Das Geiseldrama in Saudi-Arabien

Weitere Anschläge befürchtet

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Die bewaffneten Männer, die den Gebäudekomplex der Oasis Residential Resorts in der saudi-arabischen Stadt Chobar durchkämmten, hatten zwei Fragen: "Sind Sie Muslim?" und "Wo befinden sich die Westler und die Amerikaner?"

Am Ende des zweitägigen Dramas mit Geiselnahmen zählte man 22 Tote: acht Inder, drei Saudis, drei Philipinos, zwei aus Sri Lanka, einen Amerikaner, einen Engländer, einen Italiener, einen Schweden, einen Südafrikaner und einen 10jährigen Ägypter; 25 Menschen wurden verletzt.

Während über den genauen Hergang des Geiseldramas und der Befreiungsaktion einer saudischen Elitetruppe noch Unklarheit herrscht - drei Geiselnehmer konnten mitsamt Geiseln entkommen und werden zur Zeit noch gesucht -, geht die Angst um in den Kolonien der ausländischen Beschäftigten und auf den Märkten, wo man einen weiteren Anstieg der Ölpreise befürchtet.

Das steigert den Angst-Faktor. Der Vorfall bedeutet eine Eskalation seit dem letzten Anschlag in Janbu. Das (Chobar) ist ein größeres Ölzentrum und es wurden mehr Leute getötet

Tony Nunan, Risk Manager von Mitsubishi Corp

. Der Angriff auf das Hauptquartier der APICORP (Arab Petroleum Investments Corp, der Investment-Arm der OPEC) in Chobar hatte wie schon der Anschlag in Janbu Anfang dieses Monats ein eindeutiges Ziel: die Einschüchterung ausländischer Fachkräfte der Ölindustrie; sie sollen das Land verlassen, ein Appell, dem nach Angaben von Al-Dschasira schon viele Familien gefolgt sind. Die USA haben mittlerweile ihre Staatsangehörigen aufgefordert, das Land zu verlassen, während England und Australien sich mit Warnungen vor neueren Terroranschlägen und Empfehlungen begnügt haben. Trotz wiederholter Beteuerungen der saudischen Behörden, dass man die Sache im Griff habe - immerhin soll man in den letzten zwei Jahren 750 Millionen Dollar in die Sicherheit von Ölanlagen investiert haben, an das Versprechen absoluter Sicherheit will niemand mehr so recht glauben; allzu leicht ist es auch diesmal den Attentätern gelungen, in vermeintlich perfekt abgesicherte Anlagen einzudringen.

Dass die Mutter aller Terrororganisationen, die Al-Qaida, auch hinter diesen Anschlägen steckt, gilt einmal mehr als sicher, zumal auf einer Webseite ein Band gepostet wurde, auf dem sich ein Abdul-Muhsin al-Mukrin, der angeblich die Qaida in Saudi-Arabien kommandiert, für die Anschläge samt Durchschneiden der Kehle von Geiseln verantwortlich erklärt. Für den saudischen Politikwissenschaftler Abdullah Al-Otabi ist in dem Anschlag von Janbu, Anfang Mai, und dem jüngsten Angriff ein eindeutiges Muster zu erkennen:

Nachdem man in der ersten Phase westliche Angestellte und Sicherheitskräfte im Visier hatte, will man jetzt die Ölfirmen angreifen; später könnte man sich dann auf einen städtischen Guerilla-Kampf konzentrieren, als Teil einer Strategie, die das Königreich destabilisieren soll.

Zunächst ginge es der Qaida darum, die saudische Wirtschaft "lahmzulegen", weswegen man die Infrastruktur der Ölindustrie angreife und die Kräfte aus dem Ausland, die dafür gebraucht werden - die saudische Ölindustrie ist abhängig von sechs Millionen expats, die dort und in anliegenden Metiers arbeiten; das Ziel der Angriffe am Wochenende sei in dieser Hinsicht gut ausgesucht: neben dem Gebäudekomplex der APICORP liegen die Gebäude der Royal Duch Shell Gruppe, der Total Saudi Arabia, Saudi Aramco, Lukoil Holdings (Russland) und China Petroleum & Chemical Group. Die Strategie würde derjenigen der Tamil Tigers in Sri Lanka ähneln: die Lähmung der Wirtschaft im Land und das Säen von Panik unter der Bevölkerung.