Darf man den Pegida-Hetzer Bachmann im Bundestag als Zeugen vernehmen?

Der Amri-Untersuchungsausschuss hat das mit den Stimmen von Grünen und AfD beschlossen, daran gibt es aber grundsätzliche Kritik: Das ist apolitisch - Ein Kommentar

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Was hat der Gründer der islam- und fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung ("Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes") Lutz Bachmann mit dem Terroranschlag auf dem Breitscheid in Berlin zu tun? Der parlamentarische Untersuchungsausschuss des Bundestages hat auf seiner letzten Sitzung am 7.November beschlossen, ihn als Zeugen zu vernehmen.

Um 20:02 Uhr war am 19. Dezember 2016 der Sattelschlepper auf den Weihnachtsmarkt gerast, zwölf Menschen starben, dutzende wurden schwer verletzt. Kurz danach war ein Pakistaner als Verdächtiger festgenommen, jedoch einige Zeit später wieder frei gelassen worden, er hatte mit der Tat nichts zu tun. Etwa zwei Stunden nach dem Anschlag hatte sich Bachmann per Twitter zu Wort gemeldet und geschrieben: "Interne Info aus Berliner Polizeiführung: Täter tunesischer Moslem. Dass der Generalbundeanwalt übernimmt, spricht für die Echtheit."

Dass der Tunesier und erklärte Islamist Anis Amri der Täter gewesen sein soll, soll sich erst um die Mittagszeit des Folgetages herausgestellt haben, als die Ermittler im und am LKW zwei Mobiltelefone, ein Portemonnaie und eine Duldungsbescheinigung der Ausländerbehörde Kleve fanden, die Amri gehörten. Öffentlich bekannt wurde das noch einmal etwa einen Tag später.

Damit stellen sich mindestens zwei Fragen: Verfügte Bachmann am 19. Dezember über Insider-Informationen? Und wusste auch die Polizei schon früher als offiziell, dass Amri etwas mit dem Ereignis zu tun hatte?

Bachmann hat seinen Tweet später wieder gelöscht und durch folgenden ersetzt: "Liebe Presse, ich gebe zu, ich hatte natürlich nur meine Glaskugel und keinen Informanten! Und jetzt bitte Ruhe geben, ok?" Dennoch bleibt die Frage, warum der Islamfeind richtig lag, zumindest gemessen an der offiziellen Version vom alleinigen Täter Amri: Reiner Zufall oder doch mehr?

Der Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestages stellt Zeugen aus der Polizei immer wieder die Frage, wie Bachmann auf den "tunesischen Moslem" als Täter gekommen sein könnte, ob die Ermittler der Spur nachgegangen sind oder was sie zumindest darüber gedacht haben. Die Antworten: Sie wüssten nicht, wie Bachmann zu diesem frühen Zeitpunkt auf einen solchen Täter kam; Ermittlungen dazu seien keine angestellt worden; seltsam sei ihnen der Tweet aber schon vorgekommen.

Jetzt will der Ausschuss diese Fragen von dem Urheber persönlich beantwortet haben. Darüber ist eine politische Diskussion ausgebrochen, die etwas Grundsätzliches hat. Die Initiative für die Zeugenladung ging von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus. Die Fraktionen von Linke, SPD und FDP waren eigentlich dagegen, enthielten sich aber aus Solidarität mit den grünen Kollegen, ebenso die Unionsfraktionen. Die islam- und fremdenfeindliche AfD dagegen stimmte bereitwillig dafür. Damit kann Bachmann geladen werden.

Der SPD-Abgeordnete Fritz Felgentreu erklärte, es handle sich um eine "unkluge Vernehmung", mit der einem "widerwärtigen Rechtsextremisten" im Bundestag eine "große Bühne" geboten werde, ohne dass "großartige Erkenntnisse" zu erwarten seien. Ähnlich sieht es Martina Renner (Linke): Bachmann werde in der Sache keine ehrliche Antwort geben, stattdessen bestehe die Gefahr, dass er die Sitzung für rassistische Reden nutze.

Die Argumentation ist aus dem NSU-Komplex bestens bekannt und wurde in diversen damaligen Untersuchungsausschüssen vertreten: Keine Zeugenladung von Neonazis oder Neonazis, die V-Männer waren, um ihnen keine Bühne zu geben. Eine Haltung, die politisch sein sollte und sein will, tatsächlich aber kleingeistig und apolitisch ist.

Nachdem in den ersten NSU-Ausschüssen tatsächlich keine Neonazis befragt wurden und sich die Gremien damit selber der Möglichkeit beraubten, V-Leute in die Mangel zu nehmen, änderten die Parlamente später - vor allem unter dem Eindruck des Münchner Prozesses - ihre Haltung. In mehreren Ausschüssen wurden Neonazi-Zeugen vorgeladen: beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hessen, Thüringen, Brandenburg - und das durchaus mit Erkenntnisgewinn.

Zunächst konnte man feststellen, dass den Kandidaten die öffentliche Vorführung eher unangenehm war. Manche verschleppten ihren Auftritt oder mussten gar von der Polizei vorgeführt werden. Statt Propaganda abzusondern, flüchteten sie sich dann in Erinnerungslücken oder mussten gar Lügen riskieren. Abgesehen davon stellen rechtsextreme Äußerungen auch einen Beweiswert über die jeweilige Person dar. Entlarvung von Absichten gehört mit zur politischen Aufklärung.

Deutlich wurde aber vor allem: Wie weit ein Rechtsextremist gehen kann, hängt ganz wesentlich von den Abgeordneten selber ab. Davon, wie gut sie vorbereitet sind, wie sie die Akten kennen, wie sie fragen, welchen Spielraum sie den Zeugen lassen. Bei den Auftritten beispielsweise von Tino Brandt, Sven Rosemann, Markus F., Stephan Lange, Jug Puskaric, Corinna G., Uwe Menzel, Toni Stadler, Carsten Szczepanski konnte man sowohl Aufschlussreiches über die Szene erfahren wie über den Sicherheitsapparat, Polizei und Verfassungsschutz. Der Prozess in München konnte gar nicht ohne solche Vernehmungen auskommen. Dort hätte man sich eher noch mehr Neonazis oder Neonazi-V-Leute im Zeugenstand gewünscht.

Aufklärung oder politische Korrektheit?

Rechtsextremisten im Bundestag keine Bühne geben? Das verkennt, dass sie sich längst mitten im Parlament bewegen - in Gestalt der AfD nämlich, die schon in U-Ausschüssen zum NSU-Skandal saß und jetzt in U-Ausschüssen zum Breitscheidplatz-Anschlag sitzt. Sie ist das institutionelle Original des Rechtsextremismus. Allerdings: Dabei lässt sich nun sehr gut beobachten, dass die Vertreter dieser Partei eben nicht zu großer fremdenfeindlicher Propaganda in den Ausschusssitzungen in der Lage sind, wenn die kritisch gesinnten Abgeordneten die Agenda durch ihre Fragen bestimmen. Beatrix von Storch, AfD-Parteiadel, hat die Bühne des Amri-Ausschusses im Bundestag für ihre Zwecke zwar angestrebt, aber eben nicht bekommen und den Ausschuss inzwischen wieder verlassen.

Soll man einen "widerwärtigen Rechtsextremisten" als Zeugen befragen? Die Frage ist falsch gestellt, wie ihre Umkehrung zeigt: Soll man jemanden nicht als Zeugen befragen, weil er ein "widerwärtiger Rechtsextremist" ist? Einfache Antwort: Wahrheit kann man sich nicht aussuchen, sie ist nicht immer attraktiv und hübsch. Zumal Sonderregeln für Rechtsextreme ein Messen mit zweierlei Maß wäre, denn auch so mancher Beamte z.B. des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist in diesem Ausschuss in unerträglicher Weise mit der Wahrheit umgegangen.

Die Frage ist, was man will: Aufklärung oder politische Korrektheit. Auf Aufklärung im Interesse politischer Korrektheit zu verzichten, wäre eine fruchtlose Vermischung zweier unterschiedlicher Fragen. Und die Frage, ob Lutz Bachmann, der Pegida-Anführer, Informationen über den angeblichen oder unter Umständen auch gewünschten Täter vom Breitscheidplatz hatte, stellt sich seit einigen Wochen mit neuer Brisanz. Vor dem Untersuchungsausschuss im Bundestag erklärte Ende September ein Kriminalbeamter des Düsseldorfer LKA, er habe bereits am frühen Morgen des 20. Dezember 2016 in der Dienststelle erfahren, dass der Täter Anis Amri gewesen sein soll. Also viele Stunden bevor das offiziell festgestanden haben soll (Stand Amri bereits kurz nach dem Anschlag als Täter fest?).

Und wenn die Polizei möglicherweise direkt nach dem Anschlag wusste, welche Person oder welche Personen dabei waren, dann kann auch Bachmann darüber informiert gewesen sein. Dann wäre er sogar ein Zeuge für eine Verstrickung der Polizei. Unter diesem Vorzeichen wird der Mann sicher nicht gerne in seine öffentliche Befragung gehen.