Das Ende des Urheberrechts?

Die Zukunft des Urheberrechts in der digitalen Welt

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Es ist eine banale Feststellung: In der Wissensgesellschaft werden Informationen und Wissen immer wichtiger. Gleichzeitig - das ist das digitale Dilemma - wird es immer schwieriger, das geistige Eigentum zu schützen. Denn die rasante Entwicklung der digitalen Technik macht es zunehmend leichter, geistiges Eigentum zu verletzen.

Napster als Paradigma

Das bekannteste, aber keineswegs das einzige Beispiel für dieses digitale Dilemma war Napster. Napster - oder andere ähnliche Programme - installieren globale elektronische Tauschbörsen für Musikdateien. Die Folge: Innerhalb kürzester Zeit lässt sich nahezu jedes beliebige Musikstück im Internet auftreiben und kopieren - kostenlos und ohne Qualitätsverlust. Ist das Urheberrecht damit am Ende?

Die konventionelle Strategie

Es gibt eine konventionelle Strategie, wie das (Urheber)Recht dieser Herausforderung begegnen kann. Der Gesetzgeber kann den Schutz von geistigen Werken erweitern und verschärfen. Er kann alle digital möglichen Verletzungen in den Anwendungsbereich des Urhebergesetzes einbeziehen, und er kann die Strafen auf Urheberrechtsverletzungen drastisch verschärfen.

Es ist äußerst zweifelhaft, ob diese Strategie auf Dauer Erfolg verspricht. Denn schon jetzt gerät das Urheberrecht an seine Grenzen. Woran liegt das? Wie könnte ein modernes Urheberrecht aussehen?

Schlüsselbegriffe des Urheberrechts

Das nationale und internationale Urheberrecht will die Kreativen, die geistiges Eigentum schaffen, schützen. Es operiert dabei mit zwei Schlüsselbegriffen: Werk und Urheber. Rechtlich geschützt werden die Werke und ihre Urheber.

Was ist ein Werk? Das UrhG definiert, was das Recht unter einem Werk versteht: Werke sind persönliche geistige Schöpfungen. Der Geistesblitz allein ist allerdings noch kein Werk. Die Idee muss eine Form gefunden haben. Sie muss - auch das verlangt das Gesetz - Ausdruck der Individualität seines Urhebers sein. Werke müssen etwas Neues und Originelles darstellen: entweder durch ihren Inhalt, durch ihre Form oder durch die Verbindung von Inhalt und Form. Nur dann werden sie geschützt.

Das UrhG klärt nicht nur, was geschützt wird. Es beantwortet auch die Frage, wer Urheberrechte geltend machen kann. In § 7 UrhG findet sich das Schöpferprinzip: Urheber ist der Schöpfer des Werkes. Das Urheberrecht entsteht durch den realen Schöpfungsakt eines Urhebers. Inhaber des Rechts ist der Mensch, der das Werk tatsächlich geschaffen hat.

Abschied vom Werk

Das Urhebergesetz verschafft dem Urheber eine Machtposition. Nur er hat die Verfügungsgewalt über das Werk. Andere können sein Werk nur nutzen, wenn er selbst es aus der Hand gibt und eine Nutzung erlaubt. Es gibt nur ein Original und jede Menge Kopien, die aber qualitativ nicht an das Original heranreichen. Man braucht also das Original, um gute Kopien herzustellen.

Diese Vorstellung des Gesetzgebers passt nicht mehr für die Internetkultur und -ökonomie. Der Urheber hat seine Machtpoition verloren: Digitale Vervielfältigungen eines Werkes sind Klone, keine schlechteren Kopien. Das Werk kann deshalb auch ohne Zustimmung des Urhebers ungehindert verbreitet werden, ohne dass es zu Qualitätseinbußen kommt. Was bedeutet das für das Urheberrecht? Wenn ein Schlüsselbegriff, an den das Urheberrecht Rechtsfolgen knüpft, in der Praxis irrelevant wird, kann das Gesetz nicht mehr funktionieren. Es muss sich einen neuen Schlüsselbegriff suchen.

Interaktive Kreativität

Auch der zweite Schlüsselbegriff des Urheberrechts ist überholt. Schon früher war es mitunter nicht einfach zu bestimmen, wer eigentlich der Urheber eines Werkes war. Ein Beispiel dafür: Wer ist eigentlich der (Mit)Urheber eines Spielfilms: nur der Regisseur? Der Kameramann, die Schauspieler, der Caterer, der alle versorgt?

In der digitalen Kultur funktioniert das nicht mehr. Der Nutzer eines Werkes ist kein passiver Konsument. Er kann im Gegenteil aktiv in das Werk eingreifen und es beeinflussen. Wer ist der Urheber eines Werkes, das durch einen interaktiven Prozess vom Nutzer immer wieder verändert wird? Nur der ursprüngliche Schöpfer des interaktiven Mediums oder auch der Nutzer? Wer ist Urheber, wenn sich - etwa bei Netzgemeinschaften, die neue Softwareprodukte herstellen - Tausende von Nutzern beteiligen?

Vom Produkt zum Prozess

Urheber können den Wert ihres geistigen Werkes nicht mehr durch den Verkauf realisieren. Denn dazu ist das Digitalisieren, Kopieren und Verbreiten eines Werkes über das Internet zu einfach geworden. Was lässt sich aus dieser Erkenntnis ableiten?

Der Wert des geistigen Eigentums wird nicht mehr durch geistige Produkte, sondern durch einen kreativen, interaktiven Prozess realisiert. Nicht die kopierbaren Produkte sind wichtig. Es kommt auf die Prozesse und Beziehungen zwischen Kreativen und Kulturwirtschaft einerseits und den Kunden andererseits an.

Abonnements und Events

Ein Beispiel für einen solchen Prozess sind Abonnements. Das Produkt Zeitung verliert an Wert. Denn es kann über das Internet leicht kopiert werden. Angesichts der Informationsfülle im Internet gewinnt aber der geistige Prozess zwischen Inhalteproduzent und Leser an Bedeutung. Den Lesern ist es wichtig, kontinuierlich, seriös und verlässlich unterrichtet zu werden. Der Kunde zahlt nicht mehr für das Produkt, sondern für den Prozess: die zuverlässige kontinuierliche Lieferung auf Vertrauensbasis.

Ein anderes Beispiel: Events. Das geistige Produkt Musik-CD verliert an Wert. Denn Raubkopien von Musikstücken lassen sich leicht über das Internet vervielfältigen und verbreiten. Umso wichtiger wird aber der geistige Prozess zwischen Musiker und Zuhörer: der Liveauftritt oder der Event. Der Trend, der sich in der Kulturwirtschaft beobachten lässt geht schon in diese Richtung. Anbieter versuchen zunehmend, ein engeres Band zwischen Künstlern und Konsumenten zu knüpfen und eine stabile, langfristige Beziehung aufzubauen. Indiz dafür sind die zahlreichen Fan-Clubs und Communities.

Neue Schlüsselbegriffe für das Urheberrecht

Das Urheberrecht ist nicht tot. Es wird noch gebraucht. Auch in der digitalen Kultur ist es notwendig, geistige Inhalte und kreative Ideen zu schützen. So, wie es im Augenblick konzipiert ist, kann das Urheberrecht aber seine Funktion immer weniger erfüllen. Wie kann ein Urheberrecht für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft aussehen? Das lässt sich bisher kaum abschätzen. Sicher ist nur eines: Die statischen Schlüsselbegriffe Urheber und Werk haben ausgedient. Im Zentrum werden die - dynamischen und wechselhaften - kreativen Prozesse und interaktiven Beziehungen zwischen Produzenten und Rezipienten stehen.

Volker Boehme-Neßler ist Professor für öffentliches Wirtschaftsrecht, Europarecht und Medienrecht an der FH für Technik und Wirtschaft, Berlin. In der Reihe Beck-Rechtsberater ist im dtv sein Buch "internetrecht.com. Strukturen - Zusammenhänge - Regelungen" erschienen. Ebenfalls beim Beck-Verlag gibt es sein Buch "CyberLaw. Lehrbuch zum Internetrecht".