgungsforschung).
Schlussfolgerungen
Das umfangreiche inzwischen siebte Thesenpapier der Autorengruppe um Matthias Schrappe enthält eine Reihe plausibel erscheinender Vorschläge für eine Verbesserung der Durchführung der angelaufenen Impfkampagne, die sich an die Verantwortlichen in Politik und Gesundheitswesen, aber auch die Öffentlichkeit richten.
Es lässt den interessierten Leser aber weitgehend im Unklaren, wie diese Vorschläge umgesetzt werden können. Das betrifft z. B. die Versorgungsforschung, die die Impfkampagne begleiten sollte, aber auch die Frage, wie die Meldung von Unerwünschten Arzneimittelwirkungen, die im deutschen Gesundheitswesen nicht gut etabliert ist, verbessert werden kann.
Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin- Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin- Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane.
Er ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Nikotin-Tabakforschung e.V. (DGNTF) und arbeitet in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit.
E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de
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