Das Aus für den Schnee am Kilimandscharo
Seit 1912 sind annähernd 85 Prozent der Eisschicht abgetaut
Er ist 5892 Meter hoch und fasziniert, sei es als Kaiser Wilhelm Spitze, Kilimandscharo, oder Uhuru Peak, wie er heute offiziell heißt. Bergsteiger haben womöglich nur noch 15 Jahre Zeit, ihr Können zu erproben. Danach nimmt der Reiz des Aufstiegs ab, weil die Eiskappe endgültig verschwunden ist.
Vor zwei Jahren trieben Wissenschaftler sechs bis zu 50 Meter tiefe Löcher in das Eis rund um die Hauptspitze des Kilimandscharo. Lonnie G.Thompson von der Ohio State Universität, genauer dem Byrd Polar Research Center, brachte für das Projekt eine internationale Arbeitsgruppe zusammen, die jetzt in Science ihre Ergebnisse vorstellt. Die Forscher analysieren die Sedimente, um die klimatischen Verhältnisse zu rekonstruieren (Science"Kilimanjaro Ice Core Records: Evidence of Holocene Climate Change in Tropical Africa."). Mehr als 10.000 Jahre sind im Eis des Kilimandscharo eingefroren und geben, wie die Jahresringe von Bäumen, ein Abbild über vergangene Klimaepochen. Drei abrupte Klimaveränderungen über Tausende von Jahren und lange vor unserer Zeit beweisen, daß die globale Erwärmung nicht allein von Menschenhand erzeugt wird. Deshalb setzen die Klimaforscher auf die Kraft der Sonne und bemessen an der solaren Aktivität die Zeiten der Klimaperioden. Die in Eis gegossenen Sedimente, mitunter synchron über die Erde verteilt, und die Vielfalt der geologische Funde verdichten sich nunmehr zu einer faszinierenden Schau in die Vergangenheit unseres Planeten.
Die "African Humid" Periode, in denen die Wasserspiegel kleiner Seen bis zu 100 Meter höher, und der Chad-See so groß wie heute das Kaspische Meer waren, wurde bereits von 8.000 Jahren durch eine Trockenperiode abgelöst. Eine weitere Dürre folgte 4 Jahrtausende später und hat, so belegen zahlreiche Funde, das Leben in Afrika, im Mittleren Osten und im Westen Asiens nachhaltig verändert. Wie läßt sich der Klimaschock aus dem Eis nachweisen? "Die unverkennbare Staubschicht, ganze 30 mm dick, spricht für 300 Jahre Trockenheit," so L.G. Thompson, "das stimmt mit ähnlichen Ergebnissen auf dem südamerikanischen Kontinent überein."
Der Schnee auf dem Kilimandscharo hat Tausende von Ureinwohnern und Abertausende von Besuchern fasziniert und E. Hemingway zu einer Kurzgeschichte inspiriert. Die Kleine Eiszeit, deren Beginn auf 1270 v.Chr. datiert wird, endete vor 150 Jahren. So traf es sich gut, dass 1848 das vulkanische Gebirge vom deutschen Missionar Johann Rebmann für die Europäer entdeckt wurde. "Schnee im heißen Afrika?" war das "Wetten dass" dieser Zeit und reizte Bergsteiger, den Gipfel zu erklimmen. Die Erstbesteigung im damaligen Deutsch Ostafrika ist mit den Namen Hans Meyer und Ludwig Purtscheller verknüpft, denen es 1889 gelang, die Flagge des Kaiserreichs auf dem Gipfel zu hissen. Hans Meyer, zugleich Professor der Geographie, wird die Bennung "Kaiser Wilhelm Spitze" zugeschrieben. Inzwischen ist der Berg zwei Meter kleiner geworden, oder nicht? Die ursprüngliche Messung aus dem Jahr 1952 ergab 5895 Meter. Die mit deutscher Gründlichkeit vom Landvermesser Eberhard Meßmer vor drei Jahren ermittelte Höhe liegt bei 5892,55 Metern. "Unglücklicherweise kann man diese Frage nicht beantworten," schreibt E. Meßmer auf seiner Webseite und verweist auf die deutlich besseren Meßmethoden unserer Tage.
Zwei Meter Unterschied in der absoluten Höhe sind für die Klimaforscher unbedeutend. Was die große Dürre in alter Vorzeit nicht erreichte, geschieht jetzt im 21. Jahrhundert. Seit 1912 sind annähernd 85 Prozent der Eisschicht abgetaut. Und das, obwohl die von L.G. Thompson und Mitarbeitern regelmäßig gemessen Temperaturen am Gipfel in den letzten beiden Jahren bei durchschnittlich minus 7 Grad liegen und im Tagesmaximum unter minus 2 Grad bleiben. Der Schwund findet am Fuß statt, ähnlich den Gletschern unserer Alpen. "Wir haben schon lange vermutet, dass die ersten Zeichen der globalen Erwärmung an den hohen Eiskappen zwischen 30 Grad Nord und 30 Grad Süd auftreten werden," erklärt L.G. Thompson und zieht den Bogen vom Kilimandscharo über das tibetische Hochland bis zu den Anden. Dennoch bleiben die Ursachen für die durchgreifenden Veränderungen unserer Zeit rätselhaft. Menschenwerk alleine reicht zur Erklärung nicht aus. Die Klimaforscher, deren Meßlatte Jahrtausende sind, sehen mit nicht minderer Überraschung das ungleich Verhalten an den Polkappen der Erde: Während das grönländischen Eis schmilzt, nimmt die Eisschicht in der Antarktis wider Erwarten an Mächtigkeit zu.
Die Suche der Wissenschaftler nach den Ursachen kann den Schnee am Kilimandscharo nicht erhalten, und die Empfehlungen der Klimakonferenzen haben, wenn überhaupt, bestenfalls aufschiebende Wirkung. Für die Nicht-Bergsteiger ist es ein guter Grund, den Film von Henry King aus dem Jahr 1952 (The Snow of Kilimanjaro) mit Gregory Peck, Ava Gardner sowie Hildegard Knef als Countess Liz zu gustieren. Nicht als Soap Opera, sondern als Zeitdokument mit den faszinierenden Bilder vom höchsten Berg Afrikas. "Es war einmal" werden wir dereinst über den Kilimandscharo schwärmen.