CyberMalaysia oder Malaysia Incorporated
Der rekordsüchtige Sprung ins Informationszeitalter
Malaysien hat, wie die offizielle Website der Regierung herausstellt, im neuen Geschäftsviertel von Kuala Lumpur - noch die Hauptstadt - mit den Petrona-Türmen die höchsten Wolkenkratzer der Welt errichtet (möglicherweise wird bald China einen noch höheren bauen). Mit 88 Stockwerke sind die Türme aus Glas und Stahl 450 Meter hoch, auf dem 41. Stockwerk verbindet sie eine Brücke hoch in der Luft. Natürlich sind das "intelligente Gebäude" in einer "intelligenten Stadt in der Stadt", ausgestattet mit einem Gebäudekontrollsystem, einem Feueralarmsystem, einem Sicherheitssystem und ISDN.
Malaysien aber genügt ein Rekord nicht, weswegen gerade der weltweit größte Flugplatz gebaut wird, der nächstes Jahr in Betrieb gehen soll. 100 Quadratkilometer Regenwald wurden vernichtet, um die zwei Lande- und Startbahnen sowie einen Flughafenkomplex mit 80 Ports zu verwirklichen, so daß über 70 Flüge jede Stunde stattfinden können.
Um aber den asiatischen Tiger wettbewerbsfähig in das nächste Jahrhundert und in das Informationszeitalter zu katapultieren und zu einem Musterland des digitalen Neoliberalismus zu machen, hat sich Ministerpräsident Mahatir Mohamed im Rahmen seines groß angelegten Wirtschaftsprogramms The Way Forward - Vision 2020 das ehrgeizige Ziel gestellt, innerhalb von 20 Jahren Malaysien zu einem voll entwickelten Land zu machen.
Dabei setzt er ganz auf die digitale Technik, weil er glaubt, daß sein Land den Sprung ins Informationszeitalter schneller und radikaler als die jetzt an der Spitze der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung befindlichen Staaten schaffen kann. Erstens liege Malaysien im Zentrum der ASEAN-Staaten und sei so ein Tor zum boomenden asiatischen Zukunftsmarkt, zweitens gebe es gegenüber anderen Ländern der Region noch immer Kostenvorteile und drittens wären die etablierten Ländern durch ihre Gesetze, ihre Politik und die Notwendigkeit der Rückwärtskompatibilität gelähmt: "We are not just upgrading." Malaysien ist gewissermaßen eine tabula rasa mit willigen Bürgern und ohne "überkommene Systeme und fest verwurzelte Interessen, die ihre gegenwärtigen Positionen verteidigen." Daher werde das Land nicht durch "exzessive politische Aktivitäten" stranguliert und könne schnell die Gesetze oder die Politik verändern, so daß die angelockten Unternehmen ihren Profit aus den Vorteilen des Informationszeitalters ungeschmälert ziehen können.
Um Malaysien zu virtualisieren und auf die Höhe der Informationstechnologie zu bringen, soll es zu einem zentralen Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort werden, der mit dem Multimedia Super Corridor (MSC) in eine gigantische und gar nicht virtuelle architektonische Form gegossen wird. Zwischen den beiden Rekordarchitekturen der Patenas-Türme und des Flugplatzes war bis vor kurzem noch Dschungel. Jetzt werden sie, neben Autobahnen und Trassen für Hochgeschwindigkeitszüge, zu den Eckpunkten eines großen Landstrichs von 750 Quadratkilometern, der mit zukünftiger und zukunftsweisender Architektur überzogen und zu einem "Experimentierfeld für die neue Rolle der Regierung, für neue Cybergesetze und Garantien, für die Zusammarbeit der Regierung mit Unternehmen sowie der Unternehmen untereinander, für neue Formen der Unterhaltung, der Ausbildung, der medizinischen Versorgung und der technologischen Anwendungen" werden soll.
Putrajava, die neue Hauptstadt der vernetzten und papierlosen Regierung
Um die bis zum Jahre 2020 vorgesehenen 500 Multimedia-Unternehmen anzulocken, unter anderen wollen sich Microsoft, IBM, Siemens, NTT, Sun Microsystems, British Telecommunication, Sharp oder Mitsubishi beteiligen, werden im Sinne der globalen Konkurrenz beste Bedingungen geboten. Wer sich hier ansiedelt, wird bis zu 10 Jahren keine Steuern zahlen müssen. Kredite können weltweit aufgenommen und technische Geräte zollfrei eingeführt werden. Restriktion für Arbeitsgenehmigungen oder Besitzverhältnisse soll es nicht geben, dafür aber eine optimale physische und informationelle Infrastruktur: mit besten Verkehrsverbindungen, einer neuen Hauptstadt, einer Multimedia-Universität, smarten Schulen, R&D-Zentren, einer Gartenstadt für die Unternehmen sowie ihre Angestellten und einem Glasfaser-Backbone, das alle Firmen und Institutionen mit einer Übertragungsrate zwischen 2,5 und 10 Gigabyte pro Sekunde untereinander und mit der restlichen Welt verbindet - wenn man unter dieser die ASEAN-Staaten, die USA, Japan und Europa versteht. Zuständig wird für den Korridor nur eine Behörde sein, die zwar mit Regierungsvollmachten ausgestattet ist, aber wie ein Unternehmen arbeitet.
Garantiert wird neben der neuesten, besten und billigsten Kommunikationsinfrastruktur beispielsweise auch, daß keine Internetzensur stattfinden soll. Überdies soll ein "Multimedia Convergence Act" noch in diesem Jahr verabschiedet werden, der fünf Cybergesetze enthält: elektronische Unterschriften für alle Zwecke, Sicherung des intellektuellen Eigentums, ein "Crime Cyberlaw", das illegalen Zugang und illegale Benutzung von Computer und Informationen sowie Standards für Provider definiert, Sicherheit für telemedizinische Anwendungen und sichere Formate und Standards für die Kommunikation etwa mit der elektronischen Regierung. Eine Chipkarte für alle Zwecke ist als Innovation vorgesehen, mit der die Bürger ihre elektronische Unterschrift leisten können, die als Ausweis dient und mit der man Zugang zur Regierung, zum Bankkonto, zum Telefon und zu den Transportsystemen hat.
Um die Entwicklung des neuen Superstandorts zu beschleunigen wird bereits Putrajava, die neue Hauptstadt der vernetzten und papierlosen Regierung, gebaut. Bis zu 100000 Angestellte der Behörden sollen vernetzt und im Gebrauch der Informationstechnologie geschult werden. 1998 wird die Regierung aus Kuala Lumpur in die "intelligente Gartenstadt" umsiedeln, die 52000 Wohnungen für insgesamt 250000 Einwohner haben soll. Vorbildlich soll das urbane Projekt die "Öko-Kultur" erhalten, um den Einwohnern eine hohe Lebensqualität, im Grünen und mit großen Parks, mit Solarenergie zu bieten. Die Luftqualität soll durch weitgehende Vermeidung von Emissionen hoch sein. Überdies kann man zwischen Häusern an den grünen Hängen oder an Seen sowie familenfreundlichen Eigentumswohnungen wählen.
Natürlich gibt es auch First-Class-Hotels, Einkaufs- und Erholungszentren und die beste Verkehrsanbindung. Hier gibt es für die künftig gebrauchte Info-Elite auch "smart schools", die als Modell für die Vernetzung aller Schulen Malaysias in den nächsten Jahren dienen sollen. Die im Korridor ansässigen Firmen werden die Möglichkeit besitzen, für die Schulen neue Software, Curricula und Infrastruktur sowie Fortbildungskurse für die Lehrer zu entwickeln. Im Zentrum der neuen virtuellen Hauptstadt wird die Multimedia-Universität als Verbindung zwischen Forschung und kommerziellen Anwendungen errichtet. Und dann gibt es natürlich genügend Land für die Unternehmen, um sich etwa in der "IT-City" mit intelligenten und vernetzten Gebäuden anzusiedeln und so den Korridor zwischen "Hügelketten, Regenwäldern und schönen Plantagen" zu einem urbanen Modell inmitten einer natürlichen Umwelt werden zu lassen: zu einer "schönen und funktionellen Region, in der Innovation und Faszination entstehen."