"Das Feuer ist aus": Zum Ende der Politkarriere des Sebastian Kurz
Seite 2: Es gab kein Programm – außer der Macht
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Das Publikum bleibt grübelnd zurück. Sebastian Kurz‘ nahezu ausschließlicher Bezug auf die eigene Außendarstellung übte schon immer eine gewisse Faszination auch auf seine Kritiker aus. Wie Maupassants Bel-Ami war Kurz in seiner Ruchlosigkeit allen immer einen Schritt voraus. Erst jetzt fällt vielen auf, welche unerhörte Leere er dabei verkörperte.
Man möchte sich die Augen reiben: Es gab bei der "türkisen Bewegung" nie echte Inhalte. Kurz stand und steht für nichts. Anders als die erste ÖVP-FPÖ-Regierung, die ein stramm neoliberales Programm hatte (gegen den Willen Jörg Haiders übrigens), hatte Kurz mit seinen Regierungen kein rechtes Ziel.
Alles war Rhetorik, die an die jeweiligen Stimmungslagen angepasst wurde. Sobald etwas, das großspurig zur "Chefsache" erklärt wurde, sich als zu sperrig für Kurz erwies, wurde es einfach fallengelassen. Da immer gleich ein neues Thema öffentlich herausposaunt wurde, fiel dies vielen nicht auf.
Gerade deshalb wurde Kurz‘ zum Hoffnungsträger der europäischen Rechten. "Law and Order" ist in ihrem Kern immer nur ein Getöse. Selbst der innere Antihumanismus des Sebastian Kurz, dem das Elend von Geflüchteten vermutlich herzlich egal war, dient auch nicht als Inhalt. Kurz hasst diese Menschen nicht, er wusste nur, dass ihm Härte gegen sie nützt. Bezeichnenderweise sprach er im Zusammenhang der "Flüchtlingskrise" und der "Schließung der Balkanroute" davon, dass es "hässliche Bilder" wird geben müssen. Die Ertrunkenen sind ein Bild für ihn, mehr nicht.
Ein Karrierepech war für Kurz, wie für andere Trumpisten (ob Trump selbst oder Boris Johnson) ist nun aber sicherlich die Pandemie, denn hier wird Komplettversagen als Komplettversagen erkennbar. Großspurige Ankündigungen das Virus überwunden zu haben, die "Auferstehung nach Ostern" zu feiern und den Menschen einen "coolen Sommer" zu wünschen, wirken lächerlich, wenn das Virus, aufgrund der unzähligen Unterlassungen und Schlampereien der Politik zurückkommt.
Das Versagen in der Pandemiebekämpfung werden die Menschen dem Sebastian Kurz wohl nicht vergessen. Die mehr oder minder großen Gaunereien müssen lange und zäh vor Gericht verhandelt und werden dann vielleicht versanden. Das vollkommen verunglückte Pandemie-Management aber bleibt als klare Erinnerung.
Und nun?
Kaum war Kurz abgetreten, verwandelten sich seine Affären und Fehltritte bereits in eine Privatsache, die augenblicklich die Wiener Polit-Szene kaum mehr zu interessieren scheint. Die Frage ist nun vielmehr, ob und wie das System Kurz weitergeführt werden kann. Ob sich die offenkundig erfolgreichen Elemente von den Gescheiterten werden trennen lassen.
Hier ist nun guter Rat für die ÖVP teuer, denn sie muss abschätzen, wie sehr die Kurz‘sche Personalisierungs-Polit-Show das Land geprägt hat. Macht sich die Partei lächerlich, wenn sie das Programm weiterfährt mit ausgetauschten Akteuren? Hat sie dann aber einen Plan B in der Tasche?
Die ÖVP hatte noch beim Parteitag im August Sebastian Kurz wie einem Gottkaiser gehuldigt. Die Redner waren zeitweilig schwer zu verstehen, so sehr pressten sie ihre Gesichter in den Staub. Glaubwürdigkeit wird jetzt somit auch ein Thema für die Partei sein, weil diejenigen die unter Kurz Karriere machten, ihm niemals widersprachen.
Außerdem ist in der ÖVP jetzt wieder Obmann-Jagdsaison, nach fast 1700 Tagen Sebastian Kurz an der Spitze der Partei. Der Stellvertreterkanzler Alexander Schallenberg gibt das Amt wohl an den kantigen Innenminister Karl Nehammer ab, der der siebter Kanzler Österreichs in fünf Jahren sein wird. Von ihm erwartet man sich anscheinend bessere Wahlaussichten. Eine riskante Wette. Nehammer, der sich durch die harte Linie beim Abschieben von gut integrierten Schulkindern einen Namen gemacht hat, wird sicherlich genau hierbei zu punkten versuchen.
Allerdings war das "harte Durchgreifen gegen Fremde" immer der Weisheit letzter Schluss der ÖVP gewesen, um damit im dritten Lager, also jenem der FPÖ zu fischen. Hier macht nun auch Nehammer das Corona-Virus einen Strich durch die Rechnung.
Nehammer hat es sich als Innenminister mit dem "Corona-skeptischen" dritten Lager nämlich verdorben. Zwar versuchte er mit besonderem Eiertanz die FPÖ nicht zu verprellen, indem er beispielweise immer von "Extremisten" auf den Corona-Demos spricht, aber geflissentlich nicht von "Rechtsextremisten", so als fänden sich auch Anarchos und Autonome unter den Corona-Leugnern.
Die Herzen der blauen Wechselwähler wird er mit solchen semantischen Feinheiten aber nicht gewinnen. Die sind und bleiben ihm böse, weil er mit Corona so "übertreibt". Gleichzeitig ist er mit seiner Flüchtlingspolitik bei den konservativeren Liberalen im Land untendurch. Woher sollen dann die Wähler kommen, die Nehammer Mehrheiten an der Wahlurne bescheren?
Zumindest muss dem Innenminister zu Gute gehalten werden, dass er überhaupt noch Koalitionsverhandlungen führen könnte. Eine Koalition mit Sebastian Kurz hatten zuletzt alle im Nationalrat vertretenen Parteien ausgeschlossen.
Die ÖVP steht somit vor schwierigen Entscheidungen. Sie muss sich vor anstehenden Neuwahlen gut aufstellen, weil ihre Umfragen im Keller sind. Die ÖVP befindet sich deshalb genau da, wo sie vor der Ära Kurz stand: hinter der SPÖ und im Zweikampf mit der FPÖ um Platz drei.
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