Das Aufbrechen verkrusteter Strukturen braucht Zeit

Die Ditib und der Bau der Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld

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Wenn man in Köln-Ehrenfeld an der Venloer Str. Ecke Innere Kanalstr. steht, erschreckt sich der eine oder andere vor dem Rohbau der neuen Moschee. Denn im Rohbauzustand ähnelt es eher einem Atommeiler als einer Moschee. Trotz des Atomausstiegs kann es sein, dass der Kölner noch eine gewisse Zeit mit diesem Anblick leben muss. Ob die Moschee in naher Zukunft überhaupt zu Ende gebaut werden kann, steht in den Sternen.

Als vor einigen Wochen bekannt wurde, dass die Türkisch-Islamische Union (Ditib) ihren Vertrag über den Bau der Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld mit den bekannten Kölner Architekten Paul Böhm gekündigt hat, lud die Ditib zu einer Pressekonferenz, die anschließend für große Irritationen sorgte. Nicht nur wurden auf dieser Pressekonferenz keine kritischen Fragen gestattet, es herrschte auch ein rauher Ton seitens der Ditib-Vertreter. Die anwesenden Journalisten waren irritiert und hatten kein Verständnis für diese seltsame Pressekonferenz.

Wie abhängig ist die Ditib von Anweisungen aus der Türkei?

Es war ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte der peinlichen Pressearbeit muslimischer Verbände in Deutschland. Zu Recht stellten sich die Journalisten nach dieser denkwürdigen Pressekonferenz die Frage, was innerhalb der Ditib vor sich geht.

Für den Architekten Böhm und für die Kölner SPD-Politikerin Lale Akgün ist die Lage klar: Der neue Vorstand unter dem Vorsitz des in Deutschland promovierten Theologen Ali Dere fahre einen "konservativen" und "traditionalistischen" Kurs und gefährde somit das Moscheebauprojekt in Köln-Ehrenfeld. Zudem sei die Ditib über die staatliche Religionsbehörde an die AKP-Regierung in der Türkei gebunden.

Die Ditib ist ja in der Türkei direkt dem türkischen Ministerpräsidenten unterstellt und ist dadurch natürlich völlig abhängig von der politischen Großwetterlage, und wenn sich dort die Stimmung sehr viel konservativer gestaltet, schlägt das bis zu uns nach Köln durch.

Lale Akgün

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Ist der neue Vorstand wirklich so "konservativ", dass sie soweit geht, das Prestigeprojekt in ein schlechtes Licht zu rücken und somit zu gefährden?

Mittlerweile sind einige Tage vergangen und der Moscheebeirat um den ehemaligen Bürgermeister Fritz Schramma bemüht sich um eine Schlichtung zwischen den verschiedenen Parteien. Auch von Seiten der Ditib ist ein versöhnlicher Ton zu vernehmen. In der provisorischen Zentrale in direkter Nachbarschaft zur Baustelle lud der stellvertretende Vorsitzende Orhan Bilen Anfang vergangener Woche Journalisten zu einem Mittagessen ein. Er wirkt gelassen und versucht gegenüber einem Journalisten eines Lokalblattes die Wogen zu glätten.

"Die Pressekonferenz war von unserer Seite nicht gut vorbereitet", gesteht Bilen. Man hätte in so einer heiklen Angelegenheit mehr Fingerspitzengefühl beweisen müssen. Dass man die Presseerklärung durch die Pressesprecherin Ayse Aydin lediglich verlesen habe, ohne weitere Erläuterungen oder Einführung seitens eines Vorstandsmitglieds, sei ein Fehler gewesen.

Ein Problem des neuen Vorstands?

An ihrer grundsätzlichen Kritik an Böhm hält die Ditib aber fest. Man habe bereits vor einigen Monaten die Gutachter damit beauftragt, die Baumängel festzuhalten. Auf der Baustelle hätten die Gutachter gemeinsam mit Böhm in akribischer Arbeit die Mängel aufgelistet, betont der Architekt Orhan Gökkus, der im Auftrag der Abteilung Bauwesen und Liegenschaften der Ditib arbeitet.

Gökkus leitet die Bauarbeiten vor Ort. Im Büro der Bauleitung im Rohbau erklärt er, dass die Idee einen Gutachter damit zu beauftragen, die Baumängel aufzulisten, nicht vom Vorstand der Ditib, sondern von ihm selber kam. "Das war auch eigentlich im Sinne des Architekten Böhm gedacht, um frühzeitig Fehler zu beheben und somit eine weitere Kostenexplosion zu verhindern", erklärt Gökkus. Von einem Baustopp ist momentan nicht die Rede. Die Arbeiten laufen wie gewohnt weiter.

Böhm wehrt sich gegen die Vorwürfe und sein Anwalt Frank Siegburg spricht gar von einer "kölschen Baufinanzierung". Die Kommunikation zwischen dem Büro Böhm und dem neuen Vorstand sei bei weitem nicht so gut gewesen wie mit dem alten Vorstand. Böhm fühlt sich daher ausgegrenzt und hat das Gefühl, dass der neue Vorstand ihn mit einem Vorwand loswerden wolle. Man spürt in der Ditib-Zentrale, dass man um Wiedergutmachung bemüht ist.

Nach dem Supergau auf der Pressekonferenz ist eine demonstrative Transparenz zu beobachten. Orhan Bilen präsentiert im Konferenzraum der Ditib drei große Ordner mit den Gutachterberichten und auch den Gesprächsprotokollen von den Treffen mit Böhm. Er will damit deutlich machen, dass die Mängel den verschiedenen Parteien nicht erst seit kurzem bekannt seien, sondern der Konflikt schwele schon seit einiger Zeit.

Unterschiedliche Kräfte

Dass es innerhalb der deutschen Ditib-Strukturen verschiedene Fraktionen gibt, ist nichts Neues. Innerhalb des Verbands gibt es sowohl einen nationalistischen Flügel, der sich gerne den eigenen Leuten in den Weg stellt, die die Strukturen aufbrechen wollen. Genauso gibt es aber auch eine Fraktion, die sich den gesellschaftlichen Realitäten in Deutschland anpassen will.

Ali Dere und den neuen Vorstand als "konservativ" oder "traditionalistisch" zu etikettieren, ist eine unnötige und wenig hilfreiche Politisierung und Ideologisierung der aktuellen Debatte um die Ditib im Rahmen der Moscheebauproblematik in Köln, die durch die Äußerungen von Böhm und Akgün forciert wird. Ali Dere promovierte 1994 in Göttingen und lehrte einige Jahre an der Universität Ankara. Er gehört der Gruppe von progressiven Reformtheologen an, die als "Ankara Schule" bekannt geworden ist.

Hier von einem konservativen Vorstand zu sprechen, der einen modernen Moscheebau verhindern wolle, zeugt entweder von Unkenntnis oder von einer bewussten Politisierung dieses Themas. Ali Bas, der 2007 mit anderen Muslimen innerhalb von Bündnis90/Die Grünen in NRW den "Arbeitskreis Grüner MuslimInnen" gründete, hat eine differenzierte Einschätzung von DITIB-Gemeinden.

In manchen Vorständen sitzen ältere Leute, die ausschließlich aufgrund ihrer Herkunftsregion in der Türkei da rein gewählt werden. Oft beherrschen diese Personen die deutsche Sprache nicht gut und haben Probleme damit, mit der Öffentlichkeit um sie herum umzugehen, was die Arbeit auf kommunaler Ebene nicht leichter macht.

Die junge Generation sieht durchaus kritisch, dass immer noch Funktionäre innerhalb der Ditib arbeiten, die sofort stramm stehen, wenn der Ruf aus Ankara kommt. Dies war beim alten Vorstand allerdings stärker der Fall als beim aktuellen. Gerade der neue versucht, die verkrusteten Ditib-Strukturen mit Leben zu füllen und einen eigenständigen Weg einzuschlagen.

Beamtenmentalität und Strammstehen vor der Zentrale: Ditib in der Vergangenheit

Ein junges Ditib-Mitglied, der in der Ditib sozialisiert wurde und namentlich nicht genannt werden möchte, hat große Hoffnungen in den neuen Vorsitzenden Ali Dere. Unter dem alten Ditib-Vorstand, der die Arbeit lange Jahre geprägt hatte, sei es für junge engagierte Muslime schwierig gewesen, ihre Ideen einzubringen: "Der frühere Vorsitzende Mehmet Yildirim hatte unsere Gemeinde sogar damit gedroht, den Imam abzuziehen", erzählt er.

Der Grund für diese Drohung war ein Arbeitskreis auf lokaler Ebene, wo Vertreter der lokalen Ditib-Gemeinde gemeinsam mit den Gemeindevertretern anderer muslimischer Organisationen einen Arbeitskreis gegründet hatten, um verschiedene Projekte gemeinsam mit der Stadtverwaltung zu realisieren.

Als die Ditib-Zentrale in Köln davon Wind bekam, wurde die betroffene Gemeinde in diesem Ort zurückgepfiffen und ihnen untersagt, mit anderen muslimischen Gemeinden zusammenzuarbeiten. Unter dem neuen Vorstand sei dies anders. Die Haltung gegenüber den anderen Verbänden sei lockerer geworden, betont der junge Mann. "Wir haben größere Freiheiten und können auf lokaler Ebene eigenständig handeln."

Dieser Vorfall beschreibt sehr gut die Ditib-Strukturen der Vergangenheit. Eine Beamtenmentalität prägte die alltägliche Arbeit, sodass die Gemeinden vor Ort kaum eigenständig arbeiten konnten, sondern für jede Kleinigkeit das OK der Zentrale brauchten. Aber auch da sieht man ein Umdenken besonders bei den jungen, hier aufgewachsenen Muslimen: Sie wollen eben nicht der verlängerte Arm eines türkischen Ministeriums sein, sondern eigenverantwortlich in Deutschland Dienstleistungen für die hiesigen Muslime anbieten.

Eine Emanzipation ist nötig, aber auch schon im Gang, meint Ali Bas.

In einigen anderen DITIB-Gemeinden hat bereits der Generationenwechsel stattgefunden und es sitzen dann Leute mit solider Bildung und perfekten deutschen Sprachkenntnissen in den Vorständen. Diese verlangen dann von den ihnen zugeteilten Geistlichen aus der Türkei mehr, als bloß das Leiten der fünf Gebete und das Verlesen der Freitagspredigt. In einem mir bekannten Fall musste der Geistliche deswegen sogar ausgetauscht werden.

Eine neue Generation

Für Bas ist das ein Hinweis darauf, dass das System der Import-Imame, die alle 4 Jahre vom türkischen Staat ausgetauscht werden, seine Schwächen habe.

Ali Bas ist nur ein Beispiel für die Generation junger Muslime in Deutschland, die den Wandel vorantreiben. Eine rein türkisch orientierte muslimische Organisation hat bei ihnen auf Dauer keine Überlebenschance, denn die muslimische Community in Deutschland ist bunter, als die Öffentlichkeit und einige Verbandsfunktionäre es wahrhaben will.

Zwar dominieren die türkischstämmigen Muslime das öffentliche Bild, aber auch die türkischstämmigen Muslime drängen auf eine Veränderung des organisierten Islam. Aus einem islamischen Verständnis heraus ist es nicht zu erklären, dass sich eine Organisation, die sich an die Muslime in Deutschland wendet, nur auf eine ethnische Gruppe konzentriert.

Nach ihrem Verständnis ist der Islam eben keine Kultur, weder eine türkische noch eine arabische. Die größte Herausforderung der Ditib ist daher nicht etwa der Bau von repräsentativen Moscheen, sondern sie muss es in erster Linie schaffen einen Wandel zu forcieren, sodass sie klar in Deutschland verortet ist und somit nicht länger ein "Fremdkörper" für die hier lebenden Muslimen darstellt.

Die permanente Auslandbindung dieses Verbands ist langfristig schädlich für das Entstehen einer einheimischen muslimischen Identität. Das gilt nicht nur für Ditib, sondern gleichermaßen für sämtliche Organisationen, die eine ethnische Basis haben.

In der Vergangenheit mag der Rückgriff auf die Unterstützung der Heimatländer sinnvoll gewesen sein, denn wie hätte sich ein erheblicher Teil der praktizierenden Muslime ansonsten gemeinschaftlich organisieren können?

Heute ist die Lage jedoch anders. Die teilweise straffen, zentralistischen Strukturen sind überholt. Um junge Muslime, die die künftigen Gemeinden stellen werden, nicht zu verprellen, dürfte eine Generalüberholung nötig sein. Die zentralistischen Strukturen hemmen die lokale Unabhängigkeit und Flexibilität der Moscheegemeinden. Bas erklärt:

Nicht selten werden gerade junge Leute der Gemeinde mit Ideen von solchen Vorständen dann kaum ernst genommen, was tragisch ist, wenn man sich mal den Altersdurchschnitt in den Moscheen anschaut.

Der neue Ditib-Vorsitzende, Ali Dere, steht entgegen der Äußerungen einiger Personen im Kontext der Moscheebauproblematik in Köln nicht für die alte Beamtenmentalität der bisherigen Funktionäre. Vielmehr ist bei ihm der Wille zu erkennen, die Strukturen seines Verbandes der gesellschaftlichen Realität der hiesigen Muslime anzupassen.

Sämtliche Dinge des organisierten Islam in Deutschland sind im Fluss

Die aktuellen Vorstandsmitglieder sind etwa allesamt Akademiker, was früher nicht der Fall war. In den früheren Vorständen zählte nicht die Qualifikation, sondern eher die Abstammung. Vetternwirtschaft war verbreitet. Ehemalige Ditib-Funktionäre schleusten reihenweise Familienmitglieder ein und besorgten ihnen Positionen innerhalb der Ditib-Maschinerie.

Es braucht Zeit, die seit über 20 Jahre im Apparat vorherrschende Mentalität zu ändern. In dem man aber unbedacht dem neuen Vorstand per se das Label "konservativ" oder "traditionalistisch" verpasst, tut man weder dem Moscheebauprojekt einen Gefallen, noch dem Wandel innerhalb der Ditib.

Sämtliche Dinge des organisierten Islam in Deutschland sind im Fluss. Das erkennt man nicht nur in den anderen, großen Verbänden, wo eine neue Generation junger Muslime, die hier geboren und sozialisiert sind und sich eher Deutschland als der Türkei zugehörig fühlt, teilweise in die entscheidenden Positionen kommt und damit einen Wandel einleitet. Das macht auch vor der Ditib nicht halt. Dieser Wandel braucht aber Zeit, denn die Mühlen innerhalb solcher Organisationen mahlen langsam. Besonders bei der Ditib ist es eine mühsame Arbeit für die jungen Muslime.