Fake-News-Alarm! Wie Telepolis ins Visier proukrainischer Propaganda geriet
Vorwürfe von proukrainischer Seite. Verbindungen zu Aktivisten in München. Was das mit unserer freien Gesellschaft zu tun hat – und was Sie dafür tun können.
Seit Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine ist viel von Desinformation aus Moskau die Rede. Sucht man im Internet nach der neuen Gefahr aus Moskau, stößt man meist auf staatliche oder staatlich finanzierte Seiten: Das Innenministerium warnt gleich auf Deutsch und Englisch sowie umstrittene Institutionen wie das von einem grünen Ehepaar geleitete und von der Bundesregierung großzügig finanzierte Zentrum Liberale Moderne. Weitaus weniger kritisch wird ein verwandtes Problem gesehen: Desinformation aus Kiew. Wir von Telepolis mussten uns dieser Tage mit dem zweiten genannten Problem auseinandersetzen.
Vor dem Hintergrund des anvisierten Verbots des Medienprojektes Voice of Europe in Tschechien veröffentlichte eine proukrainische Propagandaseite einen Fake-News-Text über unsere Redaktion und offenbar auch andere Medien. "Sie werden überrascht sein: Eine Liste von Nachrichten-Websites, die Beiträge der prorussischen Voice of Europe wiederveröffentlicht haben", heißt es dort in einem etwas holprigen Englisch.
Garniert es das mit einem Schaubild eines mutmaßlichen Netzwerks. In der Mitte das Logo von Voice of Europe, daneben unter anderem das von Telepolis.
Überrascht waren wir in der Tat und schaut nach, was uns dort zu Last gelegt wird. Verlinkt aber wird ein Auszug nicht von Voice of Europe, sondern aus einem Text des US-Autors Ted Snider, den Telepolis im März dieses Jahres veröffentlichte. Snider ist Kolumnist der Seite antiwar.com und der US-Seite Responsible Statecraft. Die proukrainische Propagandaseite zitiert ihn mit folgenden Absätzen:
Laut Dokumenten des Verteidigungsministeriums, die im März 2023 durchgesickert sind, befanden sich zu jenem Zeitpunkt mindestens 97 Nato-Spezialkräfte in der Ukraine: 50 britische, 17 lettische, 15 französische, 14 US-amerikanische und eine niederländische. (…) Da Russland auf dem Schlachtfeld – möglicherweise unwiderruflich – die Oberhand zu gewinnen scheint, stehen die USA und die Nato vor dem seit Langem befürchteten Dilemma: die Realität akzeptieren und die Ukraine ermutigen, ein diplomatisches Ende des Krieges auszuhandeln, oder eskalieren und die Entsendung von Nato-Truppen in Erwägung ziehen, wie der französische Präsident Emmanuel Macron kürzlich vorgeschlagen hat, um mit den ukrainischen Streitkräften gegen Russland zu kämpfen. (…) Es wäre unverantwortlich, den zweiten Weg einzuschlagen, ohne den ersten zu erkunden.
Ted Snider: Wie viele westliche Söldner und Spezialkräfte kämpfen in der Ukraine?, Telepolis, 24.03.2024
Von Voice of Europe ist da überhaupt keine Rede, auch nicht in den Links. Snider gibt die Debatte korrekt und verlinkt auf exakt drei externe Quellen: das US-amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek, die französische Tageszeitung Le Monde, und den französischen Sender France24.
Keine Spur, also der "Stimme Europas", mit deren Inhalten wir uns nach dem Eklat in Tschechien auch befasst hatten. Unabhängig von der politischen und medienpolitischen Bewertung der Vorwürfe aus Prag, die ja auf geheimdienstlichen Informationen beruhen und nicht überprüfbar sind, haben wir uns entschieden, diese Quelle nicht weiter zu verlinken und auch alte etwaige Verlinkungen zu prüfen. Der Grund ist einfach: Eine inhaltliche Analyse hat ergeben, dass die Quelle unseren redaktionellen Standards nicht genügt.
Das Produktmanagement der Heise Gruppe hat exakt eine Verlinkung in einem unserer Texte gefunden, die wir gelöscht haben, inhaltlich war sie ohnehin nicht relevant.
Auch unser Forenmanagement nahm sich der Sache an. Links auf Voice of Europe seien schon länger nicht zugelassen worden: "Das war beim Blick auf die Website klar geworden. Kein Impressum und eine Adresse führte zu einem tschechischen Wohngebiet."
In solchen und vergleichbaren Fällen stimmen wir uns mit den Fachabteilungen des Verlags ab und entscheiden auf streng professioneller Basis. Grundlage dafür sind die Qualitätsstandards unserer Redaktion und im Zweifel der medienrechtliche Rahmen.
Debatte um Medienverbote in der Europäischen Union
Die Anwürfe der proukrainischen Propagandaseite sind noch aus einem anderen Grund beachtlich; auch deswegen haben wir uns entschieden, diesen Fall öffentlich zu machen. Als Teil des kommenden 14. Sanktionspakets gegen Russland empfiehlt die Europäische Kommission unter anderem das Verbot von Medien, die der russischen Propaganda bezichtigt werden.
Die Maßnahme gegen dieses und drei russische Medien wird neben einem Importstopp für Helium, der Verschärfung von Exportbeschränkungen für Manganerz und andere seltene Erden sowie dem Verbot des Hafen-Zugangs diskutiert.
Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Věra Jourová, kündigte in diesem Kontext unlängst an, dass die EU Voice of Europe sowie die Russischen Medien Gazeta, RIA Novostiund Iswestija zu sanktionieren. "Wir erkennen sie nicht als Medien an, sie sind einfach Putins Propagandawerkzeuge", sagte Jourová gegenüber dem tschechischen Fernsehen.
Bekämpfung der russischen politischen Einflussnahme
Der Vorstoß zur Eindämmung der russischen politischen Finanzierung in der EU erfolgt vor dem Hintergrund wachsender Bedenken hinsichtlich der von Moskau verbreiteten Desinformation im Kontext der Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni.
Frankreich, die baltischen Staaten, Polen und die Niederlande hatten Brüssel aufgefordert, die russische Wahlbeeinflussung zu sanktionieren, so die US-Nachrichtenagentur Bloomberg.
Damit rücken Medien erneut deutlich in den Fokus der europäischen Außenpolitik; auch vor dem Hintergrund des zunehmenden Konfliktes mit Russland. Dass dabei politische Interessen wirken, zeigt nicht nur die dubiose Propagandaseite mit den Fake News gegen Telepolis. Auch im politischen Berlin zeigt sich, wie schnell freie westliche Medien bei der Propagandaschlacht ins Visier geraten können.
Berlin: Botschafter gegen Tageszeitung – Bundesregierung schweigt
Unlängst hatte der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev Redakteure der Berliner Zeitung über den Kurznachrichtendienst X persönlich angegriffen und ihre beruflichen Qualifikationen infrage gestellt.
Makeiev deutete an, die Zeitung sei möglicherweise auf dem Weg, "Radio Moskau" zu werden und erstellte ein etwas unbeholfenes Logo mit der Aufschrift "Berliner Volksrepublik Zeitung". Selbst seinem für politische Eklats bekannter Vorgänger Andrij Melnyk ging das zu weit. Die Bundesregierung nahm zu solchen Angriffen bislang keine Stellung. Warum eigentlich nicht?
Der Fall der ukrainischen Propagandaseite und den Fake News gegen Telepolis zeigt, wie schnell sich Gegenpropaganda zu Propaganda wandeln kann und welche Gefahr für die freie Presse in Westeuropa entsteht. Das Informationsportal wie die proukrainische Seite entstehen derzeit zuhauf, oft sind sie von EU-Seite kofinanziert.
EU-"Faktenchecker" sorgten in Niederlanden für Eklat
Schon vor längerer Zeit hatte sich in diesem Kontext der niederländische Rundfunk NOS Berichte des EU-eigenen Portals euvsdisinfo.eu genauer angesehen. Das Ergebnis: Hinter drei Viertel der benannten Fake-News-Verdachtsfälle standen lediglich zehn Autoren, Thinktanks und Nichtregierungsorganisationen.
In den Niederlanden hatte das Projekt damals für einen Skandal gesorgt, weil drei Medien des Landes auf einmal auf einer Fake-News-Liste von euvsdisinfo.eu auftauchten. Diese Angaben wurden später ebenso schnell gelöscht, wie sie zuvor verbreitet worden waren.
In der EU gab es viel Kritik an der Berichterstattung des Portals. Bei einer Unterredung wurde nach Angaben aus Teilnehmerkreisen etwa die fehlende Definition von Desinformation beklagt. Auch seien Berichte auf euvsdisinfo.eu oft zu unsachlich und tendenziös geschrieben. "Tatsächlich wirkt eine Liste von inzwischen über 800 Fake-News-Beispielen im Kontext der Corona-Pandemie recht willkürlich", hieß es schon früher auf Telepolis.
Details zum Angriff auf Telepolis – und was Sie tun können
Im Fall des Angriffs auf Telepolis zeigen sich auch die strafrechtlichen Grenzen. Die Seite verfügt über kein Impressum. Die Recherche zu einem angeblich britischen Autor mit dem Namen "Mike Oaks", der in Vergangenheit unter anderem Namen auftrat, und dessen Foto wohl aus einer offenen Bilddatenbank stammt, führt zu einem Fakeaccount in einem sozialen Netzwerk. Unsere Pressestelle versuchte den "Kollegen" zu kontaktieren – ohne Antwort.
Verbreitet wurde der Fake-News-Beitrag auf X allerdings von einer ukrainischen Aktivistin in München, die angibt, für den Verein "Fellas for Europe" tätig zu sein. Der Verein wird von einem deutschen Notar aus Rosenheim geleitet und hat laut Satzung zum Ziel "angesichts (…) der Gefahr der Tyrannei die Freiheit" zu verteidigen.
Klingt gut, das Ziel. Wer es sich wirklich zu eigen macht, kann unsere Arbeit bei Telepolis gegen Propaganda und Desinformation unterstützen.
Wir haben das Gefühl, dass das wichtiger wird.