Das Ende der Sprechstunde
Howard Deans Resignation löst eine Debatte über den politischen Einfluss der Netzgemeinde aus
Howard Dean hat gestern nach der deutlichen Niederlage in Wisconsin seinen Rückzug aus dem Rennen für die Präsidentschaftskandidatur der demokratischen Partei bekannt gegeben. Die Online-Kampagne des gelernten Arztes ist damit gescheitert. Im Netz mutmaßt man nun darüber, warum der einstige Spitzenkandidat auf halber Strecke aufgeben musste. Waren die Medien Schuld? War Dean eine politische Dotcom-Blase? Oder ist sein Ende gar so etwas wie ein neuer Anfang?
Howard Deans Präsidentschaftskandidatur begann und endete im Netz: Noch bevor er gestern vor die Kameras trat, verkündete er auf seiner Website Blog for America die Einstellung seines Wahlkampfes. Gleichzeitig erklärte er:
Meine Kandidatur mag heute zu Ende gehen - doch unsere Kampagne für Veränderung ist nicht vorbei.
Seine Anhänger reagierten auf den Abgang mit einer Mischung aus Trotz, Dankbarkeit und Verzweiflung. Einige erklärten, bei den kommenden Vorwahlen dennoch für ihn zu stimmen. Andere riefen dazu auf, nun John Edwards zu unterstützen, um eine Kandidatur des als konservativ geltenden John Kerry zu verhindern.
Gleichzeitig wurde rege über die Gründe des jetzigen Scheiterns diskutiert. Einige Blog-Teilnehmer gaben den Medien die Schuld am Niedergang der Kampagne. Der ehemalige Gouverneur von Vermont habe mehr Kritik einstecken müssen als jeder andere Kandidat. Tatsächlich hat Dean eine denkwürdige Medienkarriere zu verzeichnen. Im letzten Jahr schienen sich die Zeitungen geradezu in den Underdog zu verlieben, der die demokratische Partei mit Hilfe des Internet aufmischte. Als die Umfragen ihn an erster Stelle sahen, übersäte man ihn dagegen mit Kritik und stellte seine Regierungsfähigkeit in Frage. Andere Kandidaten kamen dagegen auch bei vergleichbar schlechtem Abschneiden in den ersten Vorwahlen deutlich besser weg, wie der Columbia Journalism Review in seinem Campaign Desk-Blog bemerkte. Doch war dies eine parteiische Presse - oder einfach nur das Schicksal eines Kandidaten, der sich selbst ins Rampenlicht katapultiert hatte, nur um dort an den eigenen Zielen zu scheitern?
Deans Dotcom-Crash
Unter Deans Kritikern und in der Presse hat eine andere Theorie Hochkonjunktur: Schuld am Fall des Hoffnungsträgers sei das Netz, heißt es, das Deans Kampagne zu einer Dotcom-Blase aufgebläht habe. Begierig aufgegriffen wird diese These etwa von Spiegel Online. "Viel Wind, viel Geld, wenig Substanz" - die gleichen Probleme, die schon unzählige Startups scheitern ließen, hätten schließlich auch zum Ende Howard Deans geführt. Die Kollegen versteigen sich dabei derart in die Dotcom-Analogie, dass Deans spendende Unterstützer zu Kleinanlegern werden, ja gar zu "Nerds", die sich mit ihrer Kampagne an der Gesellschaft rächen wollten.
Etwas differenzierter widmet sich der bekannte Blogger Clay Shirky dem Phänomen. Bereits Ende Januar hatte Shirky gemutmaßt, Dean habe möglicherweise unabsichtlich eine Bewegung an Stelle einer Kampagne erschaffen. Anstatt sich auf das Sammeln von Stimmen zu konzentrieren und Andersdenkende zu überzeugen, habe man im Netz mit Deans Blog, seinem Friendster-ähnlichen DeanLink-Angebot und seinem Forum for America Räume für Gleichgesinnte geschaffen und sich im kollektiven Selbstgespräch erschöpft. Letztlich sei Deans dezentraler, organischer Einsatz sozialer Software schlecht für seine Kampagne gewesen, so Shirky.
Gleichzeitig habe die Netzgemeinde Deans Stärke überschätzt. So habe man sich von den Medien einreden lassen, dass Geld der Gradmesser politischen Erfolgs sei. Shirky glaubt, dass Deans Erfolge beim Spendensammeln und Organisieren von Anhängern nicht zuletzt dem Umstand geschuldet waren, dass es mit dem Netz viel einfacher ist, zu spenden oder auch ein unverbindliches Meetup-Treffen in der Nachbarschaft zu organisieren. Shirky dazu in einem Beitrag Anfang Februar:
Die Kampagne erreichte viel, indem sie die Schwelle für Unterstützer senkte. Dies half dabei, ein falsches Bewusstsein der eigenen Stärke zu erzeugen.
Deans Kampagne als Erfolg?
Deutliche Widerworte zu diesen Thesen gibt es von Joe Trippi, Howard Deans ehemaligem Kampagnen-Manager. Trippi musste seinen Posten aufgeben, nachdem Dean deutliche Niederlagen in Iowa und New Hampshire erlitten hatte. Doch trotz seiner Kündigung und Deans Resignation hält er den Wahlkampf weiterhin für einen Erfolg. "Dies ist kein Dotcom-Crash. Die Howard Dean-Kampagne war ein Dotcom-Wunder", erklärte Trippi Anfang letzter Woche anlässlich der O'Reilly Emerging Technologies Conference in San Diego. Dean habe es innerhalb von 13 Monaten dank des Netzes vom absoluten Nobody zu einer bedeutenden Kraft innerhalb der demokratischen Partei gebracht.
Glaubt man Joe Trippi, dann hat Dean mit seiner konsequenten Antikriegs-Message dazu beigetragen, dass mittlerweile auch Kandidaten wie Kerry und Edwards Bushs Irak-Politik angreifen. All dies sei erst durch das Netz möglich gewesen. Trippi dazu wörtlich:
Es gibt einen Grund dafür, dass Bush heute verwundbar ist - die Blogs.
Gleichzeitig musste Trippi zugeben, dass die Internetkampagne auch strategische Nachteile mit sich gebracht hat. So habe man seinen Anhängern kurz vor der Wahl nicht klar machen können, wie ernst die Situation gewesen sei und dass ein Sieg keineswegs gewiss sei. Das Problem: Die Presse und die politischen Gegner seien eben auch Leser des Blogs gewesen. Der offen organisierten Kampagne fehlte es an geschützten Kommunikationskanälen, um auf kritische Situationen zu reagieren.
Wem gehört die Bewegung?
Alles in allem gibt sich Trippi aber zuversichtlich und spricht wie Dean davon, die Kampagne fortzusetzen. Eine Idee, die auch bei den Lesern seines neuen Blogs Change for America großen Zuspruch findet. Auch auf Deans Weblog zeigen sich viele bereit, die Arbeit in einer wie immer gearteten Sammelbewegung fortzusetzen.
Für Howard Dean macht es durchaus Sinn, sich als Speerspitze einer solchen Bewegung zu positionieren: Selbst angesichts deutlicher Wahlverluste konnte er in den vergangenen Wochen eine beständig wachsende Anhängerschaft verzeichnen. Als Deans Unterstützer sich Anfang Februar zum monatlichen Meetup-Stammtisch trafen, brachen sie mit weltweit rund 100.000 Mitwirkenden alle Teilnehmerrekorde.
100.000 Unterstützer mögen nicht genug sein, um die Wahl zum Präsidentschaftskandidaten zu gewinnen. Doch sie könnten einen einflussreichen Block innerhalb der demokratischen Partei bilden. Schon wird offen darüber nachgedacht, welche Zugeständnisse Dean dem Kandidaten der Demokraten abringen könnte. Andererseits ist es fraglich, ob es Dean tatsächlich gelingen wird, seine lose organisierten Anhänger hinter einem einzelnen Kandidaten zu vereinen.
Erste Proteste gegen eine leichtfertige Unterstützung eines anderen Kandidaten haben bereits begonnen. So fordern einige hundert Dean-Anhänger, die rund 700.000 in den letzten Monaten gesammelten Unterstützer-Adressen nicht an andere Kampagnen weiterzugeben. Deans Team hatte sich in der Privacy Policy seiner Website vorbehalten, diese anderen "ähnlich gesinnten" Demokraten zur Verfügung zu stellen. In einer Petition gegen einen solchen Schritt heißt es nun: "Es gibt keine anderen ähnlich gesinnten demokratischen Kandidaten."