"Dann kommen die Jungs, wo man nur die Augen sieht"
Wie der Staat seine Macht missbrauchte, um seinem Gast George W. Bush einen möglichst kritikfreien Empfang in Mainz zu bereiten
Der 23. Februar 2005 (Bush in Mainz) wird Martin Wejbera in bleibender Erinnerung bleiben. Morgens gegen halb acht kam eine fremde Person in sein Schlafzimmer, öffnete das Fenster, nahm das ein Meter fünfzig lange Transparent mit der Aufschrift "George who?" ab und verließ das Zimmer wieder. Keiner sprach ein Wort. Der 22-Jährige rieb sich die Augen. Dann kam sein Mitbewohner ins Zimmer und sagte, "Du kannst ruhig mal aufstehen. Die Kripo ist da."
Nachdem die Kriminalpolizisten ein weiteres Transparent mit der Aufschrift "Would you like a beer or pretzel?" vom Wohnzimmerfenster entfernt und konfisziert hatten, erläuterten die Beamten G. und K. den insgesamt drei Psychologiestudenten ihr Vergehen. Wie sie ja wüssten, sei der US-Präsident in der Stadt und sie seien durch ihre Transparente "auffällig geworden".
Die Wohnung liegt im ersten Stock in der an diesem Tag voll gesperrten Mainzer Innenstadt, genau an der Bush-Route. Auf seinen Hinweis auf die freie Meinungsäußerung wurde dem dritten Mitbewohner gesagt, es sei rechtlich alles abgesichert. Als der Student den Paragrafen wissen wollte, erklärte Kommissar G.: "Das wird hier keine Rechtsbelehrung." Nach etwa einer halben Stunde gingen die beiden Beamten wieder, nicht aber, ohne die Studenten freundlich, aber eindringlich zu warnen, keine weitere Dummheiten zu machen, denn: "Dann kommen die Jungs, wo man nur die Augen sieht, und dann tut's nur noch weh." Die WG hatte verstanden.
"Das eigentlich Schlimme" sei aber, dass es gar nicht um die Sicherheit ging, findet Wejbera. "Wir waren ja kein Sicherheitsrisiko, wir wollten nur demonstrieren." Gegen halb zehn kam Kommissar G. mit Kriminalrat D. zurück, der die Aktion an diesem Tag offenbar leitete. D. sagte, da er nur Gutes von den Bewohnern gehört habe, reiche es, alle Zimmer mit Fenster zur Straße zum "Sperrgebiet" zu machen und zwei Polizeibeamte die Wohnung bis Abend bewachen zu lassen. Und so war es. Zu etwa diesem Zeitpunkt hörte Wejbera, wie mehrere Personen in schweren Stiefeln das Treppenhaus hochgingen.
"Terror gegen Terror?"
Im vierten Stock ist ebenfalls eine WG. Dort hing ein bettlakengroßes Transparent mit der Aufschrift "Terror gegen Terror?" an der Hauswand, an der Bushs Konvoi später vorbeifuhr. In der Wohnung befanden sich neben den drei Bewohnern auch sechs Gäste von der Berliner Initiative "Cowboys und Cowgirls für den Frieden". Da diese überraschend über Nacht gekommen waren, wusste Svenja Vieluf gar nichts von dem Besuch in ihrer Wohnung. Sie wurde kurz nach halb zehn wach, weil im Flur die Kripobeamten D. und G. mit dem Besuch diskutierten. Gast Markus Reuter fühlte sich "total überrumpelt" und bat die Beamten, vor die Tür zu gehen. Außer dem Transparent waren die unangemeldeten Personen ein Problem für die Polizei. Nach kurzer Diskussion und dem Angebot der Gäste, den "Sperrbezirk" zu verlassen, warnte Kriminalrat D. die Jugendlichen, er könne "noch keine Kooperation erkennen".
Mittlerweile war eine gut zwölf Mann starke "Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit" der Polizei in voller Kampfmontur in der Wohnung. Jetzt war auch die 23jährige Psychologiestudentin auf. D. bat sie, das Transparent zu entfernen. Es sei ein "Aufruf zur Gewalt" und er müsse Gefahren abwehren. Auch Vieluf verwies auf die Meinungsfreiheit. Er sagte, er könne das Transparent auf Grundlage des Polizeigesetzes entfernen, wollte aber keinen Paragrafen nennen. Wenn das Transparent nicht abgehängt würde, würde er die Wohnung stürmen und räumen lassen, und von nun an habe er die "Herrschaft" über die Wohnung.
Die Studentin beugte sich dem Druck, das Transparent wurde beschlagnahmt. Bewohner und Gäste wurden separiert. Von allen Anwesenden wurden die Personalien aufgenommen, dabei filmte man sie. Vieluf, noch im Nachthemd, durfte sich vorher nicht umziehen. Weil sie ein Telefongespräch nicht sofort abbrach, wurde ein generelles Telefon- und Rauchverbot ausgesprochen.
Markus Reuter berichtet: "Wir waren ziemlich geschockt, eine von uns weinte." Gegen elf Uhr versammelte Kriminalrat D. alle im Wohnzimmer und kündigte an, die Wohnung würde bis nach der Abreise des US-Präsidenten "besetzt" bleiben. Dann wurden die Gäste und deren Gepäck durchsucht, dabei wurde ein "Stoppt Bush"-Aufnäher gefunden und beschlagnahmt. Die Gäste und zwei Bewohnerinnen wurden getrennt aus der Innenstadt eskortiert. Der Bewohner Henning Henn blieb allein in der Wohnung, weil er eh nicht vorhatte, zur Demo zu gehen. Wegen seiner bewaffneten Bewacher kam er sich vor, wie die "zweitwichtigste Person nach Bush". Um 17 Uhr war auch für ihn und seine zwei Bewacher der Spuk vorbei.
Kein Einzelfall
Es gibt weitere Fälle. Am Gutenberg-Museum brach die Polizei gegen elf Uhr die Wohnung einer ehemaligen Polizistin auf, um ein Transparent mit der Aufschrift "Not welcome, Mr. Bush" zu entfernen. Ein vierter Fall soll auf Wunsch der betroffenen Personen nicht berichtet werden, "um keine schlafenden Hunde zu wecken". Allen Fällen ist gemein, dass die Bush-kritischen Transparente von den Staatsmännern und ihrem Pressetross zu sehen gewesen wären. Markus Reuter hat daher den Eindruck, dass die Polizei "scheinbar konsequent alle Bush-kritischen Transparente entlang der Fahrtstrecke beseitigt" hat. Vor der Studenten-WG hing stattdessen eine US-Flagge.
Auch Heinrich Comes sieht in den Ereignissen, wie ihm geschildert, "Versuche, der amerikanischen Regierung einen Gefallen zu erweisen". Der Kölner Rechtsanwalt findet, "dass es sich hier schlicht um einem Missbrauch polizeilicher Macht handelt". Das Transparent "Terror gegen Terror?" als Aufruf zur Gewalt zu bezeichnen, schien eine "bewusste Missinterpretation" zu sein, um eine Eingriffsvoraussetzung zu schaffen. Comes spricht von "demokratiefeindliche Tendenzen, die sich da breit machen". Handlungsgrundlage für die Polizei wäre ein Verstoß gegen §103 des Strafgesetzbuchs, also die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts.
Die Polizeiargumente, die Transparente stellten eine Gefahr dar, sind für den Erlanger Juraprofessor Max-Emanuel Geis jedoch mehrdeutig, und laut Urteil zum "anachronistischen Zug" des Bundesverfassungsgerichts dürfe von mehreren möglichen Auslegungen nicht automatisch die strafbare unterstellt werden. "Bei liberaler Auslegung der Grundrechte sind die Polizeimaßnahmen in allen drei berichteten Fällen nicht verfassungsgemäß", findet Geis, und ein "Verstoß gegen Meinungsäußerungsfreiheit" laut Grundgesetz.
Wie der leitende Mainzer Oberstaatsanwalt Klaus Puderbach mitteilte, seien die Inhalte der ersten beiden Transparente "harmlos". "Terror gegen Terror?" sei "nicht bekannt" und "dürfte freie Meinungsäußerung sein". Und obwohl auch das Motto der Demonstration "Not welcome, Mr. Bush" "ganz sicher kein Verstoß" und den ganzen Tag nicht beanstandet worden sei, brach die Polizei die Wohnung am Museum auf, um das Transparent zu entfernen.
Keine Anweisung?
Bleibt die Frage, wer die Polizeiaktion angeordnet hat? Dem Bundesinnenministerium ist von einer entsprechenden Anweisung "nichts bekannt" und verweist ans rheinland-pfälzische Innenministerium. Dort verweist man ans Polizeipräsidium Mainz, das die Einsatzleitung hatte. Das BKA gibt an, nur für den "unmittelbaren Personenschutz" zuständig gewesen zu sein. Es kam auch "ganz bestimmt keine Anweisung aus der Staatskanzlei", sagt Regierungssprecher Wolfgang Lembach.
René Nauheimer, Sprecher der Mainzer Polizei, sagt schließlich, es habe "keine Anordnung" gegeben. Eine Wohnung aufgebrochen zu haben, sei ein "Fehler" gewesen, für den man sich bereits entschuldigt habe. Der Schaden werde natürlich ersetzt. Die Berliner Gäste seien angesichts "versammlungsrechtlicher Auflagen" der Innenstadt verwiesen worden, weil sie sich unangemeldet in der Wohnung aufgehalten hatten und "offensichtlich der Demonstration zuzuordnen" gewesen seien. Insgesamt, so Nauheimer, sei die Polizeiaktion an diesem Tag durch "einzelne Beamte" teilweise leider zu einem "Selbstläufer" geworden.
Schuld war also das niedrigste Glied der Kette? Es sollte einen verwundern. Mittags in der unteren Wohngemeinschaft, in einer Minute, in der sich die Gemüter beruhigt hatten, sagte Kommissar G. den Studenten Martin Wejbera und Christian Mack, wenn Bundesinnenminister Otto Schily anordne, Bush solle keine negative Stimmung mitbekommen, würde das auch umgesetzt.
Mack hat "keinen Schock fürs Leben, aber es hat mein Demokratieverständnis von Deutschland ein bisschen erschüttert." Der Bewohner Henning Henn bezeichnet sich als überzeugten Demokraten und er hat auch "nichts gegen unser System. Wenn man das aber erlebt hat, zweifelt man schon am Rechtsstaat."
Die "unangemeldeten" Berliner Gäste sind empört, dass die Polizei mit Gefahrenabwehr argumentiert hat. "Dabei hätte es doch gereicht, unser Angebot anzunehmen, dass wir die Wohnung verlassen", findet Markus Reuter. "Sowas darf in einer Demokratie einfach nicht passieren, deswegen nutzen wir alle rechtlichen Mittel, die wir haben." In einem nächsten Schritt werden die Studenten vor dem Verwaltungsgericht Mainz Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit stellen. Freitag haben sie außerdem ihren Anwalt beauftrag, eine Strafanzeige zu prüfen.