Das Attentat auf Salman Rushdie
Nach dem Angriff auf den Schriftsteller: Für die Atomverhandlungen mit dem Iran wird es noch schwerer, aus der Sackgasse zu kommen.
Er sei jedes Mal mit einem Gesichtsausdruck erschienen, als sei dies der schlimmste Tag seines Lebens, sagte der Betreiber eines Box-Clubs dem amerikanischen Nachrichtensender CNN. Am Freitag sorgte der 24-Jährige mit der sauren Miene für den furchtbarsten Tag im Leben des Schriftstellers Salman Rushdie und stach gleichzeitig den Atomverhandlungen zwischen den fünf ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats sowie Deutschland und dem Iran tief ins Herz.
Denn der in Indien geborene Rushdie ist Autor des Ende der 1980er Jahre veröffentlichten Buchs "Die satanischen Verse". Rushdie sorgte damals für Aufruhr in der islamischen Welt, in der viele das Werk für blasphemisch hielten. Der damalige iranische Ajatollah Ruhollah Khomeini nutzte die Gelegenheit, um seinen Führungsanspruch in der schiitischen Welt zu untermauern, und erließ eine Fatwa gegen Rushdie: Es sei die Pflicht eines jeden Muslims, Rushdie zu töten.
Bei den meisten islamischen Religionsgelehrten und bei einem Großteil der muslimischen Öffentlichkeit stieß das Todesurteil auf tiefe Ablehnung: Es sei, so die einhellige Meinung, gemäß Scharia illegal, einen Menschen ohne Gerichtsverfahren zum Tode zu verurteilen.
Doch die Proteste waren da schon in vollem Gange: Das Buch wurde in 13 Ländern mit großem muslimischem Bevölkerungsanteil verboten, es kam zu Demonstrationen, Buchverbrennungen und Angriffen auf Buchhandlungen und Übersetzer. 1989 wurde in London ein Bombenanschlag auf Rushdie verübt; der Schriftsteller kam unverletzt davon.
Schon kurz darauf setzte eine 30 Jahre lang währende Ruhe ein, die Rushdie dazu brachte, sich zunehmend freier und ohne Body Guards zu bewegen. Bei der Veranstaltung im Bundesstaat New York, bei der am Freitag auftreten wollte, gab es nicht einmal Einlasskontrollen. Ein fataler Fehler.
Nach aktuellem Stand geht die Polizei davon aus, dass der Täter allein gehandelt hat. Doch sein, mittlerweile abgeschaltetes, Facebook-Profil deutet auf eine tiefe Verehrung von Ajatollah Chomeini und seinem Nachfolger Ali Chamenei sowie der iranischen Revolutionsgarden hin. Und lässt die Vermutung zu, dass der militante Revolutionsgedanke, wie er von Chomeini vertreten wurde, auch außerhalb des Iran immer noch Unterstützer hat.
Denn zwar unterstützen die Revolutionsgarden im Jemen, in Syrien, im Gazastreifen und im Libanon militante Gruppen wie die Houthi-Milizen oder die Hisbollah. Doch dabei geht es um klar definierte politische und strategische Ziele: Man strebt nach internationalem Einfluss und damit auch nach mehr Macht im Inneren. Die hochgerüsteten Revolutionsgarden sind der eigentliche Machtfaktor in der Islamischen Republik; ohne ihren Segen können weder Ajatollah noch die Regierung handeln.
Extremistische Gruppen, die sich verselbstständigen
Doch schon in den Monaten zuvor trugen sich Ereignisse zu, die nicht direkt von den Revolutionsgarden gesteuert wurden: In Israel verübte der Islamische Dschihad eine Serie von Anschlägen, bevor Israels Militär in der palästinensischen Stadt Jenin einen der Anführer festnahm und am vergangenen Wochenende aus der Luft mehr als 100 Einrichtungen der Gruppe im Gazastreifen angriff.
Der Islamische Dschihad wurde Anfang der 1980er Jahre unter dem Einfluss der Islamischen Revolution im Iran gegründet und strebt neben der Zerstörung Israels auch die Bildung eines palästinensischen Staats nach iranischem Vorbild an. In der politisch diversen palästinensischen Öffentlichkeit hat dieses Konzept keine Mehrheit.
Im Zuge der Kampfhandlungen gelang es dem Islamischen Dschihad, mehr als 1.000 Raketen auf Israel abzufeuern. Wie die Gruppe im von Israel und Ägypten streng kontrollierten Gazastreifen an so viele Raketen gelangt ist, darüber wird auch heute noch spekuliert.
Die Anzeichen mehren sich, dass sich die von den Revolutionsgarden gesteuerten Gruppen und die von den Ideologen gestreute Ideologe mit all den damit verbundenen mithilfe des Iran beschafften Waffen verselbstständigt, getrieben von einem Gefühl der Marginalisierung durch den Westen.
Es ist heiß, es herrscht Nahrungsmittelknappheit im Nahen Osten und in vielen Ländern auch politisches Chaos oder zumindest politische Unsicherheit. "Der Westen ist schuld", ist eine in diesen Tagen oft gehörte einfache Antwort für komplizierte Probleme.
Die Fatwa: Aufgehoben wurde sie nie
"Für diesen feigen Anschlag trägt das iranische Mullah-Regime auch Verantwortung. Das sollte jeder wissen, der normale Beziehungen mit diesem Regime will", twitterte Omid Nouripour, Co-Vorsitzender von Bündnis 90 / Die Grünen. Und tatsächlich war die Fatwa seit Langem aus dem Bewusstsein von Öffentlichkeit und Politikern im Iran verschwunden.
Doch aufgehoben worden war sie nie – im Gegenteil: Noch 2019 wurde über den Twitter-Account Chameneis verbreitet, die Fatwa gegen Rushdie stehe "fest und unwiderruflich". Die 15. Chorasan-Stiftung hatte schon in den 1990er Jahren ein Kopfgeld ausgelobt, das zuletzt drei Millionen US-Dollar erreichte. Ursprünglich war diese Organisation gegründet worden, um Veteranen der Islamischen Revolution und deren Familien finanziell unter die Arme zu greifen.
Aber nun hat das Attentat die iranische Führung auf dem falschen Fuß erwischt: Die Führung äußerte sich nicht, nur einige den Erzkonservativen nahestehende Zeitungen machten mit martialischen Titeln auf. Das Atomabkommen ist schon wegen des Kriegs in der Ukraine am Straucheln, während Armut und Inflation im Iran von Tag zu Tag steigen.
Während Präsident Ebrahim Raeissi, ein ehemaliger Richter, der Ende der 1980er Jahre gut 5.000 Menschen zum Tode verurteilt haben soll, seit einem Jahr weitgehend erfolglos zu regieren versucht und dabei seit einigen Monaten auf die Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin setzt, hoffen viele in der Verwaltung auf eine erneute Öffnung nach Westen, zumal Ajatollah Chamenei 83 Jahre alt ist.
Doch eine Annäherung droht jetzt in noch weitere Ferne zu rücken, zu stark ist das Signal aus der dunklen Vergangenheit der Islamischen Republik. Man müsse sich die Frage stellen, ob die Atomverhandlungen nicht in eine Sackgasse führen, twitterte Rishi Sunak, Kandidat für das Amt des britischen Premierministers, und auch aus den USA waren ähnliche Ansichten zu lesen.