Dante's Inferno
Zensurvermeidung durch Anknüpfen an die Hochkultur
Das Jahr 2010 begann für Liebhaber rätselgespickter, barbarischer Gewaltopern mit dem großartigen Darksiders sehr vielversprechend; nun hat auch Branchenriese EA mit einigem Hype Dante's Inferno veröffentlicht - wenige Monate, nachdem die Firma mit Tim Schafers Brütal Legend bereits einen denkbar unkonventionellen Beitrag zum Hack'n'Slay-Genre herausgebracht hatte. Jenes launige Abenteuer ersetzte das oft an die Welt der Sagen angelehnte Setting solcher Spiele kurzerhand durch ein buntes Sammelsurium von albernen und durchgeknallten, aber sehr unterhaltsamen Motiven aus klassischen Heavy-Metal-Songtexten und verblüffte, ähnlich wie auch einige Wochen später das inhaltlich eher genretypische Darksiders, vor allem mit einer offenen Spielwelt.
Dante's Inferno dagegen könnte kaum klassischer sein. Das Spiel lehnt sich thematisch an die "Göttliche Komödie" von Dante Alighieri an und lässt den Spieler einen Kreuzritter steuern, der auf der Suche nach seiner von marodierenden osmanischen Einheiten ermordeten Geliebten Beatrice als erster lebender Mensch die "Kreise der Hölle" betritt. Selbstverständlich versuchen wahre Legionen von verschieden Teufeln, Zombies, Feuerdämonen und ähnlich unheiligen Gesellen, den liebeskranken Ritter mit Gewalt daran zu hindern, immer weiter in den Ort endloser Qual vorzudringen. Gottlob hat dieser bereits nach kurzer Spielzeit Freund Hein persönlich niedergerungen und ihm die todbringende Sense entwunden, die ihm nun gute Dienste leistet, während er im weiteren Verlauf alles niedermäht, was ihm geifernd und grunzend entgegentorkelt.
Aber auch die Stärke seines Glaubens kommt ihm zu Hilfe und lässt ihn heilige Energie in Kreuzform schleudern, sodass er auch fliegendes Dämonengesocks in Asche verwandeln kann. Beide Waffenarten lassen sich durch die auf diese Weise eingesammelten Seelen aufwerten, und auch die Kämpfe selbst erinnern stark an den Referenztitel "God Of War" - durch die Kombination verschiedener Tasten werden verschiedenste Schlagfolgen und Bewegungsabläufe abgerufen, die alle sehr gut animiert wurden.
Auch sonst ist die grafische Komponente eine der Stärken des Spiels. Dante's Inferno nutzt dabei aber den alten Trick, dass die Figur nur über einen kleinen Teil der Spielwelt bewegt werden kann, also den vorgegebenen Pfad nicht verlassen kann, der sich durch die allerdings gigantischen Kulissen zieht, die stilistisch an Maler wie Bosch und Brueghel angelehnt sind. Trotz dieser räumlichen Einschränkung entsteht nicht das Gefühl, wie auf Schienen durch das Spiel gezogen zu werden, da immer wieder abgeschlossene Höllengrüfte eingebaut wurden, die ein etwas weitläufigeres Manövrieren ermöglichen, während man diverse Boss Fights übersteht, Geschicklichkeitsküren absolviert oder Rätsel löst.
Diese Rätsel in Hack'n'Slay-Games sind es seit jeher, an denen sich die Geister der Zockergemeinde scheiden - während sie dem erfahrenen Spieler meist nur ein müdes Lächeln abringen, verwandeln sie andere Menschen oft in ein das Spiel, die Programmierer und die eigene Konsole lautstark verfluchende Nervenbündel. Als Faustregel für ein gut ausgewogenes Rätsel sollte man veranschlagen, dass eine solche Passage durchaus zum entnervten Abschalten des Spiels führen darf, wenn es sich dann beim nächsten, mit frischem Geist unternommenen Versuch erschließt.
Das über weite Strecken extrem rätsellastige "Inferno" bietet zum einen wirklich gelungene Tricksereien wie das an die Bilder von M. C. Escher erinnernde Gebäude, das man mit dem ersten Schalter manipulieren muss, bis der Weg zum zweiten zugänglich wird, der nach einigen Versuchen Zugang zum nächsten Schalter gewährt. So etwas macht durchaus Spaß. Andere Hürden sind dagegen nur mit Glück oder Sturheit zu nehmen, was man grundsätzlich noch akzeptieren könnte. Wenn das Nichtlösen der Aufgabe allerdings dazu führt, dass man "stirbt" und der Wiedereinstiegspunkt so gesetzt ist, dass man nicht direkt am aktuellen Punkt wieder auftaucht, sondern immer wieder dieselben, bald langweiligen Schritte hinter sich bringen muss, um zur entscheidenden Stelle zu gelangen, nervt das angesichts des teilweise hohen Schwierigkeitsgrades. Schlau wäre es auch gewesen, ausgerechnet diese Handlungsabschnitte nicht mit dem sich stetig wiederholenden Gruselgelaber eines sich in der Nähe aufhaltenden Dämonen zu beschallen.
Das absolute Plus von Dante's Inferno sind dagegen die erstaunlichen Endgegner wie etwa die zu King-Kong-Dimensionen angeschwollene Königin von Saba, aus deren sich immer wieder öffnenden Brustwarzen ganze Schwärme ungetaufter Babys mit Sicheln angeflogen kommen.
Auch der Hang zu ausladender Blutrünstigkeit macht das Spiel für die im Allgemeinen nicht besonders zimperlichen Genrefreunde zu einem Highlight, wirkt aber nicht selbstzweckhaft, da sich Handlung und Ambiente komplett an der albtraumhaften Vorstellungswelt und Praxis des mittelalterlichen Christentums orientieren, sodass jede makabre Wendung und bizarre sexuelle Anspielung also durchaus ins Bild passt.
Erstaunlich, dass das Spiel ohne Zensurauflagen für Erwachsene freigegeben wurde. Das dürfte jedoch eher nicht daran liegen, dass man behördlicherseits die Fragwürdigkeit einer Anwendung von Jugendschutzprinzipien auf Erwachsenenmedien erkannt hätte. Vielmehr ist es wohl gar nicht so dumm, zensurträchtige Spiele auch zukünftig mit vom Kulturbetrieb anerkannten Titeln und Themen großer Literatur in Verbindung zu bringen. "Goethes Faust" könnte also das nächste Rätselgemetzel heißen, und vielleicht spielen wir schon bald einen Ego Shooter namens "Im Westen nichts Neues".