Daddeln für die Klimaforschung

Sciara-Geschäftsführer Sebastian Kutscha und Daniel Tamberg. Bild: Sciara

Daniel Tamberg über das Browsergame Sciara, das den Klimawandel erfahrbar machen, Daten sammeln und Entscheidungen unterstützen soll

Sciara steht für "Society-Climate Interaction Analysis with real Agents", also etwa: Analyse der Interaktion zwischen Gesellschaft und Klima mit echten Akteuren. Für eine solche Untersuchungen entwickeln Daniel Tamberg und Sebastian Kutscha derzeit eine digitale Plattform. Indem echte Personen in der digitalen Umgebung Entscheidungen treffen und interagieren, soll gesellschaftliches Verhalten in Bezug auf den Klimawandel simuliert werden. Auf diese Weise sollen realistischere sozial-ökologische Modelle entstehen.

Der im Bereich Software-Entwicklung tätige Daniel Tamberg ist einer der beiden Geschäftsführer des Projekts, das auch von wissenschaftlichen Institutionen wie dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung unterstützt wird. Telepolis sprach mit ihm über das Sciara-Projekt.

Herr Tamberg, wie können wir uns dieses Online-Tool oder Spiel vorstellen? Wie kann man damit interagieren?

Daniel Tamberg: Wir haben selber lange überlegt, ob wir es als Spiel oder Simulation bezeichnen und haben uns am Ende auf Spiel geeinigt. Es ist ein Browsergame, an dem sehr viele Leute gleichzeitig teilnehmen können. Die Plattform, die darunter liegt, kann jedes beliebige Design dazu konfiguriert bekommen. Der momentane Prototyp, den wir bauen, hat ein Interface im Comic-Stil. Es wird eine stilisierte Welt gezeigt, in der es verschiedene Orte gibt, die mit verschiedenen Entscheidungs- und Kommunikationsmöglichkeiten verknüpft sind. Dort kann ich mir etwa verschiedene Medien angucken dann Entscheidungen darüber treffen, was ich in dieser Welt tun möchte. Ich sehe dann, wie sich das auf die Welt auswirkt.

Schreenshots der Sciara-App

Ich kann also direkt auf dem Interface sehen, was dann mit der Welt passiert?

Daniel Tamberg: Das mit dem direkt ist ein bisschen schwierig zu beantworten, weil das Klimasystem ja wahnsinnig träge ist. Dinge, die wir heute falsch oder richtig machen, haben ihre Auswirkungen in 20 bis 30 Jahren. Weil dieses Klimasystem so träge ist, würde es, selbst wenn wir morgen aufhören würden CO2 auszustoßen, wahrscheinlich nochmal weitere 0,5 bis 0,7 Grad Erwärmung geben.

Wir haben ein Feature eingebaut, womit die Teilnehmenden sehen können, was ihre Entscheidungen für einen Effekt in 50 oder 100 Jahren hätten. Das heißt, wir lassen das Klimamodell ein bisschen vorauslaufen und sagen: "Wenn du dieses Auto kaufst und alle Leute in deiner Peergroup oder in deinem Land oder alle weltweit, dann hättest du in der Wirklichkeit in 30, 50 oder 100 Jahren folgende Veränderungen." Das heißt, man kann den Leuten zeigen, dass sie die Veränderung noch nicht sehen können, aber im Laufe ihres Lebens durchaus erleben würden.

Konsumentscheidungen wie hier beim Auto sind ja relativ überschaubar. Wie fließen denn beispielsweise Wahlentscheidungen oder die Teilnahme an Klimaprotesten ein? Kann die Simulation solche gesellschaftlichen Prozesse abbilden?

Daniel Tamberg: Wir geben unser Bestes, um auch das möglich zu machen. Wahlen sind relativ einfach. Sie können ständig Ihre politische Ausrichtung angeben und da gibt es Stichtage, zu denen der aktuelle Wert dieser Entscheidungen von allen Leuten summiert wird und das ist das Wahlergebnis. Jetzt werden bestimmte Teilnehmer zu Regierenden und andere zur Opposition und bekommen dadurch unterschiedliche Rechte, Regulierungen in das Spiel einzuführen.

Angenommen, es würde eine Wahl stattfinden, eine Partei kommt an die Regierung, die sagt, sie führt eine CO2-Steuer ein, dann erhöhen sich die Preise für alle möglichen Dinge und schlagen sich im persönlichen Budget des Spielers nieder. Er hat dann weniger Geld zur Verfügung, es sei denn, er kann das irgendwie kompensieren. Oder die Regulierung sieht eben vor, dass es nicht nur eine Erhöhung der CO2-Steuer gibt, sondern meinetwegen auch gleichzeitig eine Senkung der Einkommensteuer. Alle diese Effekte wollen wir abbilden, so gut es geht und so realistisch, dass die Dilemmata, die dadurch entstehen, für die Teilnehmer auch real werden.

Geht es bei dem Spiel eher um klimapolitische Bildungsarbeit oder darum, Daten zu gewinnen, die dann auch in Klimamodelle einfließen können?

Daniel Tamberg: Es geht um drei Dinge. Es geht darum, den Teilnehmenden eine Chance zu geben zu verstehen, wie Klimawandel funktioniert und was er für Auswirkungen auf sie hat. Und welchen Einfluss sie selber darauf haben, etwas zu verändern. Der Klimawandel findet – zu 98 Prozent – ja überhaupt nur wegen der Menschen statt, das heißt, wir sind auch die einzigen, die etwas daran ändern können. Die Klimaschutzmaßnahmen kommen, ob wir wollen oder nicht, oder der Klimawandel kommt, ob wir wollen oder nicht. Irgendwie muss jeder dazu eine Haltung haben und das kann man in dem Spiel erfahren.

Das zweite ist die wissenschaftliche Begleitung. Wir haben mit vielen Wissenschaftlern gesprochen, aus den Klimawissenschaften, aus den Sozialwissenschaften und auch aus den Grenzbereichen dazwischen, die uns gesagt haben, dass sie das Tool begrüßen und sich an Projekten dazu beteiligen wollen. Sie bekommen die Chance, die sozialwissenschaftliche Methodik, die wir darin verwenden, zu gestalten und dann auch die Datenmenge auszuwerten, die dabei entsteht. Etwa: Wie werden soziale Normen verändert oder wie werden soziale Kipppunkte überschritten?

Wir wollen, dass Politik und Wirtschaft, die hoffentlich Auftraggeber für solche Modellierungsszenarien sein werden, diese Daten bekommen, damit sie hinterher bessere Entscheidungen treffen können. Präsident Emmanuel Macron hat beispielsweise in Frankreich die Benzinsteuer angehoben, um das Klima zu schützen. Das war jedenfalls die offizielle Begründung. Und was hat er geerntet? Gelbwestenproteste, die die Hauptstadt fast zerlegt haben. Und so schlimm, dass er das zurücknehmen musste und die nächste Benzinpreiserhöhung möglicherweise viel weiter verschoben ist, als wenn er das gleich richtig eingeführt hätte.

Wir haben gar keine Zeit mehr, solche Maßnahmen auszuprobieren. Im Moment können die Leute nur raten oder Experten befragen oder Blechrobotermodelle, die überhaupt keine Aussagekraft haben. Oder Sie können in Zukunft eine Sciara-Simulation mit 1.000 bis 10.000 Menschen beauftragen.

Wie wollen Sie Menschen aus einem relativ breiten sozialen Spektrum erreichen und nicht nur solche, die ein gewisses Bewusstsein für Klimafragen mitbringen?

Daniel Tamberg: Da gilt, dass jeder ist davon betroffen ist, ob er will oder nicht. Wir werden erhebliche Anstrengungen unternehmen, um auch Bevölkerungsgruppen zur Teilnahme zu bewegen, die keine Klimaschutzfreaks sind sondern die einfach sagen: Ich möchte da mitmachen, damit ich gehört werde.

Wenn man sich etwa die Proteste von Fridays for Future vor der Pandemie anschaut, dann wirkt es fast so, als ob große Teile der Bevölkerung weiter seien als die Regierung. Als ob eine breite Akzeptanz für Klimaschutz vorhanden sei, während Politik oder bestimmte Lobbygruppen diesen aber ausbremsen. Könnte man mit einem solchen Tool auch den Politiker*innen deutlich machen, dass der Klimaschutz schneller gehen muss?

Daniel Tamberg: Selbstverständlich kann auch das ein Ergebnis der Simulation sein. Mir ist unheimlich wichtig, dass das, was wir machen, vollständig ergebnisneutral ist. Wir wollen die Simulation nicht zu einem bestimmten Ergebnis hinbewegen, indem wir irgendwelche Anreize darin setzen, die die Leute zu unrealistischem Verhalten verführen. Wir wollen exakt das Verhalten haben, was der Ausschnitt aus der Bevölkerung auch wirklich zeigen würde und die Effekte, die dies auf die Politik haben kann. In einer Simulation, die den Einfluss von Lobbygruppen berücksichtigen würde, würde jemand die Rolle eines Lobbyisten spielen, der die Teilnehmenden beeinflusst.

Ob die Fridays-for-Future-Proteste wirklich ein Zeichen dafür sind, dass der größere Teil der Bevölkerung die erforderlichen, wahrscheinlich ziemlich harten Klimaschutzmaßnahmen akzeptieren würde, weiß ich nicht. Das ist genau der Grund, warum wir diese Simulationen machen und nicht nur Umfragen. Wenn wir eine Umfrage machen würden, würde wahrscheinlich der größte Teil der deutschen Bevölkerung sagen: Macht mehr Klimaschutz! Aber als Umfrageteilnehmer ist man ja mit den Konsequenzen seiner eigenen Aussage gar nicht konfrontiert. In der Simulation sieht man die Konsequenzen für den Charakter, den man darin spielt.

Wann und mit welchem Szenario wird das Projekt starten?

Daniel Tamberg: Das Minimalsystem wird voraussichtlich Ende Januar fertig sein. Wir wollen die ersten einfachen Simulationen Anfang Februar starten. Die dienen zunächst dazu, das System mit echten Menschen, die wir dazu einladen, auszuprobieren. Erste Simulationen mit wissenschaftlichem Anspruch wird es wohl nicht vor Jahresmitte geben. Bis dahin müssen wir noch eine Menge Software entwickeln und eine Menge an den Verfahren und den Methoden forschen, mit Unterstützung der Wissenschaftler, die uns begleiten. Das kostet eine Menge Geld und deswegen die Crowdfunding-Kampagne.

Die Sammlung großer Datenmengen birgt ja immer auch die Gefahr des Missbrauch oder deren späterer kommerzieller Verwertung...

Daniel Tamberg: Es gibt zwei superwichtige Dinge. Das eine ist Datenschutz. Die Daten, die die Teilnehmenden generieren, sind ja die Grundlage für den Wert des Systems. Weil wir daran ablesen können, wie sich gesellschaftliche Akzeptanz während des Verlaufs der Simulation entwickelt. Wir werden zu keinem Zeitpunkt auf Personen beziehbare Daten an Dritte weitergeben. Wir werden sogar sicherstellen, dass wir diese Daten auch intern nicht einfach verknüpfen können. Es gibt natürlich Benutzeraccounts, zu denen wir die Emailadresse haben. Aber sobald Daten bei der Simulation entstehen, werden sie davon technisch getrennt und sind nur algorithmisch verknüpfbar. Sie sind verschlüsselt und nicht rückführbar auf die Benutzeraccounts.

Sobald die Experimente von der öffentlichen Hand beauftragt sind oder von einem Wirtschaftsunternehmen und freigegeben werden, werden wir die Daten in anonymisierter Form öffentlich machen. Wir werden sogar den Source-Code für die Plattform in ein Open-Source-Projekt verwandeln. Das werden wir moderieren, aber das kann jeder einsehen und mitentwickeln, sofern er die richtige Qualifikation hat.

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