Das Drama von Crépol: "Weiße Franzosen töten"?

Kirche im schönen Provinzort Crépol. Bild: Gachepi / CC BY-SA 3.0 Deed

Haben muslimische Jugendliche ein Dorffest mit Mordabsicht heimgesucht? Wie viel Wirklichkeit vertragen Medien und Gegenöffentlichkeit?

Ein junger Mann namens Thomas, francais de souche, ein "einheimischer" Franzose also, heißt: ohne migrantische Herkunft, wurde bei einem Dorffest in Crépol, im Südwesten Frankreichs, in der Nacht vom 18. auf den 19. November 2023 mutmaßlich von jemandem aus einem benachbarten Problemviertel, einer Person mit wahrscheinlicher migrantischer Herkunft mit einem Messer attackiert und umgebracht.

Mehrere weitere Jugendliche auf dem Dorffest wurden durch Messerstiche, beigebracht durch Angreifer aus einem sozialen Brennpunkt-Viertel, schwer verletzt. Die Brutalität des Geschehens war außerordentlich, wie die Ermittlungen herausstellen.

Der Fall schlug hohe Erregungswellen (Telepolis berichtete: Rassismus in Frankreich: Der Fall Thomas in Romans-sur-Isère) – auch in den deutschsprachigen Medien.

"Frankozid"

Der französische Rechtsextremist Eric Zémmour witterte einen "Frankozid". Den Begriff wollte er schon seit Anfang September in die politische Debatte einbringen. Der Fall "Thomas" kam ihm gut zupass, um das, was für ihn auf dem Spiel steht, nochmal zu erklären und einzuordnen:

Der Tod von Thomas ist kein Einzelfall. Es ist ein gesellschaftliches Ereignis, wenn die Opfer immer Franzosen sind und die Angreifer immer arabisch-muslimisch. Das nennt man Frankozid und antiweißen Rassismus.

Eric Zémmour

Die Funken, die da geschlagen werden, sprühen in einem hochentzündlichen Klima. Manche sehen einen "Bürgerkrieg" im Kommen, schon seit längerem, immer wieder.

Geht es um Spannungen, an denen Bewohner der Vorstädte beteiligt sind, so kann man in Frankreich in einer groben Unterteilung von zwei Narrativen sprechen: einem mit offiziellen Anstrich, beglaubigt und unterstützt von der Mehrheit der Medien, und einem inoffiziellen, das den Anspruch hat, die "Wahrheit" hinter der dominierenden Medienöffentlichkeit zu erzählen (siehe: Frankreich: Ausbruch der Gewalt im zerrissenen Land).

Im Fall Thomas lautet der rote Faden der inoffiziellen Erzählung ungefähr so: Eine Gruppe von Jugendlichen migrantischer Herkunft macht sich von ihrer Hochhaussiedlung La Monnaie, einem sozialen Brennpunkt, aus mit der Absicht auf den Weg ins benachbarte Dorf Crépol, um dort ein Dorffest zu überfallen und Franzosen zu töten.

Der Staatsanwalt

Im deutschsprachigen Debattenforum X gab es dazu mit Verweis auf einen NZZ-Artikel eine Art Bestätigung "‘On va planter du blanc‘, sollen sie gerufen haben, ‚Wir wollen Weisse(!) töten‘. Was die Staatsanwaltschaft am Montag in einem Interview bestätigte, ist bisher in vielen Medienberichten unterschlagen oder nur verklausuliert wiedergegeben worden." Oha?

Laut NZZ berichten das "mindestens neun Festbesucher". Grund genug, um Medien Verharmlosung einer Gewalttat vorzuwerfen, die "ein Symptom für eine Verrohung der Gesellschaft" ist?

Gemach. Die Vorgänge sind nicht so eindeutig, auch die Umstände sind es nicht. Das kann man in derselben Zeitung, Kompliment an dieser Stelle dafür, in einer Reportage nachlesen. Ihr Titel: "Die Messerattacke von Crépol verunsichert die Bewohner einer ganzen Region"

Dort erfährt man unter anderem, dass die Staatsanwaltschaft noch immer nach Verdächtigen sucht, dass es "neun von hundert(!) Befragten" sind, die aussagen, die Angreifer hätten gesagt, sie wollten Weiße töten.

Man erfährt, dass es in der Region üblich sei, dass Jugendliche aus dem Nachbarort Romans-sur-Isère auf ein Dorffest in Crépol gehen. "Das sagen mehrere Bewohner, auch in der Altstadt. Die Jugendlichen der beiden Ortschaften besuchen teilweise die gleichen Schulen und sind in den gleichen Sportvereinen."

Und man erfährt, wie es ist, in dem "Ghetto" La Monnaie zu leben, das zu Romans-sur-Isère gehört:

Muslime im Viertel fühlen sich von der politischen Stimmung im Land schon länger bedroht. Ihm (einem Bewohner, der von der Reporterin befragt wurde, Einf. d. A.) werde zum Beispiel gesagt, er sei kein richtiger Franzose. Dabei sei er hier geboren und wisse nicht, wie er noch ‚französischer‘ sein könne.

Corina Gall, NZZ

Genaueres zum Hergang – aus den laufenden Ermittlungen, mit Bezug auf die Staatsanwaltschaft – findet man in den französischen Medien Le Parisien und franceinfo.

Komplexe Realität

Im Kern zusammengefasst: Die Realität der Tatsachen ist komplexer als die Fantasmen dazu. "Wie so oft entzieht sich die gerichtliche Wahrheit ideologischen Rasterungen" (Le Parisien). Noch stehe der Hauptverdächtige nicht fest.

Der Verdacht ändere sich mit den Ermittlungen. Die Ermittler haben jetzt andere Personen als zuvor im Fokus. Auch die Vornamen der Verdächtigen geben kein eindeutiges Bild:

Die Polemik um die Vornamen der Angeklagten, deren Herkunft für manche ein Schlüssel zum Verständnis des Dramas ist, ist neu: Zwei junge Männer werden nun verdächtigt, den Mord begangen zu haben. Der eine heißt Ilyès Z., ist 19 Jahre alt und maghrebinischer Herkunft. Der zweite ist ein 17-jähriger Jugendlicher, der einen historisch französischen Vor- und Nachnamen trägt.

Le Parisien

Der Staatsanwalt von Valence wiederholte am Montagabend, dem 4. Dezember, gegenüber franceinfo, dass die Elemente zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausreichen, um von einem rassistischen Verbrechen zu sprechen. Er verbietet sich dies jedoch nicht. Die Ermittlungen seien nur noch lange nicht abgeschlossen.

franceinfo

In einem aktuellen Interview mit dem konservativen Mediums La Croix berichtet der ermittelnde Staatsanwalt Laurent de Caigny davon, dass er die These von einer "expédition programmée", sprich eines mit Mordabsicht begangenen Ausflugs der Männer aus dem Ghetto aufgrund der Brutalität aufgestellt habe, auf die der Tatort nach ersten Aussagen von Feuerwehrleuten und Polizisten schließen ließ ("scène de terreur").

"Geplante Expedition"

Zudem habe eine Ermittlung mit dem Tatvorwurf "Mord und versuchter Mord in organisierter Bande" erlaubt, mehr Mittel bereitzustellen. Hinzu kam dann der Druck von Medien: "In den ersten Tagen erhielt ich jeden Tag 200 E-Mails oder SMS von Journalisten, die mich baten, eine bestimmte Information zu bestätigen oder zu dementieren."

Anlass, um von einer "geplanten Expedition" zu sprechen, so der Staatsanwalt, war, dass die Ermittler "sehr schnell erfuhren, dass diese Jugendlichen mit Küchenmessern zu einem Ball gekommen waren, was nicht unbedeutend ist. Die ersten Telefonaufzeichnungen zeigten auch, dass sie im Laufe des Abends miteinander kommuniziert hatten, was auf eine Absprache hindeuten konnte".

Offenbar lässt sich aber zum gegenwärtigen Stand nicht mit Sicherheit feststellen, dass von einem geplanten, abgesprochenen Mord auszugehen ist.

Vielmehr lassen die bisherigen Ermittlungen auf eine brutale, eskalierende Dynamik schließen, die handgreifliche, blutige Auseinandersetzungen leider öfter ausarten lässt. Bemerkenswert ist jedoch das Waffenarsenal der Besucher des Dorffestes: Messer mit einer Länge von 20 bis 25 Zentimeter.

Es gebe eine Menge falscher Gegenwahrheiten("contre-vérités"), die zu diesem Fall kursieren, sagt der Staatsanwalt, er halte an der Unschuldsvermutung fest und an der Realität des Falles.