Das Flachgesicht aus Kenia

Wieder einmal wurde ein neuer Ahne des Menschen gefunden

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In der neuesten Ausgabe von Nature wird uns ein bisher unbekannter Vorfahre vorgestellt: Kenyanthropus platyops, der vor 3,5 Millionen Jahren lebte

Links: KNM-WT 40000. Dieser neu entdeckte Schädel wird von Leaky et al. beschrieben und soll die neue Gattung Kenyanthropus platyops darstellen. Rechts: KNM-ER 1470. Dieser Schädel wurde früher dem Homo rudolfensis zu geschrieben, gehört aber wohl zum Kenyanthropus. Beide Schädel weisen eine große Ähnlichkeit, aber auch entscheidende Unterschiede auf. Foto: Nature

Ein neues Gesicht ist in der Portraitreihe unserer Ahnen aufgetaucht. Kaum, dass die Funde des Orrorin tugenensis aus Kenia von französischen und kenianischen Wissenschaftlern gemeldet wurden, die ihren Fund auf mindestens 6 Millionen Jahre datieren und die mit ihrem Millennium-Menschen die Geschichte der Evolution des Menschen umschreiben wollen, da taucht die nächste Sensation am paläontologischen Horizont auf.

Meave G.Leakey vom National Museums of Kenya und ihre Kollegen vom University College London, der University of Utah und der Australian National University Canberra melden in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Nature den Fund von Kenyanthropus platyops (kenianischer Mensch mit flachem Gesicht). Das Flachgesicht von Kenia ist 3,2 bis 3,5 Millionen Jahre alt und sowohl eine neue Spezies wie eine neue Gattung, so beschreiben ihn die Forscher in ihrem Bericht.

In Lomekwi, auf der westliche Seite des Lake Turkana im Nordosten Kenias entdeckte das Team die Hominiden-Überreste, dabei waren mehr als 30 Schädel- und Zahnfragmente, von denen einige eindeutig dem Flachgesichtigen zugeordnet werden konnten, andere noch gar nicht. Ein zertrümmerter Schädel konnte fast komplett zusammengesetzt werden und zeigt uns das erstaunlich menschliche Gesicht eines fernen Vorfahren. Es ist das älteste beinahe vollständige Kranium, das wir von einem Mitglied der menschlichen Familie haben.

Deutlich ist die Ähnlichkeit zu dem von Richard Leakey in den 70er Jahren auf der östlichen Seite des Lake Turkana gefundenen Schädels, der bisher als Homo rudolfensis klassifiziert wurde. Allerdings hat der Kenyanthropus platyops ein entscheidend kleineres Schädelvolumen und folglich ein wesentlich kleineres Gehirn. Die Landschaft um den Turkana-See war vor über drei Millionen Jahren eine Mischung aus offenem Grasland und Wald.

Bis vor einigen Jahren schien die Klassifizierung der menschlichen Vorfahren (dem modernen Menschen näher verwandt als dem Schimpansen) relativ klar zu sein. Es erweist sich aber zunehmend, dass die Einordnung in drei Gruppen der Hominiden: Australopithecus, Paranthropus und Homo (echter Mensch) überprüft werden muss. Anfang vergangenen Jahres hatten bereits Wissenschaftler eine genetische Revolution des Vormenschen, eine Art "Urknall" der Evolution unterstellt (Gab es in der Evolution des Menschen einen Urknall?), einen Sprung zum echten Menschen direkt vom Australopithecus afarensis, der vor 3-4 Millionen Jahren in Ostafrika lebte (das berühmte Skelett Lucy ist einer von ihnen).

Mit dem flachgesichtigen Kenianer taucht nun ein völlig neuer Mitspieler auf. "Zwischen 3,5 und 2 Millionen Jahren scheint es mehrere menschenähnliche Arten gegeben zu haben, die sehr gut an das Leben in unterschiedlichen Umgebungen angepasst waren, auch wenn wir die Formen der Anpassung erst wirklich erkennen müssen", kommentiert Daniel E. Lieberman von der George Washington University in einem begleitenden Artikel in Nature.

Auf jeden Fall müssen einige klassische Einteilungen nach dieser Präsentation des neuen Hominiden überdacht werden. Der Kenyanthropus platyops weist verschiedene Charakteristika auf, die alle einzeln bekannt sind, aber verschiedenen Spezies zugeordnet wurden. Die kleine Ohröffnung ist dem Australopithecus anamensis ähnlich, ebenfalls die Backenzähne mit starkem Zahnschmelz und das kleine Hirn (Australopithecus hatte ein Gehirnvolumen von etwa ein Drittel des heutigen Menschen) sowie die Nasenform, die derartig auch der Australopithecus afarensis aufweisen. Aber der Schädel weist auch klare Merkmale wie z.B. die Wurzel des Wangenbeins auf, die ihn vom Australopithecus anamensis, afarensis und africanus unterscheiden. Ebenso gibt es entscheidende Merkmale, die eine klare Zugehörigkeit zum Australopithecus garhi oder Paranthropus ausschließen. Einige Ähnlichkeiten weist er dagegen mit dem Homo rudolfensis auf, der seinerseits einiges mit dem Paranthropus teilt.

Ganz klar ist der Flachgesicht-Kenianer eine neue Art. Das flache Gesicht und die Position der Wangenknochen in Kombination mit kleinen Backenzähnen ist bei keinem anderen Hominiden bekannt. Ob er eine neue Gattung darstellt, wie es die Paläoanthropologen-Gruppe um Leakey behauptet, bezweifelt bereits Lieberman in seinem Artikel "Another face in our family tree". Dieses Problem wird die Wissenschaft sicher noch ausführlich beschäftigen. Vielfalt und multiple Entwicklungsformen von Hominiden zur selben Zeit am selben Ort mag eine mögliche Antwort sein. Der Australopithecus ist sowieso bereits eine Gattung mit sehr verschiedenen Arten. Erinnert sei hier auch an den "Nussknackermenschen", den Australopithecus boisei, den die Leakeys 1959 entdeckten und als eigene Gattung unter dem Namen Zinjanthropus boisei einführen wollten. Die Mehrheit der Fachkollegen klassifizierten ihn jedoch als Australopithecus und so wird er heute auch allgemein bezeichnet.

Bevor der Kenyanthropus platyops einen eigenen und deutlich abgesetzten Ast im menschlichen Stammbaum zugewiesen bekommt, werden aber wohl noch einige Jahre vergehen.