Das Erwachen der Dschihadis auf dem Planeten Venus

Sicherheitsexperten sorgen sich um die Verwundbarkeit Europas

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Sicherheitsexperten sorgen sich um die Verwundbarkeit Europas

Dschihadis rekrutieren in Europa immer mehr Anhänger, warnen die Geheimdienste. Auf eine "inbrünstige Anhängerschaft" treffe der Aufruf zum Dschihad vor allem in England, in Londoner Vororten und Städten wie Birmingham und Manchester, in "arabischen Enklaven" Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz. Hunderte von jungen Muslimen sollen sich nach Einschätzung der Geheimdienste militanten Gruppen anschließen.

Der Irak-Krieg habe die Rekrutierungsanstrengungen drastisch verstärkt. Anzeichen dafür erkennen die Ermittler u.a im bemerkenswerten Anstieg des "Chats", der Kommunikation zwischen Verdächtigen und deren Unterstützer, die seit Osama Bin Ladens Warnung an Europa deutlich intensiver geworden sei. Da Rekrutierungsgespräche typischerweise von Angesicht zu Angesicht realisiert würden, sei es für die Geheimdienste beinahe unmöglich, die tatsächliche Rate zu ermitteln.

Zwar würden sich nach Auffassung von Antiterror-Spezialisten einige Muslime dazu entschließen, den Dschihad im Irak zu führen; die meisten aber würden in ihrem Land bleiben, um sich dort militanten Zellen anzuschließen: die Rekrutierungswelle würde demzufolge von einer "bezwingenden neuen Strategie" begleitet, die den Kampf nach Europa bringen wolle.

Nach Expertenmeinung ist Europa durch seine offenen Grenzen und mangelhafte Kooperation zwischen den Ländern in Sachen Terrorismusbekämpfung besonders verwundbar.

Es gibt ein Vertrauensdefizit unter den Sicherheitsdiensten und unter den Ländern. Und es fehlt an Solidarität. Das Selbstinteresse dominiert. Was wir brauchen, ist ein europäischer gemeinschaftlicher Geheimdienst. Wir stecken in einer Zwangsjacke aus absurden Formalitäten, die uns davon ablenken, was wichtig wäre.

Baltasar Garzon, spanischer Ermittlungsrichter

Die Mitglieder von Al-Qaida hätten sich als extrem bedenkenlos in der Ausnützung von günstigen Gelegenheiten erwiesen und sich jetzt dazu entschieden, einen Keil in die westliche Allianz zu treiben, zitiert die New York Times einen anderen Antiterror-Experten.

Sie konzentrieren ihre Energien nun auf Angriffe, die große Länder treffen sollen - die USA, England und Spanien - um den kleineren Schrecken und Angst einzuflößen.

Ähnlich wie ihre Pendants im Osten richten sich Splittergruppen im Westen oft an einem islamistischen "local hero" aus.

Sie orientieren sich meist an einem lokalen Idol, der als unbeugsamer Held angesehen wird, und sehen sich existenziell mit dem Islam verbunden. Sie folgen nicht mehr der alten islamistischen Strategie, deren Ziel die Verwirklichung einer islamischen Gesellschaft war, sondern definieren ihre Existenz selbst als Ausdruck vollkommener Islamität. Der Begriff "Dschihad" wird hierbei zum Emblem für eine grundsätzliche Lebenshaltung. Ihre Islamität beweisen sich dessen junge Adepten nicht allein in der Befolgung der kultischen Pflichten, sondern vor allem durch die existenzielle Verknüpfung ihres persönlichen Schicksals mit "dem Islam". Reinhard Schulze, Professor für Islamwissenschaft an der Universität Bern

In England hat es Abu Hamza zu notorischer Berühmtheit gebracht; der Verfechter eines militanten Islam darf seine aggressiven Aufrufe gegen die Ungläubigen zwar nicht mehr in der Moschee im nordlondoner Finsbury Park der geneigten Zuhörerschaft vortragen, dafür aber beschwört er seit mehreren Wochen auf dem Rasen vor der Moschee die "Märtyrerkultur" und garniert seine Predigten gerne mit der Behauptung, dass die Anschläge auf das World Trade Center auf ein jüdisches Komplott zurückzuführen sei: sein Recht auf freie Meinungsäußerung, deren Grenzen jedoch der britische Innenminister David Blunkett überschritten sieht.

Seit längerem schon versucht die britische Regierung Abu Hamza abzuschieben. Man wirft ihm die "Unterstützung von fünf terroristischen Vereinigungen, darunter al-Qaida, Ermutigung zum Dschihad" und gar "terroristische Akte" vor.

Doch ähnlich wie im Falle eines französischen Imams (Steinigungen von untreuen Frauen befürwortet) ist die Abschiebung des gebürtigen Ägypters, der einer UN-Sicherheitsrat-Liste zufolge mit al-Qaida in Verbindung steht, trotz neuer Gesetze keine einfache Angelegenheit. Das entsprechende Verfahren wurde von der Kommission, die für die Immigration in England zuständig ist - Special Immigration Appeals Commission (SIAC) - erstmal auf den 10. Januar 2005 verschoben.

Auch "Mainstream"-Muslime schließen sich den Reportern der New York Times zufolge der Forderung nach Abschiebung von radikalen Aufwieglern an.

Ich glaube, die Jungen werden von ein paar radikalen Predigern einer Gehirnwäsche unterzogen. Wir sollten dazu imstande sein, diese Negativität zu kontrollieren.

Akbar Dad Khan, Central Mosque, Luton