Das Geheimnis des Verstandes

Ein künstlicher Verstand scheint in weiter Ferne zu liegen

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Wir haben große Schwierigkeiten mit dem Verstand, weil er eine Sammlung von Geheimnissen darstellt. Scheinbar besitzt (fast) jeder Mensch irgendeinen "Verstand" - oder wenigstens eine Spur davon. Wir verfügen jedoch weder über eine erfolgreiche, allgemein anerkannte und gerechtfertigte, noch über eine eindeutige Definition, und nicht zuletzt wissen wir nicht einmal, wie man es anfangen könnte und sollte, an einer solchen zu arbeiten, um uns zu den Anfängen einer Technologie des Verstandes oder des Denkvermögens zu führen.

Mit dem Verstand ist es etwa wie mit der Zeit, von der Augustinus sagte, er wisse, was sie ist, solange ihn niemand danach fragt. Sogar eine scharfe Abgrenzung zwischen dem "Verstand" und der "Intelligenz" kann deswegen nicht durchgeführt werden, weil sowohl der eine als auch der andere Begriff seinen Bedeutungsumfang im Verlauf der historischen Zeit geändert hat. Auch die Behauptung hilft nachweislich nichts, dass wir jetzt über den Verstand angeblich bedeutend "mehr" (vor allem in der pragmatischen und technologischen Auffassung) als Menschen früher wissen, weil es in den genannten Auffassungen nicht darum geht, dass es für eine einzelne Definition keine allgemeine Übereinkunft gibt, sondern darum, dass wir über keine effektive Kenntnis verfügen (außer der "artificial intelligence", die durch ziemlich leere Ankündigungen von Verrückten angekündigt wird und es uns ermöglichen soll, einen Funken des "Verstandes" oder der "Intelligenz" in der Maschine zu entfachen).

Das alles bedeutet jedoch nicht, dass uns in der besprochenen "Materie" überhaupt nichts bekannt ist. Erstens versteht man unter dem "Verstand" oder dem "Denkvermögen" die Leistung einer realen körperlichen und sprachlichen Handlung (man kann "vernünftig" irgend etwas tun, und "vernünftig" kann man in bekannten ethnischen oder sogar speziell kodierten Sprachen Mitteilungen "senden" und "empfangen" ). Zweitens weiss man, dass die Sprache, um deren "vernünftige" Rekonstruktion seit einem halben Jahrhundert Computerexperten sich mit solcher beharrlichen Besessenheit bemühen, aus dem Bindemittel der Syntax (der Syntax und der Semantik) besteht. Hier auch kann man in wissenschaftlich ordentlichen Arbeiten die Differenzierung auf sprachreflexive oder sprachabgeleitete Bezeichnungen, wie Designate, Denotate, Denotationen und Konnotationen finden. Dies soll uns hier aber nicht weiter abschrecken.

Eine der wahrscheinlich wichtigsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts war die Feststellung (Lyssenko und seine Anhänger hatten sich daran nach einiger Zeit stalinistischer Förderung alle Weisheitszähne ausgebissen), dass es nur einen Erbcode gibt, der aus den "Buchstaben" und "Interpunktionszeichen" der Nukleotiden zusammengestellt ist, und dass die Chromosomen aus "Sätzen" mit diesen vier Nukleotiden in Matrizen gebildet werden, die in Zusammensetzung mit allen genetischen Elementen in der gesamten lebenden Welt (d.h. in der ganzen irdischen Biosphäre von Bakterien und Viren bis hin zu Dinosauriern und Walen) identisch sind. Die fast vier Milliarden Jahre lang andauernde Evolution des gigantischen Baums der lebendigen Arten ist in ihrem Kern also nichts anderes als ein Mischen dieser Nukleotiden-Buchstaben - und dieses Milliarden von Jahren andauernde Spiel ist vor ungefähr 150000 Jahren in die Art Homo sapiens "abgebogen", deren Mitglieder wir sind.

Überdies entstand vor etwa 14000 oder 15000 Jahren, oder vielleicht auch einige weitere Jahrtausenden früher - als Verstärker und Akzelerator der Menschheit eine ethnische Ursprache, die man heute nostratic nennt und die sich innerhalb von "nur" einigen zehntausend Jahren auf ca. 5000 verschiedene Varianten verzweigt hatte, wozu auch die slawische Sprachfamilie und in ihr die polnische Sprache gehört, in der ich diese Worte gerade schreibe. Aber diese vererbte Sprache ist als einzige Sprache auch so, wie sie war - und das ist sehr wichtig -, bis zum heutigen Tage geblieben. Wir können bereits Gene von einer Art auf eine andere Art so übertragen, dass die Ergebnisse genotypisch und phänotypisch vererbbar sind. Hingegen kann man Bezeichnungselemente (Wörter) nicht auf analoge Weise aus einer ethnischen Sprache in eine andere ethnische Sprache unter Beibehaltung der informatischen Wirksamkeit, das heißt des Sinnes, übertragen.

Diese Tatsache scheint für uns eine solche Selbstverständlichkeit zu sein, dass man sie eigentlich gar nicht zu erwähnen bräuchte. Wenn man aber aus der Distanz über die Gesamtheit der zwei Arten der "nukleotidischen und ethnischen" Linguistik nachdenkt, dann erscheint die Situation in einem eher merkwürdigen Licht: die einen Menschen, die derselben Gattung von Homo angehören, können sich sprachlich mit Menschen aus einer anderen Nation und mit einer anderen Sprache nicht verständigen, während ein Gen, das aus Hefe oder dem Froschlaich entnommen wurde im Ei einer Frau ganz normal auf seine Weise weiter funktionieren wird, als wäre nichts geschehen. Wenn sich jemand durch die vorstehende Feststellung nicht verwundert fühlt, so sollte er schnell aufhören, diese Bemerkungen weiter zu lesen.

Man weiss aufgrund von physioneurologischen Untersuchungen, dass unser Verstand eine funktionelle Einheit von Elementen (Gehirnsubaggregaten) ist, die für sich eher nicht "vernünftig" oder "verstehend" sind. Wenn man einen in einer bekannten Sprache gesprochenen Satz hört, erfolgt der Aufbau der Verbindung mit einer Verzögerung von 200 Mikrosekunden, also "im Nu", als Informationsanalyse in verschiedenen Teilen beider Gehirnhälften, um die syntaktische und auch die semantische "Seite" oder "Ebene" dessen, was gehört wurde, zu analysieren. Es ist sogar möglich, eine vollständige Übereinstimmung (also die Richtigkeit) eines Satzes in seiner "syntaktischen Struktur" bei vollem Unverständnis seines Sinnes (der Bedeutung) festzustellen. Und noch mehr: wir können bestimmen, aus welcher Sprache ein völlig unverständlicher Satz mit der verifizierten Richtigkeit der Syntax stammt. Beispiele:

"Apentu Ba niewdziosek te b dy gruwa[ne W ko turmiela weprz chnie, kostr bajt spoczy... ."
oder:
"Whorg canteel whorth bee asbin? Cam we so all complete With all her faulty bagnose (Lennon)."
Es ist einfach festzustellen, dass das erste "Gedicht" aus dem "Polnischen" und das zweite aus dem "Englischen" stammt. Die Tonklänge verraten "sinnlose Verwandschaften".

Weder "Vernünftigkeit" noch "Intelligenz" entstehen aus dem Nichts. Letztlich wurde aus Verzweiflung, wie ich sagen würde, die Bedeutung der emotionalen Determinanten der Intelligenz "entdeckt", was eine Offenbarung der Art war, dass wir uns deswegen bewegen, weil wir u.a. Beine besitzen. Weder linear noch parallel prozessierende Computer erwecken mittlerweile noch eine Hoffnung auf die Schöpfung eines "künstlichen Verstandes", überdies wurde auch Ashby's "Intelligenzverstärker" ohne eine Träne vor zehn Jahren begraben. Wir wissen immer noch nicht, wie "das" zu machen wäre, obgleich die Hoffnungen heute in den Bereich der "neuronalen Netze" verlegt worden sind. Da jedoch das Internet leider bereits unter furchtbaren Ausfällen wegen der Stauungen leidet, entsteht eine Art "Metanet" aus Netzen von wichtigen Organisationen (Börsen, Regierungen, Banken, wissenschaftliche Institutionen u.ä.). Wenn es einige Dutzende solcher Netze geben wird, könnte es vielleicht zwischen ihnen zu Kurzschlüssen kommen und ein Funke des Verstandes aufleuchten, weil - und daraus stammt meine, jedoch schwache Hoffnung - der Verstand nicht deswegen entstand, weil die natürliche Evolution auf seine Geburt ausgerichtet gewesen wäre. Darüber hinaus scheint sich der "linguistische Kern" des Verstandes ziemlich zufällig entwickelt zu haben. Erst als seine Nutzbarkeit sich einigermaßen "bewährt" hat, begann eine deutlicher werdende Drift in die "sprachliche Richtung", in der gelernt wurde, wir wissen nicht wie, die "Gödelschen Abgründe" wie auch die Unbestimmtheiten der Selbstreflexivität zu meiden. Diese Schritte erfolgten jedoch schon ziemlich spät auf der diachronischen Skala und sind nicht so sehr der Entstehung der Schrift als einer "antichronen" (also sich der erodierenden Wirkung der Zeit, deren Vergehen jeden von uns tötet, widersetzenden) Flosse und sogar dem "Stab" vorangegangen, entlang dessen der Verstand wie eine Kornwinde (ein Vergleich mit Bohnen wäre möglicherweise für viele unverdaulich) empor zu klettern begann.

Unzählige und in Stummheit zu leben gezwungene Säugetiere weisen irgendwelche Spuren des Verstandes auf. Jeder, der einmal Hunde hatte, weiss, wie sich die einzelnen Exemplare in ihrer nicht nur reaktiven, sondern auch aktiven Emotionalität voneinander unterscheiden, und auch wie deutlich zwischen ihnen die Unterschiede der "Auffassungsgabe" dessen sind, was um sie herum passiert und was in einem Augenblick passieren wird. Es ist schwierig, den geistigen Unterschied zwischen einem Delfin und einem Hai nicht zu bemerken. Das alles scheint darauf hinzuweisen, dass der Verstand mit Sicherheit stufenweise von Gattung zu Gattung anwachsen kann. Die sich entwickelte Sprache "bereichert" mit Sicherheit "geistig ", aber - und dies erkläre ich auf eigenes Risiko und auf eigene Verantwortung - seine den Menschen geistig bereichernde Kraft zieht gleichzeitig Grenzen, weil man das, was man eindeutig sagen kann, auch verschwommen mit dem Anschein der Vernünftigkeit sagen kann. Hier aber gilt: "volenti sapientiae non fit iniuria". Wahrscheinlich haben wir uns deswegen mittels einer Jahrhunderte lange andauernden Arbeit der linguistischen Destillation die Mathematik sowie deren andere logischen Abkömmlinge herangezüchtet, die über spezielle Einsatzmöglichkeiten verfügen. Ob es gelingt, das auch aus den Maschinen herauszuholen, kann man mit einem kategorischen Ja oder mit einem sicheren Nein heute nicht beantwortet werden.

Viele Menschen aus aller Welt - aus Polen allerdings weniger - besuchen mich, um zu erfahren, was ich über diese Angelegenheit denke. Ich kann nicht sagen, dass ich eine Lösung für diesen komplizierten Gordischen Knoten im Kopf fertig habe. Ich bin mir sogar nicht sicher, ob die grundsätzlich lineare und quantenartige Dimension unserer Sprache ein allgemeines kosmisches Prinzip sein muss, wie auch die Existenz der Zivilisationen, die eine Vokal- und Schriftsprache benutzen, mir keine Notwendigkeit für das gesamte Weltall zu sein scheint. Das bezweifle ich allein schon deshalb, weil Affen (z.B. Bonobo-Schimpansen), die keinen wie wir ausgerichteten Kehlkopf haben, Folgen aus subsymbolischen Bildern verstehen, jedoch nicht reden können. Und haben sich all die Wissenschaftler gänzlich geirrt, die vor allem den neuronalen und strukturalen Inhalt des Hirnschädels zählen, demzufolge ein Delfin uns schon längst überlegen sein müsste.

Der Weg wird sicherlich lang und voll von Überraschungen sein, weil unser sehr merkwürdiges und immer noch von der Tätigkeit her unbekanntes Gehirn so unordentlich zusammengesetzt wurde. Dass unsere sehr ordentlich, sehr genau und in hohem Maße logisch gebauten Computer einen Verstand entwickeln werden, glaube ich kein bisschen, gerade weil sie allzusehr logisch, ordentlich und geordnet gebaut werden. Es kann keine Rede davon sein, dass man ihnen bedeutende Teile herausnehmen kann und sie sich dann immer noch gehorsam in ihren Handlungen wie immer verhalten werden. Falls aber ein Funken des Verstandes als Deus ex machina sich entzünden sollte, dann wird sich dadurch eine Vielzahl orientierter maschineller Arten des Verstandes entwickeln, die gar nicht "gezwungen" sein werden, schnell gegen den Menschen zu rebellieren, wie uns die Science Fiction mit ihrer großer Vernarrtheit in Unsinn zu "belehren" versucht, die sich von ihrer Käuflichkeit ernährt, da Leser (und Zuschauer) das kitzelnde und ihnen nicht direkt schädigende Grauen mögen. Die ganze "globalisierende Vernetzung" der Welt stellt einfach die in eine große Potenz erhobene Kommunikation dar. Wenn uns nämlich ein Unsinn aus der Nachbarschaft nicht ausreicht, sollte dies ein Quatsch aus der maximalen Ferne nachholen. Das Internet ist als Relais für unschätzbare Information für mich wenig wert, anders liegt der Fall bei Experten- und Spezialinformationen. Internet-Geschäfte in der globalen Wirtschaft setzen uns dagegen verschiedenen Kurzschlüssen aus, weil Börsen von Menschenmassen betrieben werden und Massen leichter als in Ekstasen der Hausse in Panik geraten, die sich wie ein destruktives Feuer verbreitet. Wie auch immer, so habe ich mich mit meinen Ausführungen vom Künstlichen Verstand und von der Künstlichen Intelligenz entfernt, die gewissermaßen Sternenkonstellationen auf dem Informatikhimmel darstellen: interessante, sehr weit entfernte und für uns, die wir unsere Blicke auf sie richten, völlig unerreichbare Gebilde.

Aus dem Zusammenspiel unserer Sinne lernen wir, grundsätzlich analog zu allen höheren Tieren (Säugetieren), die Welt vorwiegend in unserer Nähe kennen, vor allem in seiner Nähe, und erfahren wir in etwa, was mit unserem Körper passiert. Weil wir mit uns selbst und mit anderen sprechen können, sind wir Besitzer des "Verstandes", aber wenn wir mit den Sinnen die Welt nicht mehr erkennen können, müssen wir dies entweder mittels der Vermutung oder schärfer und eindeutiger durch die auf Experimenten beruhende Mathematik bewerkstelligen. Man könnte sagen, dass unser tierischer Verstand in sich konstruierte "Schößlinge" ausspinnt und aus deren intuitiv-formaler "Bearbeitung" unser Wissen über die Makro- und Mikrowelt von den Galaxien bis zu den Atomen entsteht. Dadurch erreichten wir gemeinsam auf der Informationsebene des Affen oder des Tigers "höhere Stockwerke" der Generalisierung, die als "Naturgesetze" gelten. Sie stellen unser Wissen dar, das im Lauf der Geschichte so veränderlich wie ein Film ist, der vor Jahrtausenden langsam abgespielt wurde und gegenwärtig so beschleunigt wird, dass das "gestrige Wissen" dadurch oft ungültig wird. Der Verstand also erzeugt für uns das Wissen, das sich kontinuierlich durch Fachgebiete verzweigt. Der "Verstand" schafft eine Unmenge von "Sachen" oder "Wirklichkeiten" (ein Tisch aus Holz ist ja auch ein Tisch aus Elektronen, ersteren verstehen wir aus Erfahrung, das Zweite aus "theorieähnlichen Vermittlungen"). Philosophie ist dagegen eine Brutstätte von Hypothesen, wie dies vor sich geht und wie dies der Verstand macht. Man kann hinzufügen, dass die Leistungsfähigkeit und die Reichweite des "Verstandes" in der menschlichen Population ungleichmäßig verteilt sind. Grob könnte man sagen, dass für einige Menschen die Mathematizität der Welt selbstverständlich ist, da sie über eine für solche Diagnosen gute Ausstattung mit entsprechenden Gehirn-Konstruktionsmodulen (Subaggregaten) verfügen, andere dagegen können die hohen Konstrukte der mathematischen Verzweigungen nicht hochklettern, weil es ihnen dafür an den nötigen Begabungen fehlt. Ein Mathematiker braucht freilich nicht zu wissen, wie er das macht, ähnlich wie kein Nichtwissenschaftler weiß, wie er springen, schwimmen und klettern kann.

Gegenwärtig können wir uns, da wir über keinen "maschinellen Verstand" verfügen, lediglich auf verschiedene Simulationen stützen, die in den Computern genau nach von uns mittels des Verstandes geschaffenen Programmen konstituiert werden. So erfahren wir z.B., wie der Zustand des Weltalls in 100 Milliarden Jahren sein wird, falls die den Programmen zugrundeliegenden Daten "richtig" in die Wirklichkeit eingewurzelt sind. Meistens bewegt sich die "Maschine unseres Wissens", die die Informationsdaten verarbeitet, expansiv in Richtung Überprüfung der "veristischen Tragfähigkeit" der auf diese Weise entstehenden Wissensfragmente, die nicht direkt sinnlich zugänglich sind, und wir haben keine Sicherheit, ob irgendwann Maschinen-Demiurgen entstehen, die weitere Generationen von Demiurgen gebären werden. Zur Zeit scheint dies eine Leiter zu sein, die dem Turm von Babel vergleichbar ist, und wir befinden lediglich auf deren erster Sprosse ...

Geschrieben im November 1997

Aus dem Polnischen übersetzt von Ryszard Krolicki