Darwins islamische Vorfahren
Seite 2: Im 13. Jahrhundert erkannte ein persischer Philosoph die Verwandtschaft von Mensch und Affe
- Darwins islamische Vorfahren
- Im 13. Jahrhundert erkannte ein persischer Philosoph die Verwandtschaft von Mensch und Affe
- Auf einer Seite lesen
Eine These, mit der sich auch heutige Kreationisten - gleich ob christlich oder muslimisch - noch immer nicht anfreunden könnten, stellte im 13. Jahrhundert ein persischer Philosoph auf: die Verwandtschaft zwischen Mensch und Affen.
In seinem Werk "Akhlaq-i Nasiri" (Arbeit über die Ehtik) ergründet Nasir al-Din al-Tusi die moralische, wirtschaftliche und politische Dimension des Menschseins. Seiner Überzeugung nach führe eine kontinuierliche Entwicklung von den kleinsten Bausteinen der Welt bis hin zur spirituellen Perfektion des Menschen. Ein Teil dieser Entwicklung beschreibt er folgendermaßen:
Solche Menschen [gemeint sind wahrscheinlich Menschenaffen] leben im westlichen Sudan und anderen entfernen Ecken der Welt. Sie sind in ihrem Gewohnheiten, Handlungen und Verhalten den Tieren ähnlich. … Der Mensch hat Eigenschaften, die ihnen von anderen Kreaturen unterscheiden, aber er hat andere Eigenschaften, die ihn mit der Tierwelt, dem Reich der Pflanzen oder gar mit unbelebten Körpern vereinen. … All diese Fakten belegen, dass das menschliche Wesen auf die mittlere Stufe der evolutionären Treppe gesetzt wurde. Seiner ihm innewohnenden Natur zufolge, ist der Mensch verbunden mit niederen Wesen und nur mit der Hilfe seines Willen kann er ein höhere Entwicklungsstufe erreichen.
Nasir al-Din al-Tusi
Der einmaligen Schöpfung setzten islamische Denker die kontinuierliche Entwicklung des Lebens entgegen
Rund 100 Jahre nach al-Tusi erblickte ein Mann die Welt, der bis heute in der islamischen Welt als einer der größten Philosophen der Geschichte gilt: Ibn Khaldun. Der nordafrikanische Gelehrte gilt wahlweise mal als Erfinder der Soziologie, der Politikwissenschaft oder Geschichtswissenschaft und fehlt mutmaßlich auch auf keinem türkischen Lehrplan.
Auch Ibn Khaldun war überzeugt, dass sich der Mensch "aus der Welt der Affen" entwickelt habe. In seinem 1377 fertiggestellten Hauptwerk Muqaddimah (Einleitung) beschreibt er den Mensch nicht nur als von Natur aus politisches Wesen, sondern ordnet seine Existenz auch in eine kontinuierliche Entwicklung des Lebens ein:
Sodann sieh Dir die Schöpfung an. Wie es beginnt bei den Mineralien und wie es übergeht zu den Pflanzen und dann in schönster Weise und stufenweise zu den Tieren. Das Ende der Stufe der Mineralien ist verbunden mit dem Anfang der Stufe der Pflanzen. So sind die Dinge am Ende der Mineralienstufe verbunden mit Kraut und samenlosen Pflanzen, die sich auf der ersten Stufe der Pflanzenwelt befinden. Dattelpalme und Weinrebe, welche das Ende der Pflanzenwelt markieren, sind verbunden mit Schnecken und Schaltieren auf der ersten Stufe der Tierwelt, die nur den Tastsinn haben.
In dieser Welt der Schöpfungen und Entstehungen bedeutet dieses "Verbunden-Sein", dass die Dinge auf der letzten Stufe einer Gruppe das Potenzial haben sich in die Dinge auf der ersten Stufe der nächsten Gruppe hin zu entwickeln. So breitete sich die Tierwelt aus, die Zahl der Tierarten nahm zu, und der stufenweise Prozess der Schöpfung führte schließlich zum Menschen, der zu denken und zu reflektieren vermag. Diese höhere Stufe des Menschen wurde erreicht aus der Welt der Affen, die zwar Klugheit und Wahrnehmung haben, aber noch nicht das Vermögen des aktuellen Denkens und Reflektierens ereicht haben. An diesem Punkt ist die erste Stufe des Menschen erreicht. Dies ist der letzte Stand unserer Beobachtungen.
Ibn Khaldun
In Europa schrieb man von der "Mohammedanischen Theorie der Evolution"
Auch in Europa blieben die islamischen Theorien über die Entstehung des Lebens nicht unbekannt. 1874 schrieb der britische Naturwissenschaftler John William Draper in seinem Werk "History of the Conflict Between Religion and Science" von einer "Mohammedanischen Theorie der Evolution", nach der sich "der Mensch von niederen Formen… zu seinem heutigen Zustand im langen Zeitverlauf" entwickelt habe. Gemeint hatte Draper wahrscheinlich Ibn Khalduns Lehre aus dem 14. Jahrhundert.
15 Jahre zuvor hatte Charles Darwin sein "On the Origin of Species" veröffentlicht, dass gemeinsam mit den Regeln Gregor Mendel bis heute unsere Annahme von der Entwicklung des Lebens prägt. Es wäre irreführend, die empirisch akribisch belegte dieser beiden Naturwissenschaftler mit den den eher philosophischen "Evolutionstheorien" islamischer Denker zu vergleichen. Und es auch nichts darüber bekannt, dass Darwin direkt von dem Werk seiner islamischer Denker beeinflusst wurde.
Dennoch waren es nicht zuletzt islamische "Aufklärer" wie Ibn Khaldun und viele andere, die Europa aus seiner religiös-mittelalterlichen Lethargie hinein in die wissenschaftsfreundliche Neuzeit verhalfen. Ob in Philosophie, Medizin, Mathematik oder eben auch Biologie: Europäische Denker bedienten sich ausgiebig am Wissensschatz der mittelalterlichen islamischen Welt; die wiederum stark von der antiken Tradition Europas profitierten. Politiker, die dieses gemeinsame Erbe leugnen, um ungeliebte wissenschaftliche Erkenntnisse zu stigmatisieren, sollten am besten selbst noch einmal die Schulbank drücken.